Bauwerk

Firmenzentrale Windkraft Simonsfeld
Juri Troy - Ernstbrunn (A) - 2024

Ökologisch bauen? Das geht heute ganz anders als vor zehn Jahren

Nur ein Jahrzehnt liegt dazwischen, aber das sind Welten in der Ästhetik des ökologischen Bauens: Im niederösterreichi­schen Ernstbrunn hat Architekt Juri Troy den Firmensitz eines Windkraftunternehmens erweitert.

15. Mai 2025 - Franziska Leeb
Die Eröffnungsfeier war ein Volksfest – sogar für die Architektur, obwohl der niederösterreichische Landtagspräsident es sich nicht nehmen ließ, volksnah zu witzeln, dass er sich im Gegensatz zu seinem Vorarlberger Amtskollegen keinen Architekten leisten kön­ne. Die Ortsbevölkerung strömte aber nicht nur heran, um im Festzelt zu launigen Sprüchen, Blasmusik und Freibier lustig zu sein. Mit großem Interesse nahm sie an den Hausführungen teil, und der Vortragssaal war voll, als Architekt Juri Troy am späteren Nachmittag seine konzeptuellen Überlegungen für die Erweiterung des Firmensitzes des Energieunternehmens Windkraft Simonsfeld erläuterte.

Ohne in abgehobenen Architektenjargon zu verfallen, sprach der gebürtige Vorarlberger, der bereits mehrfach in Niederösterreich gewirkt hat, über den Boden als wichtigste Ressource, die Möglichkeiten und Grenzen von Materialien, über Funktionalität, Präzision und Stim­mung. Aufmerksam hörten die Leute zu, fragten nach, und am Ende fühlten wohl alle, dass man sich Architektur nicht nicht leisten darf, und was unter Baukultur zu verstehen ist.

Vorzeigehaus in puncto Nachhaltigkeit

Im Jahr 1998 als erster österreichischer Betreiber mit zwei Windrädern gestartet, hatte das Unternehmen erst 2014 ein „richtiges“ Firmengebäude bezogen. Den Standort am Ortsrand von Ernstbrunn konnte man mit der bislang unerfüllten Hoffnung argumentieren, dass im benachbarten Bahnhof der 1988 eingestellte Personenverkehr nach Wien wiederaufgenom­men werde. Geplant von Architekt Georg Reinberg, einem Pionier des ökologischen Bauens, spiegelte das Haus mit seiner gläsernen Solarfassade das Geschäftsfeld – erneuerbare Ener­gie – ebenso wider wie seinen Status als Vorzeigehaus in puncto Nachhaltigkeit.

Keine zehn Jahre später machte das rasante Wachstum des Unternehmens dringend eine Verdreifachung der Bürofläche notwendig, und auch die Erwartungshaltung an das Gebäude hatte sich verändert. Die Technik musste man nun nicht mehr vor sich hertragen: Deutlich mehr als 50 Prozent der über 1400 österreichischen Windkraftanlagen stehen in Nieder­österreich, Windkraft Simonsfeld ist einer der großen Produzenten. Nun war es wichtiger, sich als attraktiver Arbeitsplatz zu positionieren.

Wie schon beim Erstling setzten die Windproduzenten auf professionelle Projektentwicklung durch die Beratungsfirma M.O.O.CON und luden vier Architekturbüros zu einem Generalplanerwettbewerb. Reinberg war nicht darunter. Auch wenn man offensichtlich neue Wege gehen wollte, so sollte seine prägnante Solarfassade unverstellt bleiben. Erweiterungsflächen sah die Wettbewerbsauslobung vor allem an der Rückseite des jungen Bestandes vor. Genau dieser Vorgabe widersetzte sich Juri Troy als Einziger – und reüssierte.
Bereits in der Errichtungsphase klimapositiv

Um nur minimal in die vorhandene Substanz einzugreifen, schloss er den Neubau an zwei Punkten beiderseits der Solarfassade an den Bestand an. Somit entstand ein Vierkanter, der nicht in Alt und Neu unterscheidet, sondern eine zusammenhängende Arbeitswelt um einen begrünten Hof bildet. Reinbergs gebogene und geneigte Solarfassade und die dahinter liegende zweigeschoßige Halle korrespondieren gut mit dem neuen Hof und bilden mit ihm eine großzügig-luftige Begegnungszone für die hundertköpfige Belegschaft und Gäste, um die sich das ganze Gebäude entwickelt. An der Rückseite bleibt eine potenzielle Erweiterungsfläche für einen weiteren Büro-Vierkanter erhalten und damit der Standort auf längere Zeit gesichert. „Hätten wir jetzt schon alles nach hinten gelegt, würde das Gebäude stets verkehrt herum funktionieren“, erläutert Jury Troy die Entscheidung.

Schon der Bestand war ein Plus-Energiehaus gewesen, nun lautete das ehrgeizige Ziel, nicht nur im Betrieb mehr Energie zu produzieren als zu verbrauchen, sondern bereits in der Errichtungsphase klimapositiv zu bilanzieren. Der Zubau besteht im Wesentlichen aus nachwachsenden Rohstoffen, die Bodenplatte ist aus Recyclingbeton. Architekt Georg Marterer hatte die örtliche Bauaufsicht inne. Um das Baustellengeschehen bestmöglich im Auge zu behalten, bezog er sogar eine Wohnung vor Ort. Ob die Bestandteile des vorhandenen Energiesystems, Schächte oder Wegebaumaterialien: „Wir haben so gut wie alles wiederverwendet, wo schon einmal Energie hineingeflossen ist“, erklärt er.

Kerne aus Stampflehm

Der Holzbau ist nach einem ablesbaren stringenten Prinzip so pur wie möglich angelegt. Alle Knoten sind als reine Holzverbindungen ausgeführt, wodurch große Mengen an stählernen Verbindungsmitteln eingespart werden konnten. Bei einer stützenfreien Spannweite von über acht Metern und Zwischenwänden, die auf dem fertigen Fußboden stehen, sind Raumkonfigurationen in Zukunft leicht veränderbar.

Einen Gegenpol zur fragil wirkenden Holzkonstruktion bilden im straßenseitigen Südtrakt zwei Kerne aus Stampflehm. Sie sorgen für die Aussteifung, beinhalten alle Erschließungs- und Versorgungsstränge sowie die Bauteilaktivierung zum Heizen und Kühlen und tragen maßgeblich zur Regulierung des Raumklimas in den direkt daran angelagerten stark frequentierten Bereichen bei. Das Material stammt aus dem Aushub und hat die Baustelle nie verlassen. Den Zuschlag zur Erhöhung der Druckfestigkeit holte man aus einem nahen Kalkbruch und setzte ihn auch gleich im Terrazzoboden ein.

Wie ein Schatzkästchen mit unterschiedlichen Laden bergen die Lehmkerne als Kontrast zur farblich zurückhaltenden Bürolandschaft abwechslungsreich ausgestattete Räume. Als besondere Preziosen überraschen die kleinen, in den Farben der Weinviertler Landschaft ausgepolsterten Rückzugsräume. Die Künstlerin Viviana Schimmenti hat sie aus unterschiedlich strukturierten, mit Pflanzenextrakten gefärbten Stoffen gestaltet und holt so das Kolorit der Weinviertler Landschaft – ein­mal die Farben des Himmels, einmal jene der blühenden Felder – in das Bürogebäude.

Viel menschliche Energie floss in das durchdachte Konzept, fein aufeinander abgestimmte Details und handwerkliche Qualität. Überraschend harmonisch gelang wohl auch deshalb die Fusion gegensätzlicher Raumkonzepte zweier Architektengenerationen. Die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit sind omnipräsent, werden aber gestalterisch nicht überhöht. Man traut der Struktur zu, noch in Jahrzehnten – auch für andere Zwecke – nützlich zu sein. Vielleicht kommen dann irgendwann doch noch Gebäudenutzer in den Genuss eines reaktivierten Bahnanschlusses.

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