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Zahmer Tornado

Das neu eröffnete Museum Fenix in Rotterdam präsentiert das Thema Migration als kulturelles Kontinuum. Architektonisch bleibt es trotz seiner wilden silbernen Turmfrisur eher am Boden.
31. Mai 2025 - Maik Novotny
Wie ein verchromtes Nudelnest sitzt ein Knäuel aus silbernen Spiralen auf dem Dach des langgestreckten Betonbaus am Ufer des Rotterdamer Rijnhavens. Wie ein Museum sieht diese Kombination auf den ersten Blick nicht aus. Die ersten Assoziationen gehen eher in Richtung Aquapark-Fun-Oase. „Ich wurde schon mehrmals gefragt, ob das ein Schwimmbad sei“, sagt Ma Yansong. Der chinesische Architekt sitzt im weiten Inneren des Baues, hinter ihm wirbeln die verspiegelten Stiegen und Rampen bodenwärts. „Das ist es zwar nicht, aber ein gewisser Fun-Aspekt ist schon beabsichtigt.“
Dabei ist der sogenannte „Tornado“, der sich in das 300 Meter lange, 1923 von Architekt Cornelis Nicolaas van Goor errichtete Lagerhaus hineinschraubt, eine seriöse Angelegenheit: Ein Museum für Migration, genannt Fenix, das vor zwei Wochen unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit von Königin Maxima höchstpersönlich eröffnet wurde. Der Ort könnte nicht passender sein: Direkt gegenüber, an einer Landspitze mit Blick nach Westen, verließen im 19. und 20. Jahrhundert zahllose Schiffe mit Auswanderern am sogenannten Pier der Tränen Europa in Richtung der USA. Ein Ort von Hoffnung, Abschied und Neubeginn, von Brüchen in Biografien.
Dass es sich bei Migration nicht um einen problembelasteten Ausnahmefall, sondern um eine Konstante der Menschheitsgeschichte handelt, kann nicht oft genug gesagt werden, und es wurde bei der Eröffnung des Fenix auch mehrmals gesagt. „Jede Familie hat eine Migrationsgeschichte zu erzählen“, betont Museumsdirektorin Anne Kremers. „Migration ist zeitlos, universell und persönlich.“
Museen haben sich immer wieder des Themas angenommen (in Wien etwa das Wien-Museum und das Musmig-Museum für Migration). Rotterdam, der Hafen Europas, ist der ideale Ort, um diese Geschichten zu erzählen. Im Süden der Stadt, der direkt hinter dem Museum, im alten Hafenarbeiterviertel Katendrecht, beginnt, leben viele Bürger mit Migrationshintergrund und mit dem in Marokko geborenen Ahmed Aboutaleb, der von 2009 bis 2024 amtierte, hatte die Stadt als erste in Europa einen muslimischen Bürgermeister.
Kein historisches Museum
Das Fenix ist jedoch kein historisches Museum, sondern erzählt Geschichte mit den Mitteln der Kunst. Die Fotoausstellung The family of migrants schlägt den Bogen über Jahrzehnte und Kontinente, die Hauptausstellung All Directions zeigt einen Teil der Berliner Mauer, den Reisepass eines Staatenlosen und Werke zeitgenössischer Künstlerinnen, die sich mit Flucht- und Wanderbewegungen auseinandersetzen, manche freiwillig, andere nicht.
Sie alle bekommen in den hohen, weiten Räumen des mit großem Aufwand renovierten Lagerhauses viel Platz und viel Licht. Große Geste beschränkte Ma Yansong auf das spektakuläre Stiegenhaus, ansonsten konzentrierte sich der Architekt auf den Erhalt des Bestands. Dieser eignet sich mit seinen enormen Raumdimensionen zwar als Ausstellungsraum, doch bleibt zwischen den Objekten immer noch so viel Luft übrig, dass sie isoliert für sich stehen und der gemeinsame Kontext in der Leere der Zwischenräume etwas verloren geht.
So viel Leere an einer solchen Prime-Location muss man sich leisten können, und gespart werden musste hier nicht. Hinter dem Museumsprojekt steckt die philantropische Stiftung Droom en Daad („Traum und Tat“) der milliardenschweren Familie Van der Vorm, die ihr Geld mit der berühmten transatlantischen Schifffahrtslinie Holland Amerika Lijn verdiente. Seit einigen Jahren kauft sich Droom en Daad massiv in die Rotterdamer Kulturlandschaft ein, was vor Ort auch kritisch gesehen wird. Sie investierte 80 Millionen in die Sanierung des Rotterdamer Kulturflaggschiffs Museum Boijmans van Beuningen und rettete das darbende Fotografiemuseum, ein Tanz-Zentrum soll folgen. Man kann schlimmere Dinge mit Geld anstellen, aber ohne erwartete Gegenleistungen wird in den kaufmännisch gesinnten Niederlanden nicht gehandelt.
Ist ein Museum für Migration heute, da sich in den Niederlanden rechte Parteien im Aufschwung befinden, ein politisches Statement? Nein, das sei nicht das Ziel, winkt Wim Pijbes, früherer Leiter des Amsterdamer Rijksmuseums und jetzt Direktor von Droom en Daad, diplomatisch ab. Damit ist das Thema Politik für ihn abgehakt, viel mag er über das schöne Gebäude reden und über seine Idee, deren Weg zur Umsetzung so glatt verlief wie die verspiegelten Stiegen. „Im Februar 2017 stand ich vor diesem Gebäude und wusste: der perfekte Standort für das Museum.“ Fehlte nur noch der perfekte Architekt.
Migration ist Bewegung
Nun hat Rotterdam mit Rem Koolhaas, MVRDV und anderen eine überdurchschnittliche Dichte an exzellenten Architekturteams, doch die kamen nicht zum Zuge. Einen Architekturwettbewerb sparte sich die Privatstiftung. „Bei einem Symposium hörte ich einen Vortrag von Ma Yansong und wusste, er ist der Richtige,“ erinnert sich Pijbes. Also wurde der Architekt nach Rotterdam eingeladen, die Bausubstanz besichtigt. „Nach einer langen Pause sagte Yansong zu mir: Beim Thema Migration geht es vor allem um Bewegung. Ich war begeistert!“
Warum ein Architekt aus China eingeflogen werden muss, um diesen zwar korrekten, aber nicht außerordentlich originellen Satz zu äußern, weiß nur Pijbes selbst, aber die Wahl ist keine schlechte. Ma Yansong, der 2004 das Büro MAD Architects gründete, stieg schnell in die Liga der staatstragenden Museumsarchitekten auf, heute mit Standorten in Peking, Rom und Los Angeles. Sein Stiegentornado, in dem sich mehrere Wege von unten nach oben überschneiden und kreuzen, inszeniert die Metapher von Migration als Serie von Begegnungen mit angemessener Leichtigkeit.
Und doch bleibt am Schluss der Eindruck einer luftigen Leere, die nicht anecken, nicht provozieren will. Bis man das Fenix auf der Rückseite verlässt und mitten im vitalen Viertel Katendrecht steht und unvermittelt in eine marokkanische Hochzeitsgesellschaft gerät. Hupende Karossen mit aufheulenden Motoren, winkende Hände, applaudierende Passanten, ein Mädchen mit wehenden Haaren im offenen Schiebedach. Die Euphorie der Bewegung, ganz ohne geschmackvoll kuratierte Gebremstheit.
Compliance-Hinweis: Die Reise nach Rotterdam erfolgte auf Einladung von Rotterdam Partners.
Dabei ist der sogenannte „Tornado“, der sich in das 300 Meter lange, 1923 von Architekt Cornelis Nicolaas van Goor errichtete Lagerhaus hineinschraubt, eine seriöse Angelegenheit: Ein Museum für Migration, genannt Fenix, das vor zwei Wochen unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit von Königin Maxima höchstpersönlich eröffnet wurde. Der Ort könnte nicht passender sein: Direkt gegenüber, an einer Landspitze mit Blick nach Westen, verließen im 19. und 20. Jahrhundert zahllose Schiffe mit Auswanderern am sogenannten Pier der Tränen Europa in Richtung der USA. Ein Ort von Hoffnung, Abschied und Neubeginn, von Brüchen in Biografien.
Dass es sich bei Migration nicht um einen problembelasteten Ausnahmefall, sondern um eine Konstante der Menschheitsgeschichte handelt, kann nicht oft genug gesagt werden, und es wurde bei der Eröffnung des Fenix auch mehrmals gesagt. „Jede Familie hat eine Migrationsgeschichte zu erzählen“, betont Museumsdirektorin Anne Kremers. „Migration ist zeitlos, universell und persönlich.“
Museen haben sich immer wieder des Themas angenommen (in Wien etwa das Wien-Museum und das Musmig-Museum für Migration). Rotterdam, der Hafen Europas, ist der ideale Ort, um diese Geschichten zu erzählen. Im Süden der Stadt, der direkt hinter dem Museum, im alten Hafenarbeiterviertel Katendrecht, beginnt, leben viele Bürger mit Migrationshintergrund und mit dem in Marokko geborenen Ahmed Aboutaleb, der von 2009 bis 2024 amtierte, hatte die Stadt als erste in Europa einen muslimischen Bürgermeister.
