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Was tun mit leerstehenden Industriebauten im Waldviertel?
Spectrum

Die Textilfabrik Hirschbach auf der Suche nach einer Neubestimmung: wie ein Wiener Architektenduo einem Stück Waldviertler Industrieerbe neuen Sinn geben will. Und was eine an die Wand gepinselte Mona Lisa damit zu tun hat.

24. Mai 2025 - Wolfgang Freitag
Wie gestrandete Wale liegen sie in hiesigen Landschaften, ausgespuckt vom Meer der Zeit: jene massigen Kubaturen, die einst den kapitalistischsten Sehnsüchten der Industrialisierung Heimstatt boten und mittlerweile kaum mehr als – womöglich denkmalgeschützter – Ballast einer Gegenwart sind, die mit ihnen nichts anzufangen weiß.

Während der Bröckelcharme von „Lost Places“ solcher Art ganze Fotobände füllt, stellt die Wirklichkeit unserer Tage, unsentimental, wie sie ist, fortwährend drängender die Frage, wie lang wir es uns angesichts anderweitig so heftig kritisierten Bodenverbrauchs leisten können, via Leerstand historischer Gewerbe- und Industriekomplexe Nutzflächen sonder Zahl, teils in bester Lage, ungenutzt zu sehen. Und ob denn einschlägige Zeugnisse der Vergangenheit auch dann so dringlich zu erhalten seien, wenn sich selbst nach etlichen Jahrzehnten keinerlei Aussicht auf Neu- oder Umnutzung einstellen will.

Die Großmutter hat hier noch gearbeitet

Prominente Beispiele wie die Hammerbrotwerke in Schwechat, unweit der Wiener Stadtgrenze, oder die Neusiedler Papierfabrik, ihrerseits nächst Schwechat gelegen, mögen architektur- wie sozialhistorisch noch so bedeutsam sein: Was nicht verwendet wird, ist langfristig nicht zu retten, denn erst verfällt es, und irgendwann holt sich die Natur zurück, was ihr vordem genommen wurde, alles nur eine Frage der Zeit. Dass ein Nebengebäude der Neusiedler Papierfabrik, zwei Jahre ist es her, als Varieté-Lokal Wiederauferstehung feiern durfte, ist ein kleiner Anfang, der im konkreten Fall Hoffnung gibt – aber nicht mehr als das.

In sehr viel peripherere Industriegefilde hat sich ein in Wien situiertes Architektenduo vorgewagt. David Calas und Barbara Calas-Reiberger haben das textile Erbe des nördlichen Waldviertels erkundet und was von dessen baulicher Verlassenschaft wie für die Zukunft zu gewinnen wäre: von Großkomplexen wie der Backhausenkolonie bei Gmünd bis zu Kleinstobjekten wie den sogenannten Haarstuben, in denen einst aus widerborstigen Flachsstängeln jene Fasern gewonnen wurden, die wir als Leinen kennen. Erstes Ergebnis ihrer Auseinandersetzung: die Ausstellung „Wertvolles Erbe, aktive Zukunft“, die derzeit in Krems gezeigt wird.

Konkreter Anlass dieser Beschäftigung: der Erwerb eines Objekts, das zu jenem textilen Erbe zählt – der Textilfabrik Hirschbach. Kein Zufall, vielmehr quasi persönliche Notwendigkeit: Ihre Großmutter habe noch selbst hier gearbeitet, erzählt Barbara Calas-Reiberger gleich zu Beginn unserer Begegnung, da stehen wir noch in jenem der beiden Eingänge zur Textilfabrik, den Generationen von Arbeiterinnen und Arbeitern passierten – auf dem Weg zu dem geräumigem Saal, in dem erst die Webstühle einer Genossenschaft, ab der Zwischenkriegszeit die Strickmaschinen eines Wiener Fabrikanten Platz fanden.

Im Ortsverband integriert

Das Thema Leerstand habe sie schon früher beschäftigt, so Calas-Reiberger; das ihr seit Kindheitstagen vertraute Gebäude sei dann willkommener Gegenstand gewesen, „die Sache einmal selbst in die Hand zu nehmen“. Will sagen: entwickelte Konzeptideen im Selbstversuch auf Tauglichkeit zu prüfen.

Immerhin kann das Objekt im Vergleich zu ähnlichen Fällen auf einige Vorzüge verweisen. Zum einen ist es in den Ortsverband integriert, zum anderen öffentlich gut erreichbar, keine zehn Gehminuten von der nächsten Haltestelle der Franz-Josefs-Bahn entfernt, und überdies von handhabbarer Größe. 800 Quadratmeter überdachter Raum samt weiteren 1400 Quadratmetern, verteilt auf zwei Innenhöfe: Das sind Dimensionen, die nicht schon a priori noch so hochmögende Pläne unter der Masse der aufzuwendenden Mittel erdrücken.

Dazu kommt, dass sich die vorhandene Substanz, im Kern aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammend, als erstaunlich widerstandsfähig gegen die Anfechtungen der Zeit erwiesen hat. Gewiss, Spuren jahrzehntelanger Vernachlässigung seien nicht zu übersehen, und ja, es gebe einen beträchtlichen Aufbesserungsbedarf, weiß Calas-Reiberger und verweist auf Risse in der Wand, auf Gebäudeteile, die vom Wegbrechen bedroht waren. Andererseits, für mehr als ein halbes Jahrhundert weitgehenden Leerstands scheint das weniger schlimm, als man erwarten könnte.

Dass es sich dennoch bei der Sanierung der Textilfabrik Hirschbach um ein „Millionenprojekt“ handelt, darum weiß Calas-Reiberger genauso wie darum, dass vor jeder Sanierung eine Antwort auf die Frage aller Leerstandsaktivierungsfragen zu suchen ist: Welchem langfristig tragfähigen Zweck kann die Sanierung dienen?

Die dabei stets parate Idee einer Musealisierung stand für Calas-Reiberger nie zur Diskussion: „Man kann nicht aus jedem alten Gebäude ein Museum machen.“ Eine Umfrage unter der Ortsbevölkerung, nicht zuletzt angestellt, um das Vorhaben besser in die Gemeinde einzubinden, förderte rasch Wohnen als eine der zentral erwünschten Nutzungen zutage: sei es im Rahmen zeitlich begrenzter Vermietung oder etwa in Form betreuten Wohnens.

Ein Wunsch, dem Calas-Reiberger in sehr spezieller Weise Rechnung tragen will: „Wir versuchen derzeit, Baugruppen für die Textilfabrik zu interessieren“, also Bauwillige, die sich zur gemeinsamen Gestaltung ihres künftigen Wohnraums zusammenfinden. Ein Ziel, dem in den kommenden Wochen mehrere „Wohnevents“ gewidmet sind: mit der Möglichkeit, das Projekt und andere Interessenten an Ort und Stelle kennenzulernen.

Der ehemalige Maschinensaal allerdings soll in seiner Großzügigkeit erhalten bleiben: „Den haben wir schon jetzt für verschiedene Zwischennutzungen aufgepeppt, und der wird auch künftig kulturellen Aktivitäten zur Verfügung stehen.“ Und vielleicht finde sich ja auch noch Platz für eine kleine „Museumsnische“, in der sich diverse vorgefundene Artefakte vergangener Textilfabrikstage präsentieren lassen.

So manche Nutzungsidee gäbe es darüber hinaus – nur weniges davon wird, falls überhaupt, Wirklichkeit werden. Schließlich, wollte man all jene Träume finanzieren, die sich hier und anderwärts in Österreich an leer stehender Altsubstanz entzünden, dann müsste die glupschäugige Mona Lisa, die ein fantasievoller Nutzer an eine Wand der Textilfabrik gepinselt hat, von Leonardo stammen. Für Hirschbach immerhin besteht Hoffnung. Sehr viel mehr an Wunder wird nicht zu verlangen sein.

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