Artikel
Reininghausgründe Graz: Wo einst Malz entstand, spielt’s jetzt Kultur

Die Tennenmälzerei im neuen Grazer Stadtteil Reininghaus wurde 1888 vom Stadtbaumeister errichtet und diente der Aufbereitung von Getreide für die Bierproduktion. Nun bietet sie Platz für Kunst, Kultur und Gemeinschaftsleben.
20. Mai 2025 - Sigrid Verhovsek
Auf dem 54-Hektar-Areal des neuen Grazer Stadtteils Reininghaus wird noch immer eifrig gebaut. Inmitten der sich horizontal und vertikal ausbreitenden Neubauten haben sich einige denkmalgeschützte „Andenken“ an die große Zeit der einstigen Brauerei im ausgehenden 19. Jh. erhalten: ein beinahe 30 Meter hoher Silospeicher, der nun seltsam zartgliedrig und niedrig anmutet, die als Kinderkrippe und -garten genutzte Villa Keil, der Hauptbrunnen, dessen achteckiger Pavillon ungeahnte Tiefen birgt, und die Tennenmälzerei. Letztere war 1888 von Stadtbaumeister Johann de Colle errichtet worden und diente der Aufbereitung von Getreide für die Bierproduktion.
Sakrale Wirkung
Anfang der 2000er-Jahre war sie im Hin und Her um Filetierung, Verkauf und Wiederverkauf trotzig in eine Art Dornröschenschlaf verfallen. Gut bewacht wurde sie dabei stets, etwa von Andreas Goritschnig vom Open Lab Reininghaus und vom Verein der Stadtdenker:innen. Von ihnen wurde stets ein altes Versprechen der Stadt Graz und privater Investoren eingefordert: die Tennenmälzerei für Kunst, Kultur und Soziales zu nützen, sie zu einem zentralen Reiningherz zu machen.
Nachdem das Gebäude 2021 von der Stadt wieder erworben worden war, passierte zunächst nicht viel, außer dass Interessenten weiterhin Ideen schmiedeten und Begehrlichkeiten noch deutlicher zutage traten. Das Haus wirkt von außen unscheinbar, eher brüchig oder unfertig. Dies rührt daher, dass es an drei Seiten mit anderen, mittlerweile abgerissenen Häusern „zusammengewachsen“ war und nun nur noch die Südfront als Fassade erhalten ist; zudem liegt das EG-Niveau deutlich unter dem angrenzenden Terrain. Die beiden übereinanderliegenden Hallen mit je etwa 600 m² Grundfläche zeichnen sich durch dreischiffige offene Innenräume mit pfeilergestützten Gurt- und Schildbögen aus. Der Charme dieses mächtigen Ziegelgewölbes liegt auch in jener sakralen Wirkung, wie sie die frühe Industriearchitektur (selbst-)bewusst inszenierte.
„So viel wie nötig, so wenig wie möglich“
Erst ein Sturmschaden 2024, der eine komplette Neueindeckung des Daches notwendig machte, brachte sprichwörtlich frischen Wind in die Sache. Seitens der Stadt Graz wurden fünf Planerbüros zu einem Wettbewerb geladen, um die Mälzerei für eine zukunftsoffene Zwischennutzung zu revitalisieren: Kunst und Kultur im Veranstaltungsraum im Erdgeschoß, Community-Ebene als Quartierszentrum im Obergeschoß. Eine endgültige „fixe“ Bestimmung steht aber ebenso wie das dafür notwendige Budget noch aus – und das ist vielleicht gut so, denn dieser Ort darf sich nun aus Bedürfnissen formen. Der Stadtsoziologe Lucius Burckhardt hat diese Vorgangsweise einst als „Plan der kleinsten Voraussage“ definiert: Schrittweise sollte unsere Umwelt so geschaffen werden, dass sie sich in unserer Vorstellung ständig neu komplettiert und entsprechend materialisiert.
