Artikel

Das grüne Bauhaus
Spectrum

„Erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft“: Walter Gropius' Aufforderung ist grundlegend für das New European Bauhaus. Das EU-Projekt will Nachhaltigkeit und Ästhetik beim Bauen vereinen – die Beteiligung von Bürgern ist ausdrücklich erwünscht.

19. Februar 2021 - Harald Gründl
Die Gründung des Staatlichen Bauhauses in Weimar durch den Architekten Walter Gropius im Jahr 1919 wurde mit einem Flugblatt verlautbart. Das als Manifest verfasste Programm zierte ein expressionistischer Holzschnitt von Lyonel Feininger, er zeigt eine Kirche mit Sternen darüber. Walter Gropius' Vision verdichtet sich im letzten Absatz: „Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.“

Die Bauhausbewegung wurde 1933 durch die Nationalsozialisten gestoppt. In der kurzen Zeit ihres Bestehens war sie als eines der prägenden Epizentren der Moderne in die Kunst-, Design- und Architekturgeschichte eingegangen. 1937 wurde in Chicago das „New Bauhaus“ neu gegründet und später als Institute of Design an der Universität von Illinois weitergeführt. Das Signet des Bauhauses, entworfen 1922 von Oskar Schlemmer, wird nach den Standorten Weimar, Dessau und Berlin ein letztes Mal an einen neuen Ort angepasst: „the new bauhaus chicago“. Heute noch prangt darauf das Zitat des ausgewanderten Bauhäuslers László Moholy-Nagy: „Wir akzeptieren die Herausforderung des technischen Fortschritts mit seiner Anerkennung der sozialen Verantwortung.“

Als die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union 2020 die Idee zu einem „New European Bauhaus“ (NEB) vorstellt, ruft sie dazu auf, den Green Deal mit künstlerischen Strategien näher an die Bürgerinnen und Bürger zu bringen: „Das Projekt ,Neues Europäisches Bauhaus‘ ist ein Hoffnungsträger. Wir wollen dabei herausfinden, wie wir nach der Pandemie besser zusammenleben können. Es geht darum, Nachhaltigkeit und Ästhetik zu vereinen, um den europäischen Grünen Deal in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger und auch in ihrem Zuhause Realität werden zu lassen. Wir brauchen alle kreativen Köpfe: Designer, Kunstschaffende, Wissenschaftler, Architekten sowie Bürgerinnen und Bürger sollen zusammen das Neue Europäische Bauhaus zu einem Erfolg machen.“ Das Neue Bauhausprojekt möchte inspirieren und nicht belehren. Daher hat es sich auch zum Ziel gesetzt, möglichst viele Akteure einzubinden, zuzuhören und gelungene Beispiele zu sammeln. Das Neue Europäische Bauhaus ist für alle offen und möchte vor allem auch Disziplinen übergreifende Synergien unterstützen.

Der Ideengeber des Neuen Europäischen Bauhauses ist ein Klimaforscher. Hans-Joachim Schellnhuber war Direktor des renommierten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und hat mit dem Bund Deutscher Architekten das Postulat „Haus der Erde“ (Berlin 2019) publiziert. Es fordert eine Kultur des Experimentierens und politische Versuchsräume. Eine vollständige Entkarbonisierung wird ebenso angestrebt wie eine Kreislaufwirtschaft, in der die benötigten Materialien vollständig wiederverwendbar oder kompostierbar sein sollen. Auch das Wiederverwenden ganzer Bauteile wird vorgeschlagen. All das kann nur durch zivilen Ungehorsam gegen die bestehenden Praktiken und Lobbys im Bausektor gelingen.

Das „Haus der Erde“ wird durch seine Forderung, einen sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck für das Verantwortungsgefühl zu finden, zur Inspiration der drei Eckpfeiler des NEB: Nachhaltigkeit – Ästhetik – Teilhabe. Schellnhubers Vision hat eine Initiative mit möglicher großer Hebelwirkung auf europäischer Ebene katalysiert. Seine Forschung zum Thema Klimaschutz und Bauen verfolgt er mit dem Projekt „Bauhaus der Erde“. Auch ihm schwebt, wie Gropius, ein Gesamtkunstwerk vor, nichts weniger als eine Bauwende. Sein Bauhaus wird anstatt Werkstätten Labors haben. Und das „Bauhaus der Erde“ wird die Politik beraten und sich in Klimafragen engagieren. Er sagt ganz klar, dass die Klimafrage von der gebauten Umwelt entschieden wird. Er wünscht sich ikonische Gebäude, die als Wertstofflager für die lokale Kreislaufwirtschaft dienen. Die Stadt der Moderne, für die der Kohlenstoffvorrat massiv abgebaut wurde, muss ersetzt werden durch das „Bauhaus der Erde“. Wir brauchen Baustoffe, die wie Holz Kohlendioxid speichern, und nicht Baustoffe wie zum Beispiel Beton und Stahl, für deren Herstellung enorme Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre gehen. Die Stadt der Zukunft besteht aus Gebäuden, die als globale Kohlenstoffsenken dienen.

Durch das Narrativ des Neuen Europäischen Bauhauses werden Architektur- und Designschaffende zuallererst angesprochen. Die Aussicht, zu einem der fünf Pilotprojekte zu gehören, die das Neue Bauhaus als Epizentren der Idee finanzieren und unterstützen wird, schafft einen großen Resonanzraum. Die Europäischen Dachorganisationen für Design und Architektur, die BEDA (Bureau of European Design Associations) und die ACE (Architects' Council of Europe), haben sich als Partnerorganisationen angeboten, um die Idee zu verbreiten und durch Diskursbeiträge zu unterstützen. Der Präsident des ACE, Georg Pendl: „Gerade wir als Architekten, die direkt von der Präsidentin der Kommission angesprochen sind, müssen aktiv werden, unser und insbesondere das Potenzial der jungen Generation aufzeigen, um die ,Renovation Wave Strategy‘ wirklich zu einem kulturellen Projekt zu machen.“ Der Sekretär der BEDA, Martin Fössleitner: „Ja, es ist sehr fein, dass es diesen Prozess gibt, dass unterschiedliche Disziplinen miteinander in Dialog treten, und dass dem technokratischen Bewusstsein eine Designkomponente zur Seite gestellt wird.“

Eine lesenswerte Analyse mit dem Titel „A New Bauhaus for a Green Deal“ (2020) ist auf der Homepage der BEDA zu finden. Die Direktoren des AZW – Architekturzentrum Wien und des MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien sind ebenfalls lobender Worte. Angelika Fitz wünscht sich eine Förderschiene für gute Praxis. Vorzeigeprojekte, wie das Upgrade eines sozialen Wohnbaus von Lacaton & Vassal im Grand Parc Bordeaux, könnten so hundertfach multipliziert werden. Außerdem fordert sie auch eine Stärkung der Vermittlungsinstitutionen.

Christoph Thun-Hohenstein: „Die Initiative eines Neuen Europäischen Bauhauses kommt zur rechten Zeit. Sie schafft Bewusstsein, dass wir nach Corona mit ganzheitlichen Konzepten eine neue Moderne bauen müssen und für die Gestaltung dieser Klima-Moderne maßgeblich auf Kunst und vor allem auf angewandte Sparten wie Design und Architektur angewiesen sind. Jetzt braucht es kühne Ideen, mutige Experimente und ambitionierte Kooperationen, für die das Neue Europäische Bauhaus einen vielversprechenden Rahmen bietet.“

Das Neue Europäische Bauhaus kann ein Momentum für die „Große Transformation“ entwickeln.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: