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db deutsche bauzeitung 03|2017
Weiß
db deutsche bauzeitung 03|2017

Die Kultur des zweiten Blicks

Wohnhaus »Haus D« in Mering bei Augsburg

Ideale Voraussetzungen: Die jungen Bauherren verfügten über ein brachliegendes Grundstück, hatten klare Wohnvorstellungen, wenig Zeitdruck und waren offen für Neues. Im engen Austausch mit dem nach einjähriger Eigenrecherche ausgewählten Büro Eberle Architekten entstand ein Wohnhaus, das sich – nicht nur wegen seines weißen Kammputzes – auf eine angenehm bescheidene und bodenständige Art experimentierfreudig zeigt.

1. März 2017 - Roland Pawlitschko
Als weißer, dreigeschossiger Würfel mit knapp 9 m Kantenlänge steht das letzten Sommer bezogene Wohnhaus inmitten eines suburbanen Umfelds aus drögen, zweigeschossigen Ein- und Mehrfamilienhäusern mit Satteldach. Dank des maßstäblichen Bauvolumens und der Lochfassade erscheint es zwar als selbstverständlicher Baustein im Ortsgefüge, wegen seiner Gebäudeform und der Lage an einer Straßenkreuzung erhält es aber zugleich wesentlich mehr Aufmerksamkeit als seine Nachbarn. Unterstrichen wird der besondere Charakter des Hauses auch durch die in zwei quadratischen Formaten unregelmäßig gesetzten Fenster, insbesondere aber durch die Kammputz-Fassade. Die erst beim Näherkommen allmählich erkennbare vertikale Rillenstruktur ist eine Reminiszenz an diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitete Form des Putzauftrags. Sie zeugt aber auch von einem Entwurf, der an vielen Stellen im und am Gebäude auf subtile Weise eine Kultur des zweiten Blicks pflegt.

Die Grundrissorganisation des Gebäudes ist leicht erklärt: Im EG befinden sich neben der Gästetoilette und einer Speisekammer eine offene Küche und ein Wohnzimmer. Das 1. OG bietet Platz für die beiden Kinder- und ein Fernsehzimmer, während das 2. OG mit Schlafzimmer, kleiner Bibliothek und Arbeitsplatz eher den Eltern vorbehalten bleibt. Abgesehen von dieser Verteilung der Räume auf drei Ebenen hatten die Bauherren kaum etwas vorab festgelegt, als sie auf Architektensuche gingen. Den dadurch entstandenen Freiraum nutzten Architekten und Bauherren, um sich während der Planungsphase immer wieder gegenseitig den Ball zuzuspielen. So entstand etwa aus der Idee eines »richtigen« Kellers, der sich gut zum Einlagern von Kartoffeln eignen sollte, der Vorschlag der Architekten, die Kellertreppe nicht im Haus, sondern in der direkt östlich anschließenden Garage zu platzieren. Die enge Verknüpfung von Keller und Garage ist in vielerlei Hinsicht sinnvoll: beide sind unbeheizt und ungedämmt und dienen als untergeordnete Nebenräume – der Keller mehr noch als die Garage, die den leidenschaftlichen Radfahrern auch als Werkstatt dient. Hinzu kommt, dass der im EG freigewordene Raum unter der Treppe zur wertvollen Abstellfläche wurde und außerdem die Möglichkeit für eine dem Wohnzimmer zugeordnete Wandsitznische eröffnete.

Massgefertigte handwerkliche Lösungen

Ebenso klar, sinnlich und zurückhaltend wie die Einrichtung der Familie ist auch der von den Architekten gesteckte gestalterische Rahmen: Aluminiumfenster, die durch rahmenlose Fensterflügel in der Außenansicht extrem schlank wirken, raumhohe Türen mit zweigeteilten Stahlzargen, die die Decken ungehindert von einem in den nächsten Raum übergehen lassen, sowie bündig in den Deckenputz eingelassene Vorhangschienen und Einbauleuchten. Letztere sind von den Architekten eigens entwickelt und so eingebaut, dass neben einer extrem schmalen Fuge zum Putz lediglich das weiße Abdeckglas des Leuchtmittels zu sehen ist – Abdeckringe, Rahmen und Ähnliches sucht man vergeblich, sodass die Leuchten eigentlich nur dann in Erscheinung treten, wenn sie eingeschaltet sind.

Von der Freude am handwerklich präzisen Denken und Machen zeugen auch die vor Ort mit Bretterschalung gegossenen Sichtbetontreppen, die im wohltuenden Kontrast zu den ansonsten vorherrschenden weißen, glatten Oberflächen stehen. Mit all ihren Lunkern, Verfärbungen und Holzmaserungen erscheint vor diesem Hintergrund v. a. die Faltwerk-Treppe ins 2. OG als minimalistisches Kunstwerk. Einen ähnlichen Eindruck hinterlassen die äußeren Betonfertigteil-Fensterbänke. Damit diese außenwandbündig ohne Tropfkanten an der Putzfassade anschließen können, verfügen sie über ein Innengefälle und einen mittigen Abfluss, durch den das Regenwasser in einen Entwässerungsspeier gelangt – Wasserschlieren in der Fassade werden auf diese Weise dauerhaft erfolgreich vermieden.

Experiment Kammputz

Handwerklich besonders anspruchsvoll und aufwendig war bei diesem Projekt sicherlich der an den Außenfassaden realisierte Kammputz. Ins Spiel gebracht wurde diese Lösung von den Bauherren, die sich eine schlichte, zeitlos elegante Fassade wünschten. Während die meisten historischen Vorbilder horizontale Kamm-Strukturen aufweisen, kamen bei diesem Wohnhaus vertikale Rillen zur Ausführung – insbesondere um den turmartigen Charakter des Gebäudes zu unterstreichen und um eventuelle Probleme mit stehendem Wasser ausschließen zu können.

Da diese Technik in den letzten Jahrzehnten etwas in Vergessenheit geraten ist, gestaltete sich das Verputzen als herausforderndes Experiment für alle Beteiligten. Das monolithische Ziegelmauerwerk von 42,5 cm Dicke versah die ausführende Firma zunächst mit einem Grundputz und einer vollflächigen Gewebespachtelung. Nach Fertigstellung und Austrocknung dieser Schicht wurde abschnittsweise ein faserarmierter Kalkzementputz aufgespritzt und mit einer eigens hergestellten, ca. 1 m breiten Metallschiene von unten nach oben mehrmals »durchkämmt«, bis die 1 x 1 cm breiten Rillen deutlich zu sehen waren. Zur Beseitigung von Unregelmäßigkeiten wurde der noch nasse Putz schließlich mit einem nassen Schwamm geglättet. Die Größe der Bearbeitungsfelder ergab sich aus der maximalen, gerade noch mit zwei Händen bedienbaren Breite des Kamms und der Lage der Gerüstebenen. Das Verputzen erfolgte bahnenweise von der Attika zum Boden und von der Mitte des Hauses hin zu den Ecken, und erst nachdem eine gesamte Bahn getrocknet war, kamen die benachbarten Bahnen an die Reihe. Fertiggestellte Rillen dienten dabei ebenso zur gleichmäßigen Führung des Kamms wie temporär im Mauerwerk befestigte Metallschienen. Besondere Sorgfalt war insbesondere an den Bereichen rund um die Fenster nötig, deren unregelmäßige Abstände mitunter den Einsatz schmalerer Schienen erforderten. Nach Ende der Putzarbeiten erhielt die Fassade einen wasserabweisenden, gebrochen weißen Anstrich aus Silikonharzfarbe.

Wenn heute sowohl die Arbeitsfelder- und -bahnen als auch unregelmäßige und gebrochene Putzrillen zu erkennen sind, so tut dies der eindrucksvollen Wirkung des Kammputzes keinen Abbruch. Im Gegenteil: beide zeugen von einem gesunden Verhältnis zwischen architektonischem Gestaltungswillen, verfügbarem Budget und handwerklich Möglichem. Insofern, und weil die Familie nun in einem Haus wohnt, das sie nach eigenen Angaben rundum glücklich macht, ist dieses Gebäude in jeder Hinsicht beispielhaft und gelungen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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