Die vom interdisziplinären Planungsteam des Breathe Earth Collective zusammen mit Hohensinn Architektur realisierte Lösung verbindet nun in konsequenter Form die goldene Regel des „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ mit einem hohen Anspruch an Ästhetik und mit viel Respekt vor dem eigenartigen Gebilde. Das zum Schutz von Gebäude und Passanten rund um die Mälzerei gelegte Bausicherheitsnetz wird zu einer Art Lowtech-Variante der Haut des Grazer Kunsthauses, ein manuell zu bedienendes Display für Ankündigungen oder künstlerische Interventionen. Auf der Südseite öffnet sich diese Verkleidung für eine 36 mal neun Meter große Eingangszone mit einem drei Meter tiefen Stahlgerüst, das Lift, Stiegen und überdachte Veranda trägt. Für den barrierefreien Zugang wurde das Niveau abgesenkt; wie eine kleine Arena liegt nun ein Mini-Garten vor dem Entree.
Auf den Emaillen thronte Kreisky
Im Inneren sind Spuren ehemaliger Nutzungen erhalten: Die alten Schütten für den Getreidetransport zwischen den Geschoßen wurden aus Brandschutzgründen einfach abgedichtet, Putzflächen und Mauerwerk, Rohrleitungen und sogar alte Steckdosen sind weitgehend unberührt, ebenso wie die Bodenmarkierungen einer „La Strada“-Produktion. Erforderliche Trennelemente wurden mit exakt gearbeiteten Bugholzrahmen aus Fichte, in die Glas- oder Lichtstegplatten gefügt wurden, in die Bögen gesetzt, können aber leicht entfernt werden. Das Revival der Lichtstegplatten verwundert zunächst, als industrielles Element passen sie jedoch gut zur Raumgeschichte und sorgen für spannende Lichtsituationen. Vorhangsysteme erlauben weitere Abtrennungen und somit modulare Benutzung.
Dem Experiment wie dem knappen Budget von etwa einer Million Euro geschuldet ist die Tatsache, dass nur kleine Teile des Gebäudes beheizt werden, gekennzeichnet durch einen quietschgelben Boden. Der Verzicht auf eine Lüftungsanlage machte eine strikte Zugangsbeschränkung von 240 Personen im EG und 120 Personen im OG notwendig. Hinsichtlich der Verwaltung wäre eine Vermischung von künstlerischen und kulturellen Veranstaltungen sowie gemeinschaftlicher Nutzung denkbar, scheitert aber an den verschiedenen Zuständigkeiten: Die „Nachbarschaft“ im OG steht unter der Ägide des Stadtteilmanagements, der kostenpflichtig anmietbare Veranstaltungsbereich im Parterre jener der Stadt Graz. An der Tarifordnung wird noch gefeilt.
Aber der Gemeinschaftsbereich im ersten Stock ist bereits in vollem Betrieb: Neben dem am Eingang platzierten Stadtteilbüro, der von Daniel Huber und Julia Wohlfahrt betreuten Drehscheibe für die Entwicklung der Quartierskultur, liegen Besprechungs- und Servicebereich mit Küche/Bar, Sanitäreinheiten und Lagerraum, danach folgen der mächtige Open Space und ein kleiner Werkraum. Das Mobiliar verwertet andernorts ausgemusterte Stücke wieder: Die Küche ist aus dem alten Stadtteilbüro, die Scheinwerfer stammen aus der Vorklinik, und es wird gemunkelt, dass auf den Emaillen aus der Wiener AK bereits Bruno Kreisky thronte. Fundstücke aus der alten Brauerei tragen zum stimmigen Gesamtbild bei. Bis auf Büro und Werkraum stehen diese Räumlichkeiten nach Anmeldung via Schlüsselkarte zur freien Verfügung der Nachbarschaft von und in Reininghaus. Der Chor probt bereits vor Ort, die Krabbelstube hat ihr Interesse angemeldet, Diavorträge sind in Planung.
