Award

Blue Award 09
Architekturpreis - TU Wien. Institut Architektur + Entwerfen - Wien (A)
Blue Award 09 © Blue Award
Einreichdatum: 1. Februar 2010
Kontakt: DI Dr. Franz Karner fkarner@raumgestaltung.tuwien.ac.at

Pioniere in der Krise

Am Donnerstag wurde an der TU Wien der Blue Award 2012 vergeben. Studenten aus aller Welt haben sich ihren Kopf über das Thema Nachhaltigkeit zerbrochen.

27. April 2012 - Wojciech Czaja
Der größte Widerstand liegt in den Köpfen der Menschen. „Mit Lehm will niemand bauen, weil das in Brasilien ein klassischer Arme-Leute-Baustoff ist“, sagt Gregor Fasching. „Und Bambus wächst hier ohne Ende, aber scheinbar ist noch niemand auf die Idee gekommen, die Pflanze als Baustoff zu nutzen.“ Seit einigen Jahren lebt der 33-jährige Architekturabsolvent der TU Wien mal in Österreich, mal in Brasilien. Gemeinsam mit seiner Kollegin Doris Großtessner-Hain plante er in Guarabira, Bundesstaat Paraíba, eine Schule, die diese beiden Unmöglichkeiten vereint: unten Lehmbau, und obendrauf ein Dach aus Bambusrohr. Demnächst ist Baubeginn.

Vorgestern, Donnerstag, wurde sein Projekt „Eine Schule für Anajô“ als eines von insgesamt drei Forschungsarbeiten im Kuppelsaal der TU Wien mit dem Blue Award 2012 ausgezeichnet. Ziel dieses Preises, der 2009 ins Leben gerufen und nun zum zweiten Mal vergeben wurde, ist die Hervorhebung besonderer akademischer Leistungen im Bereich nachhaltigen Planens und Bauens. 234 Studenten aus 38 Nationen nahmen heuer daran teil. Den Siegern winken 20.000 Euro Preisgeld.

„Die nominierten Projekte zeichnen sich durch eine sehr aufgeschlossene Herangehensweise aus“, sagt Françoise-Hélène Jourda, Initiatorin des Blue Award und Leiterin der Abteilung für Raumgestaltung und nachhaltiges Entwerfen der TU Wien. „Es ist erstaunlich, wie einfühlsam die meisten Studierenden auf die sozialen, kulturellen und ländlichen Gegebenheiten eines Ortes reagieren.“

Und der Londoner Architekt und Öko-Pionier Michael Hopkins, Ehrenpräsident des Blue Award, meint im STANDARD -Interview: „Die Studenten zerbrechen sich über Dinge den Kopf, an die nicht einmal die meisten Architekten denken. Doch Tatsache ist: Die Welt ändert sich. Und das haben wir selbst zu verantworten. Darauf nicht zu reagieren ist unverantwortlich. Insofern begrüße ich die eingereichten Projekte sehr.“

Zurück nach Anajô, wo Fasching bereits einen Zehn-Jahres-Plan entwickelt hat, der über den reinen Bau des Schulgebäudes weit hinausgeht. Sein Konzept beinhaltet nicht nur Entwurfs- und Detailpläne, sondern auch genaue Überlegungen zum Schulbetrieb. „In Brasilien herrscht Schulpflicht. Doch das größte Problem ist, dass die meisten Kinder nur am ersten und am letzten Schultag in der Klasse erscheinen. Das reicht, um das Schuljahr offiziell absolviert zu haben und ein positives Zeugnis in die Hand gedrückt zu bekommen. Leider wird diese Vorgehensweise in vielen Gegenden Brasiliens toleriert.“

Erst Mathe, dann Capoeira

In Zusammenarbeit mit der NGO Fundação Anajô arbeitete Fasching einen Plan aus, wie man diesem wenig zielführenden Trick der Kids entgegenwirken kann: Capoeira. „Das ist nicht nur traditionelle Kampfsportart, sondern auch ein unglaublicher Magnet, der viele Kinder und Jugendliche begeistert. Auf dieser Basis wollen wir aufbauen.“ Geplant ist, den Sport beziehungsweise die Sportausbildung in den täglichen Schulbetrieb miteinzubinden und den Schülern eine warme Mahlzeit pro Tag anzubieten. Als Gegenleistung für den Gratis-Capoeira-Kurs müssen sie die Schulbank drücken. Ein fairer Deal.

Während die Kosten für den laufenden Schulbetrieb mit zusätzlichen Privatsponsoren noch sichergestellt werden müssen, sind Grundstück und Gebäude mit 8000 Euro bereits komplett ausfinanziert. „Der Bau ist sehr billig“, erklärt Gregor Fasching. „Der Bambus wächst überall rundherum, und den Lehm bekommen wir vom Nachbarn zur Verfügung gestellt. Das einzig wirklich Teure an so einem Gebäude sind die Fenster und Türen.“

Die Lösung zum Problem: Die Türen sollen auf ein Minimum reduziert werden, und die Fenster werden gleich komplett weggelassen. Ein ordentlicher Dachüberstand soll die Wandlöcher in Zukunft vor starken tropischen Regenfällen schützen.

Ein Haus für Marmeladen

Den sozialen und ökonomischen Ungereimtheiten auf dem Land widmete sich auch Veronika Holczer, Siegerin in der Kategorie „Building in Existing Structures“. Die 28-jährige Absolventin der Technischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest übersiedelte am Ende ihres Studiums nach Markóc, einer kleinen Siedlung an der ungarisch-kroatischen Grenze. 66 Menschen leben hier, großteils Arbeitslose und Bauern. „Viele Gebäude in Markóc waren ungenutzt und längst verfallen“, erinnert sich Holczer. „Eines Tages hat mich der Bürgermeister gebeten, einen der Schuppen zu revitalisieren und für die Menschen wieder nutzbar zu machen.“

In monatelanger Arbeit wurde aus der kaputten Holzbaracke ein Gemeinschaftsraum für die Bevölkerung. Es gibt Lagerungsmöglichkeiten für Ackerwerkzeug und eine Küche, in der die Bauern und Bäuerinnen ihre Produkte zu eingelegtem Gemüse und Marmelade verarbeiten können. Noch ist der Arbeitsschuppen ungedämmt und kann daher nur im Sommer verwendet werden. Das Preisgeld des Blue Award soll nun in Fenster und Dämmung investiert werden.

„Meine Beobachtung ist, dass die Bevölkerung am Land zunehmend benachteiligt wird.“ In Zukunft, meint Holczer, werde sich Architektur vermehrt auf die Bauaufgaben abseits von Großstadt und Hochglanzzeitschrift konzentrieren müssen. „Die Städte wachsen und prosperieren, und im ruralen Raum bleiben die Menschen auf der Strecke. Wenn wir Architektinnen und Architekten diese Ungleichheit akzeptieren, dann haben wir unseren Beruf eindeutig missverstanden.“

Schließlich führt die Reise nach Indien. Nikhil Chaudhary von der CEPT University in Ahmedabad bekam für sein Projekt „Reverse Thrust: Restructuring the Urban Fringe along Ring Roads“ den 1. Preis in der Kategorie „Urban Development and Transformation“. In der Industriestadt Nagpur in der Mitte des Landes will Chaudhary den ignoranten Autobahnplanungen der Stadtregierung entgegenwirken.

„Es gibt viele Infrastruktur- und Verkehrsprobleme in Nagpur, und die Chefplaner glauben, diese durch eine weitere Ringautobahn lösen zu können“, erklärt der 26-jährige Student. „Aber das ist definitiv nicht der Fall, denn mit jeder neuen Autobahn begünstigt man lediglich die Zentren rund um die Auf- und Abfahrten, wo wie überall Hochhäuser entstehen. Das weite Land dazwischen, wo viele tausend Menschen leben, bleibt unberücksichtigt.“

Chaudharys Projekt sieht einen detailliert ausgearbeiteten Stufenplan vor, wie die vielen Slums und Agrarflächen an ein entsprechendes infrastrukturelles Netz angebunden werden können - von Wasser und Kanalisation über Feldbewässerung bis hin zum Mobilitätsnetzwerk mit Geh- und Radwegen.

„Autobahnen bauen, die Starken stärken und die Schwachen schwächen - so funktioniert Stadtentwicklung in Indien heutzutage“, kritisiert Nikhil Chaudhary. „Es ist dringend an der Zeit, nicht nur auf der primären Ebene zu planen und alles darunter zu vergessen, sondern sich auch mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen.“ Chaudhary hofft, dass sein Projekt ein Prototyp für strukturell geschädigte Großstädte in Indien werden könnte. Demnächst will er das Projekt der Stadtregierung zur Begutachtung vorlegen.

„Wie man anhand der siegreichen Projekte gut sieht, wächst unser Gespür für Nachhaltigkeit mit zunehmendem Maß an gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher Rezession“, sagt Blue-Award-Ehrenpräsident Michael Hopkins. „Das war schon immer so, und das wird auch immer so sein.“ So gesehen ist Krise eine große Chance für Neubeginn und Kreativität. Die Studenten, so scheint es, haben diese Lektion schneller begriffen als so mancher Architekt.

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