Beitrag

nextroom fragt: tnE Architects
nextroom fragt: tnE Architects, Portraitfoto: architektur in progress

Das Provozieren von Zufällen und Unvorhersehbarem ist Strategie für die Raum- und Programmproduktion ihrer Architektur. the next ENTERprise Architects arbeiten daran, alles aufzuspüren, was über das reine Funktionieren hinausführt. Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Ernst J. Fuchs im Interview mit Martina Pfeifer Steiner.

19. März 2019
In welchen Bürostrukturen arbeiten Sie?

Wir arbeiteten von Beginn an immer im Team, früher im größeren als THE POOR BOYs ENTERPRISE und jetzt mit durchschnittlich sechs bis zwölf Leuten im kleineren. Das Konzeptionelle bleibt schon sehr stark bei uns beiden, danach werden die Aufgaben im Büro verteilt. Wir gehen immer davon aus, dass jede Person eine andere Fährte legt und darauf sind wir sehr neugierig. Es gibt jedoch auch Projekte, die eine ausführlichere Aufbereitungsphase brauchen, dann beginnen unsere MitarbeiterInnen beispielsweise mit dem Umgebungsmodell oder der Recherche über Visionen, Utopien zu einem Themenkomplex. An offen ausgeschriebenen Wettbewerben beteiligen wir uns nur, wenn uns die Bauaufgabe wirklich unter den Nägeln brennt, ansonsten bleiben wir lieber bei geladenen Wettbewerben und Bewerbungsverfahren. Das hat sicherlich mit den Kapazitäten zu tun, bei einem kleinen Team muss die Treffsicherheit höher sein.
Des Weiteren gibt es noch den Kreis der bewährten Partner in Landschaftsplanung, Statik, Beleuchtung, Szenographie, Haustechnik oder Akustik mit denen wir schon jahrelang zusammenarbeiten. Wobei letzteres Thema bei uns eine besondere Rolle spielt. Das Hören ist etwas ganz Wichtiges! Egal ob Wohn-, Bürogebäude oder Veranstaltungssäle, die Akustik macht einen großen Teil der Atmosphäre aus, auch im Straßen- und Stadtraum. Durch dieses sensibelste unserer Sinnesorgane entstehen nämlich sofort Assoziationen und Bilder im Kopf. Die Bedeutung von Akustik darf man in der Architektur nicht unterschätzen, das wird mitunter viel zu technisch behandelt.

Was inspiriert Sie?

Das Ambiente unseres Büros – sehr dicht, mit vielen Modellen, Bildern, Fotos – kommt nicht von ungefähr. Wir schöpfen einfach gerne aus dem Vollen und das Sammeln für jede Aufgabe ist immer ausführlich und assoziativ. Für uns ist der Kontext, das Umfeld eine große Quelle der Inspiration. Wir fahren sehr gerne – wenn möglich gemeinsam – zum Grundstück und suchen nach dem Spezifischen: Topografien, Vegetation, auch die Tierwelt ist super interessant und natürlich die Menschen, wie sie dort leben und was durch die Benutzung eines Gebäudes passieren könnte. Wir beschäftigen uns auch intensiv mit Karten und der Historie, dabei wird ganz viel sichtbar. Alles ist in permanentem Fluss und man baut ja den Ort immer weiter. Wir lieben es, am Anfang sämtliches was uns in irgendeiner Form einfällt zuzulassen, aus einem breitem Spektrum zu schöpfen, auch wenn es weit hergeholt ist.
Uns inspiriert alles was lebendig hält. Einmal ist es eine Zeichnung, einmal eine Ausstellung, Musik, ein Interview, das man liest oder hört, einmal entdeckt man beim Durchspazieren in einem Gebäude atmosphärische Momente, die sehr anregend sein können. Auch Reisen haben ein enormes Potential. Offen sein und inspirationsbereit, das ist natürlich immer die Voraussetzung. Von Anfang an wollten wir Gebäude bauen, die genauso inspirierend sind, wie etwa Brachen oder Abbruchhäuser mit ihren Spuren von vergangenen Nutzungen. Wir sind auf der Suche nach Raumqualitäten, die für die NutzerInnen Unvorhersehbares bereithalten, Möglichkeiten sich den Raum anzueignen, zu gestalten, im Wohnhaus, in der Stadt, wo auch immer.

Was begrenzt die Verwirklichung Ihrer Visionen?

Es scheint unsere größte Herausforderung zu sein, auch das Gegenüber inspirationsbereit zu machen. Und wenn es sich gar um einen Konzern handelt, ist dies noch schwieriger. In unserem breit gefächerten Arbeitsspektrum ist es spannend, wenn es nicht nur um Bruttogeschoßflächen geht, sondern umgekehrt: Wie viel Quadratmeter und Volumen gibt es für Freiraum und Zwischenraum? Die Menschen sind es wert, beziehungsweise müsste es selbstverständlich sein, dass sie auch auf räumlicher Ebene Qualität bekommen. In Zeiten von Burnout, Vereinsamung, Unzufriedenheit ist Atmosphäre in der Architektur ein Riesenthema. Wenn es nur noch um Fakten und Excel-Tabellen geht, bleibt die Vielfältigkeit auf der Strecke. Ebenso sind die ganzen Regelwerke auf den Einfluss der Bauindustrie und Fehlentwicklungen zu hinterfragen.
Auch wenn wir uns wundervolle zukunftsweisende Konzepte ausdenken, können sie mitunter nicht gebaut werden. Es gibt nämlich gewaltige Ängste die Norm zu verlassen, leider auch bei Wettbewerben. Doch es braucht den Mut zu sagen: Wenn wir Innovationen wollen, müssen wir Experimente zulassen. Und zwar auf allen Ebenen, seien es technische oder gesellschaftliche Veränderungen. Im Schulbau oder im Wohnbau, wir müssen dies von Bauträgern, von der Stadt etc. einfordern, aber auch als Gesellschaft zulassen! Eigentlich ist jedes neue Gebäude ein Test: Erst wenn die Menschen drinnen arbeiten oder wohnen, werden sich die Möglichkeitsfelder zeigen und wie es sich weiterentwickelt. Wir gehen sogar davon aus, dass Raum erst in der Benutzung seine Funktion findet.

Welches Ihrer Projekte möchten Sie hervorheben?

Alle Projekte hängen bei uns sehr stark zusammen, egal ob es sich um konkrete Bauaufgaben, Installationen, Ausstellungsgestaltungen oder experimentelle Eingriffe in den Stadtraum und städtebauliche Konzepte handelt. Ausgehend vom performativen Potential von Architektur, dem Wechselspiel von Raum, Atmosphäre, Kontext und (Be-)Nutzer arbeiten wir inhaltlich und konzeptionell in größter Konsequenz. Jedes Gebäude ist ja ein Teil des Organismus Stadt im weitesten Sinne und der Natur. Es ist wesentlich, wie alles zueinander geordnet und strukturiert ist.
Angefangen mit dem Haus Zirl – ein räumliches Datenfeld, das nach eigenen Bedürfnissen besetzt und funktional bestimmt werden kann – oder dem „Blindgänger“ – anstelle eines Zaunes kann ein linearer Erlebnisraum durchschritten werden, der zugleich das Kulturgelände im Gewerbegebiet zoniert –, wir identifizieren uns nach wie vor stark mit unseren Projekten. Genauso mit dem unterirdischen Hallenbad – ein „Wohn-Bad“ als in der Erdmasse schwimmender Lufteinschluss – oder dem Seebad Kaltern – ein Erlebnisbad, das sich abends auch zu einem Veranstaltungsort verwandelt. Der Wolkenturm im Schlosspark Grafenegg – eine Freiluftbühne als skulptural geformtes Objekt – war ein interessantes Projekt für uns. Ausgehend von den akustischen Grundregeln „wie man sieht, so hört man” untersuchten wir die Affinitäten zwischen perspektivischem und akustischem Raum.
Die intensive Beschäftigung mit Akustik zieht sich in unserer Arbeit durch, aber auch die Assoziationen, die über den Geruchssinn ausgelöst werden, bei den Schwimmbädern beispielsweise. Oder bei der Installation „silent conquest“ im barocken Ambiente des Winterpalais des Belvederes. Hier wurde das aufgeblasene wassergefüllte Objekt mit einem eigens entwickelten Parfum angereichert, das sich durch die interagierenden BesucherInnen entfaltete. Die Lichtreflexionen des bewegten Wassers zeichneten demokratische Deckengemälde – eine lautlose Eroberung der prunkvollen Räume.
Exemplarisch für unsere Arbeit steht auch das Projekt „HAWI – Experimentelles Wohnen auf Zeit“, ein Beitrag im Österreich Pavillon bei der Architekturbiennale 2016 in Venedig: Ein innovatives Wohnkonzept, das im Rahmen des Pilotprojektes Kempelenpark auch als Teil eines hybriden Stadtbausteins fungiert. Schauplatz der Interventionen sind zwei Etagen der ehemaligen Siemens-Zentrale aus den 1980er-Jahren. Wir entwickelten kostengünstige Infrastrukturen, die von den NutzerInnen individuell in Besitz genommen werden können. Ein Ineinandergreifen von unterschiedlichen Tätigkeiten: Wohnen, Arbeiten, Produzieren, Unterhalten. Durch die Öffnung zum Kempelenpark entstanden zudem interaktive und kommunikative Zonen für neue Formen der Stadtbenutzung.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Architektur sollte wie Musik und Bildende Kunst als Unterrichtsfach vermittelt werden, und zwar von Anfang an. Die Beschäftigung mit unterschiedlichen kreativen, eben nicht pragmatischen Themen darf nicht als Beiwerk behandelt werden. In unserem Bildungssystem könnten Mehrstufenklassen, wo die Kinder unterschiedlichen Alters voneinander lernen, Kreativität und das Bewusstsein für soziales Verhalten fördern. Joseph Beuys gesteht ja jedem Menschen ein kreatives Potential zu, das man aber herausfordern muss, und dann würden auch Entscheidungen richtiger getroffen. Mit seiner künstlerisch-ökologischen Intervention 7.000 Eichen im der Stadt Kassel zu pflanzen, initiiert 1982 bei der documenta 7, gelang eine nachhaltige stadtbildprägende Veränderung, an der sich die Leute mit dem Kauf und der Pflanzung eines Bäumchens beteiligen konnten.
Beim Biennale-Projekt beschäftigten wir uns damit, wie man Zwischenräume so inszeniert oder aufbereitet, dass sie auch Treffpunkte werden, wo ganz unterschiedliche Menschen auf einmal neben einander sitzen, Vorurteile abbauen, gemeinsam irgendetwas auf die Beine stellen können. Wir haben es eigentlich nicht gelernt uns den öffentlichen Raum einfach anzueignen. Es soll selbstverständlicher werden, aktiv zu sein und es sich gut einzurichten. In unserer Lehrtätigkeit reden wir immer über das Hybride und über die Bereitschaft in anderen Lebensmodellen zu denken. Dazu gehört auch, die Natur wesentlich einzubeziehen. Wenn wir der Natur immer mehr wegnehmen, werden wir bald nicht mehr atmen können. Da müssen wir Konzepte finden, das Passivhaus ist nicht die Antwort auf unsere Herausforderungen. Es geht um Synergien, Verhältnismäßigkeiten und Raumqualitäten. Und Nachhaltigkeit hat auch mit einer hohen Identifikation mit den Gebäuden zu tun.
»nextroom fragt« ist ein neues Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ungeachtet ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

teilen auf