Architektonisch wurde alles richtig gemacht, damit ein Gemeinschaftsraum gelingen kann. Die Räumlichkeiten sind weder über- noch unterbestimmt, es ist weder ein überdeterminiertes Vorzeigeprojekt noch ein im letzten toten Winkel der Wohnanlage übrig gebliebener Restraum. Das beeindruckende Raumszenario der Zwischennutzung spielt lustvoll mit dem Temporären, dem Reversiblen, dem Re-Use, mit der Geschichte und der Zukunft. Hoffentlich gilt auch hier, dass nichts länger hält als Provisorien. Aber mit dem Raumangebot allein ist es selten getan, wie Daniel Huber weiß: „Es braucht vor allem Menschen, die diese Räume organisieren, die sie dauernd und aktiv bespielen und die eine offene Kommunikation in dieser neuen, großen und diversen Nachbarschaft aufrechterhalten.“
Sakrale Wirkung
Anfang der 2000er-Jahre war sie im Hin und Her um Filetierung, Verkauf und Wiederverkauf trotzig in eine Art Dornröschenschlaf verfallen. Gut bewacht wurde sie dabei stets, etwa von Andreas Goritschnig vom Open Lab Reininghaus und vom Verein der Stadtdenker:innen. Von ihnen wurde stets ein altes Versprechen der Stadt Graz und privater Investoren eingefordert: die Tennenmälzerei für Kunst, Kultur und Soziales zu nützen, sie zu einem zentralen Reiningherz zu machen.
Nachdem das Gebäude 2021 von der Stadt wieder erworben worden war, passierte zunächst nicht viel, außer dass Interessenten weiterhin Ideen schmiedeten und Begehrlichkeiten noch deutlicher zutage traten. Das Haus wirkt von außen unscheinbar, eher brüchig oder unfertig. Dies rührt daher, dass es an drei Seiten mit anderen, mittlerweile abgerissenen Häusern „zusammengewachsen“ war und nun nur noch die Südfront als Fassade erhalten ist; zudem liegt das EG-Niveau deutlich unter dem angrenzenden Terrain. Die beiden übereinanderliegenden Hallen mit je etwa 600 m² Grundfläche zeichnen sich durch dreischiffige offene Innenräume mit pfeilergestützten Gurt- und Schildbögen aus. Der Charme dieses mächtigen Ziegelgewölbes liegt auch in jener sakralen Wirkung, wie sie die frühe Industriearchitektur (selbst-)bewusst inszenierte.
„So viel wie nötig, so wenig wie möglich“
Erst ein Sturmschaden 2024, der eine komplette Neueindeckung des Daches notwendig machte, brachte sprichwörtlich frischen Wind in die Sache. Seitens der Stadt Graz wurden fünf Planerbüros zu einem Wettbewerb geladen, um die Mälzerei für eine zukunftsoffene Zwischennutzung zu revitalisieren: Kunst und Kultur im Veranstaltungsraum im Erdgeschoß, Community-Ebene als Quartierszentrum im Obergeschoß. Eine endgültige „fixe“ Bestimmung steht aber ebenso wie das dafür notwendige Budget noch aus – und das ist vielleicht gut so, denn dieser Ort darf sich nun aus Bedürfnissen formen. Der Stadtsoziologe Lucius Burckhardt hat diese Vorgangsweise einst als „Plan der kleinsten Voraussage“ definiert: Schrittweise sollte unsere Umwelt so geschaffen werden, dass sie sich in unserer Vorstellung ständig neu komplettiert und entsprechend materialisiert.
Die vom interdisziplinären Planungsteam des Breathe Earth Collective zusammen mit Hohensinn Architektur realisierte Lösung verbindet nun in konsequenter Form die goldene Regel des „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ mit einem hohen Anspruch an Ästhetik und mit viel Respekt vor dem eigenartigen Gebilde. Das zum Schutz von Gebäude und Passanten rund um die Mälzerei gelegte Bausicherheitsnetz wird zu einer Art Lowtech-Variante der Haut des Grazer Kunsthauses, ein manuell zu bedienendes Display für Ankündigungen oder künstlerische Interventionen. Auf der Südseite öffnet sich diese Verkleidung für eine 36 mal neun Meter große Eingangszone mit einem drei Meter tiefen Stahlgerüst, das Lift, Stiegen und überdachte Veranda trägt. Für den barrierefreien Zugang wurde das Niveau abgesenkt; wie eine kleine Arena liegt nun ein Mini-Garten vor dem Entree.
