Vergessenes Bauhaus

Mit Empathie erzählt ein neues Buch vom Hoffen und Scheitern der «Bauhaus-Stossbrigade Rot Front» im Moskau Stalins. Es kann aber die ausstehende architekturhistorische Forschung nicht ersetzen.

Bettina Maria Brosowsky
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Das Hundertjahrjubiläum des Bauhauses rückt näher. Gegründet worden war es 1919 in Weimar. Sechs Jahre später, 1925, zog es weiter nach Dessau, wo es den legendären Neubau von Walter Gropius beziehen und das Lehrangebot weiter institutionalisieren konnte. Unter dem erstarkenden Nationalsozialismus vermochten die «Bauhäusler» ab 1932 nur noch einen reduzierten Privatbetrieb in Berlin aufrechtzuerhalten, 1933 erfolgte die Selbstauflösung.

Hannes Meyer Anfang der 1930er Jahre in seinem Arbeitszimmer in Moskau. (Bild: PD)

Hannes Meyer Anfang der 1930er Jahre in seinem Arbeitszimmer in Moskau. (Bild: PD)

In Weimar und Dessau werden derzeit Bauhaus-Museen gebaut, die im Jubeljahr 2019 eröffnet werden sollen, im Westen Berlins erweitert sich das dort seit 1979 ansässige Bauhaus-Archiv. Das Wissen um die Bauhaus-Heroen – neben dem Gründer Walter Gropius etwa Ludwig Mies van der Rohe, Paul Klee, Lyonel Feininger, László Moholy-Nagy, Wassily Kandinsky oder auch die Innenraum- und Ausstellungsgestalterin Lilly Reich sowie die Textilkünstlerin Gunta Stölzl – ist verbreitet. Ihr Werk und ihre Biografien sind gut erforscht, Monografien und Ausstellungen leisten konstant Revisionen.

Das Bauhaus und die Politik

Ganz anders steht es um weniger prominente «Bauhäusler», und erst recht um die Masse der immerhin rund 1200 Studierenden dieses Instituts. Hier lägen auch nach hundert Jahren noch wissenschaftliche Desiderate. Ein Grund für diese Fehlstellen mag sein, dass die westlich internationale Rezeption des Bauhauses lange Zeit von Walter Gropius (1883–1969) dominiert wurde. Der Architekturtheoretiker Claude Schnaidt etwa konnte 1965 eine erste Monografie über den (Verweis) höchst innovativen Basler Architekten Hannes Meyer (1889 bis 1954), den auf den Gründer Gropius folgenden «roten» Bauhaus-Direktor, nur mit einem verlegerischen Nachwort herausgeben, in dem sich Gropius mit harschen Worten von Meyer abwandte und menschlich enttäuscht zeigte.

Unter der Leitung von Hannes Meyer entstand 1931 dieses nichtrealisierte Projekt des Palast der Sowjets. (Bild: Stschusev-Museum Moskau)

Unter der Leitung von Hannes Meyer entstand 1931 dieses nichtrealisierte Projekt des Palast der Sowjets. (Bild: Stschusev-Museum Moskau)

Gropius betrieb eine rückwirkende Entpolitisierung des Bauhauses. Die Bauhaus-Ära unter Hannes Meyer, in der marxistisch-leninistisches Gedankengut in die Lehre einzog und sich die Projektarbeit in kollektiven «Brigaden» organisierte, passte nicht zur Stilisierung des Bauhauses als apolitische Idee zeitloser Gestaltung. Und auch die DDR leistete, nach der anfänglichen Diskreditierung des Bauhauses als «bürgerlich formalistisch», eher Klassenkämpferisches denn Sachdienliches zur Rezeption seines politischen Erbes.

Weitgehend aus der architekturhistorischen Forschung verdrängt scheint die Zeit der Weltwirtschaftskrise nach 1929. Sie bedeutete für viele westeuropäische Architekten den Verlust ihrer Aufträge oder Arbeitsplätze, während gleichzeitig das postrevolutionär kommunistische Russland mit gigantischen Fünfjahresplänen und begleitender Propaganda um ausländische Spezialisten warb. Dementsprechend zahlreich gingen Vertreter des Neuen Bauens und auch des Bauhauses nach Moskau, um Industrieareale, Bildungseinrichtungen, komplette Neustädte zu projektieren. Ihre Motivation reichte von der existenziellen Not bis hin zum ideologischen Fanatismus.

In seinem Erweiterungs- und Rekonstruktionsplan für Moskau gliederte Hannes Meyer 1932 die Stadt in mehrere Wohnbezirke. (Bild: PD)

In seinem Erweiterungs- und Rekonstruktionsplan für Moskau gliederte Hannes Meyer 1932 die Stadt in mehrere Wohnbezirke. (Bild: PD)

Neben Pionieren der ersten Stunde wie der 17-köpfigen Gruppe um Ernst May, Margarethe Schütte-Lihotzky und Mart Stam aus dem «Neuen Frankfurt», die mit guten Gehältern, zusätzlicher Valuta und mit vielen Privilegien im täglichen Leben nach Moskau angeworben wurden, kamen, wenn auch nur minimal später, weitere Architekten – nun zu deutlich schlechteren Konditionen – nach Russland. Unter ihnen befand sich Hannes Meyer, der nach seiner fristlosen Entlassung am Bauhaus mit einem sprachkundigen Studenten aus Weissrussland im Oktober 1930 in Moskau eintraf. Bis Frühjahr 1931 folgten sechs weitere Studienkollegen verschiedener Nationalität, sie formierten sich unter Meyers Leitung zur «Bauhaus-Stossbrigade Rot Front» im Volkskommissariat der Schwerindustrie, planten Lehranstalten und technische Hochschulen.

Gescheiterte Träume

Nun folgt die Düsseldorfer Architektin und Publizistin Ursula Muscheler in ihrem neuen Buch «Das rote Bauhaus» den Spuren von Hannes Meyer in der Sowjetunion, stellt sein Wirken, richtiger: sein Scheitern, in den Kontext der dort miteinander rivalisierenden westeuropäischen Planer, Künstler und Intellektuellen. Meyer wurde zwar noch im Jahre 1934 an die neu gegründete Moskauer Architekturakademie berufen, sämtliche Ausländer waren da aber bereits ins Visier des stalinistischen Terrors geraten.

Wem es wie Meyer noch gelang, die Sowjetunion zu verlassen, sah sich, nun ideologisch verrufen, mit einer weltweiten Odyssee des Exils konfrontiert. Wer blieb, wurde nach Spionage- und Sabotageanklagen zu Straflager verurteilt oder hingerichtet, so 1938 auch die ehemalige Bauhaus-Chefsekretärin Margarete Mengel. Ihr Sohn – dessen Vater Hannes Meyer war – wuchs unter falschem Namen in einem Heim für kriminelle Jugendliche auf, erfuhr erst 1993 vom gewaltsamen Tod seiner Mutter und kam 1994 nach Deutschland.

Ursula Muscheler: Das rote Bauhaus. Eine Geschichte von Hoffnung und Scheitern. Berenberg-Verlag, Berlin 2016. 168 S., € 22.–.