Kein historisches Museum
Das Fenix ist jedoch kein historisches Museum, sondern erzählt Geschichte mit den Mitteln der Kunst. Die Fotoausstellung The family of migrants schlägt den Bogen über Jahrzehnte und Kontinente, die Hauptausstellung All Directions zeigt einen Teil der Berliner Mauer, den Reisepass eines Staatenlosen und Werke zeitgenössischer Künstlerinnen, die sich mit Flucht- und Wanderbewegungen auseinandersetzen, manche freiwillig, andere nicht.
Sie alle bekommen in den hohen, weiten Räumen des mit großem Aufwand renovierten Lagerhauses viel Platz und viel Licht. Große Geste beschränkte Ma Yansong auf das spektakuläre Stiegenhaus, ansonsten konzentrierte sich der Architekt auf den Erhalt des Bestands. Dieser eignet sich mit seinen enormen Raumdimensionen zwar als Ausstellungsraum, doch bleibt zwischen den Objekten immer noch so viel Luft übrig, dass sie isoliert für sich stehen und der gemeinsame Kontext in der Leere der Zwischenräume etwas verloren geht.
So viel Leere an einer solchen Prime-Location muss man sich leisten können, und gespart werden musste hier nicht. Hinter dem Museumsprojekt steckt die philantropische Stiftung Droom en Daad („Traum und Tat“) der milliardenschweren Familie Van der Vorm, die ihr Geld mit der berühmten transatlantischen Schifffahrtslinie Holland Amerika Lijn verdiente. Seit einigen Jahren kauft sich Droom en Daad massiv in die Rotterdamer Kulturlandschaft ein, was vor Ort auch kritisch gesehen wird. Sie investierte 80 Millionen in die Sanierung des Rotterdamer Kulturflaggschiffs Museum Boijmans van Beuningen und rettete das darbende Fotografiemuseum, ein Tanz-Zentrum soll folgen. Man kann schlimmere Dinge mit Geld anstellen, aber ohne erwartete Gegenleistungen wird in den kaufmännisch gesinnten Niederlanden nicht gehandelt.
Ist ein Museum für Migration heute, da sich in den Niederlanden rechte Parteien im Aufschwung befinden, ein politisches Statement? Nein, das sei nicht das Ziel, winkt Wim Pijbes, früherer Leiter des Amsterdamer Rijksmuseums und jetzt Direktor von Droom en Daad, diplomatisch ab. Damit ist das Thema Politik für ihn abgehakt, viel mag er über das schöne Gebäude reden und über seine Idee, deren Weg zur Umsetzung so glatt verlief wie die verspiegelten Stiegen. „Im Februar 2017 stand ich vor diesem Gebäude und wusste: der perfekte Standort für das Museum.“ Fehlte nur noch der perfekte Architekt.
Migration ist Bewegung
Nun hat Rotterdam mit Rem Koolhaas, MVRDV und anderen eine überdurchschnittliche Dichte an exzellenten Architekturteams, doch die kamen nicht zum Zuge. Einen Architekturwettbewerb sparte sich die Privatstiftung. „Bei einem Symposium hörte ich einen Vortrag von Ma Yansong und wusste, er ist der Richtige,“ erinnert sich Pijbes. Also wurde der Architekt nach Rotterdam eingeladen, die Bausubstanz besichtigt. „Nach einer langen Pause sagte Yansong zu mir: Beim Thema Migration geht es vor allem um Bewegung. Ich war begeistert!“
Warum ein Architekt aus China eingeflogen werden muss, um diesen zwar korrekten, aber nicht außerordentlich originellen Satz zu äußern, weiß nur Pijbes selbst, aber die Wahl ist keine schlechte. Ma Yansong, der 2004 das Büro MAD Architects gründete, stieg schnell in die Liga der staatstragenden Museumsarchitekten auf, heute mit Standorten in Peking, Rom und Los Angeles. Sein Stiegentornado, in dem sich mehrere Wege von unten nach oben überschneiden und kreuzen, inszeniert die Metapher von Migration als Serie von Begegnungen mit angemessener Leichtigkeit.
Und doch bleibt am Schluss der Eindruck einer luftigen Leere, die nicht anecken, nicht provozieren will. Bis man das Fenix auf der Rückseite verlässt und mitten im vitalen Viertel Katendrecht steht und unvermittelt in eine marokkanische Hochzeitsgesellschaft gerät. Hupende Karossen mit aufheulenden Motoren, winkende Hände, applaudierende Passanten, ein Mädchen mit wehenden Haaren im offenen Schiebedach. Die Euphorie der Bewegung, ganz ohne geschmackvoll kuratierte Gebremstheit.
Compliance-Hinweis: Die Reise nach Rotterdam erfolgte auf Einladung von Rotterdam Partners.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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