Auf den Emaillen thronte Kreisky
Im Inneren sind Spuren ehemaliger Nutzungen erhalten: Die alten Schütten für den Getreidetransport zwischen den Geschoßen wurden aus Brandschutzgründen einfach abgedichtet, Putzflächen und Mauerwerk, Rohrleitungen und sogar alte Steckdosen sind weitgehend unberührt, ebenso wie die Bodenmarkierungen einer „La Strada“-Produktion. Erforderliche Trennelemente wurden mit exakt gearbeiteten Bugholzrahmen aus Fichte, in die Glas- oder Lichtstegplatten gefügt wurden, in die Bögen gesetzt, können aber leicht entfernt werden. Das Revival der Lichtstegplatten verwundert zunächst, als industrielles Element passen sie jedoch gut zur Raumgeschichte und sorgen für spannende Lichtsituationen. Vorhangsysteme erlauben weitere Abtrennungen und somit modulare Benutzung.
Dem Experiment wie dem knappen Budget von etwa einer Million Euro geschuldet ist die Tatsache, dass nur kleine Teile des Gebäudes beheizt werden, gekennzeichnet durch einen quietschgelben Boden. Der Verzicht auf eine Lüftungsanlage machte eine strikte Zugangsbeschränkung von 240 Personen im EG und 120 Personen im OG notwendig. Hinsichtlich der Verwaltung wäre eine Vermischung von künstlerischen und kulturellen Veranstaltungen sowie gemeinschaftlicher Nutzung denkbar, scheitert aber an den verschiedenen Zuständigkeiten: Die „Nachbarschaft“ im OG steht unter der Ägide des Stadtteilmanagements, der kostenpflichtig anmietbare Veranstaltungsbereich im Parterre jener der Stadt Graz. An der Tarifordnung wird noch gefeilt.
Aber der Gemeinschaftsbereich im ersten Stock ist bereits in vollem Betrieb: Neben dem am Eingang platzierten Stadtteilbüro, der von Daniel Huber und Julia Wohlfahrt betreuten Drehscheibe für die Entwicklung der Quartierskultur, liegen Besprechungs- und Servicebereich mit Küche/Bar, Sanitäreinheiten und Lagerraum, danach folgen der mächtige Open Space und ein kleiner Werkraum. Das Mobiliar verwertet andernorts ausgemusterte Stücke wieder: Die Küche ist aus dem alten Stadtteilbüro, die Scheinwerfer stammen aus der Vorklinik, und es wird gemunkelt, dass auf den Emaillen aus der Wiener AK bereits Bruno Kreisky thronte. Fundstücke aus der alten Brauerei tragen zum stimmigen Gesamtbild bei. Bis auf Büro und Werkraum stehen diese Räumlichkeiten nach Anmeldung via Schlüsselkarte zur freien Verfügung der Nachbarschaft von und in Reininghaus. Der Chor probt bereits vor Ort, die Krabbelstube hat ihr Interesse angemeldet, Diavorträge sind in Planung.
Architektonisch wurde alles richtig gemacht, damit ein Gemeinschaftsraum gelingen kann. Die Räumlichkeiten sind weder über- noch unterbestimmt, es ist weder ein überdeterminiertes Vorzeigeprojekt noch ein im letzten toten Winkel der Wohnanlage übrig gebliebener Restraum. Das beeindruckende Raumszenario der Zwischennutzung spielt lustvoll mit dem Temporären, dem Reversiblen, dem Re-Use, mit der Geschichte und der Zukunft. Hoffentlich gilt auch hier, dass nichts länger hält als Provisorien. Aber mit dem Raumangebot allein ist es selten getan, wie Daniel Huber weiß: „Es braucht vor allem Menschen, die diese Räume organisieren, die sie dauernd und aktiv bespielen und die eine offene Kommunikation in dieser neuen, großen und diversen Nachbarschaft aufrechterhalten.“
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom