Glamour war gestern

Der Kampf am Börsenring ist Geschichte, und seither hat der Berufsstand der Händler an Glanz eingebüsst. Sogar aus den Gebäudehüllen ist jede Üppigkeit verschwunden. Eine kleine Architekturgeschichte der Zürcher Börse.

Irène Troxler
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Ausblick aus einem Fenster des neuen SIX-Hauptsitzes: Auf der anderen Seite des Innenhofs wird gewohnt. (Bild: Selina Haberland / NZZ)

Ausblick aus einem Fenster des neuen SIX-Hauptsitzes: Auf der anderen Seite des Innenhofs wird gewohnt. (Bild: Selina Haberland / NZZ)

Ein riesiger LED-Bildschirm, über den die aktuellen Börsenkurse flimmern, und ein kreisrunder Konferenzsaal, der entfernt an einen Börsenring gemahnt: Das sind die beiden architektonischen Elemente, die einem bewusst machen, dass man sich in einer Börse befindet. Sonst unterscheidet sich der neue Hauptsitz der Schweizer Börse kaum von einem anderen Bürogebäude – ausser dass er architektonisch mit einem Wohnkomplex verschränkt ist. Der Architekt Michael Geschwentner vom Zürcher Büro Gmür und Geschwentner nennt die beiden Bauten «siamesische Zwillinge». So blickt der Börsenmakler des 21. Jahrhunderts auf die Balkone von Wohnungen, wenn er aus dem Fenster schaut. Viel dezenter kann ein Unternehmen seinen Hauptsitz nicht in ein Quartier einfügen – ein Standort übrigens, der weit im Westen der Stadt liegt, direkt an der Brache des ehemaligen Hardturmstadions, zwischen Pfingstweid- und Förrlibuckstrasse. Gebaut wurden die «siamesischen Zwillinge» von der Hardturm AG.

Der neue Hauptsitz der Zürcher Börse SIX in Zürich-West. (Bild: Selina Haberland / NZZ)

Der neue Hauptsitz der Zürcher Börse SIX in Zürich-West. (Bild: Selina Haberland / NZZ)

Prunk im Renaissance-Stil

Was für ein Gegensatz zur Börsenarchitektur vergangener Zeiten, als die Branche mit eigentlichen Geldtempeln um Ansehen warb. Die erste Zürcher Börse errichtete der Semper-Schüler Albert Müller 1877–80 an der Ecke Bahnhofstrasse/Börsenstrasse. Der von der Renaissance inspirierte Bau mit Rundturm und Säulenreihen sei eines der bedeutendsten Gebäude der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, schreibt der Heimatschutz in einer Publikation.

Der grosse Saal war prunkvoll eingerichtet mit Spiegelgewölbe, Kronleuchtern und marmorierten Innenwänden, die von Säulen unterbrochen waren. In der Mitte des fünfzehn Meter hohen Raums sieht man auf Bildern einen relativ kleinen Ring, an dem die Wertpapiere gehandelt wurden – stehend und «à la criée». Das Gebäude steht noch, allerdings wurde die Fassade 1929 «purifiziert», weil der Stil des Historismus damals verpönt war. Im Zuge des Umbaus zu einem Bankgebäude wurde auch der ehemalige Börsensaal zerstört.

Zürichs Börsen

1
Erste Börse 1880, Bahnhofstrasse 3
2
Zweite Börse 1930, Bleicherweg 5
3
Dritte Börse 1992, Selnaustrasse 30
4
Neue Börse Zürich-West
Der Börsenmakler des 21. Jahrhunderts blickt auf die Balkone von Wohnungen, wenn er aus dem Fenster schaut.

Dem Bau der ersten Zürcher Börse war übrigens ein heftiger städtebaulicher Konflikt vorausgegangen. Die Stadt wollte die Bahnhofstrasse zum See verlängern und das Gebiet rechtwinklig neu parzellieren. Weichen mussten dafür nicht bloss die mittelalterlichen Bauten des Kratzquartiers, sondern auch der «Baugarten», eine beliebte Sommerwirtschaft auf einem Moränenhügel, in dem auch das gutbetuchte Zürich gern verkehrte.

Wandgemälde und Wintergarten im 20. Jahrhundert

Wenn die Zürcher von der «alten Börse» sprechen, meinen sie aber ein anderes Gebäude. In den Goldenen Zwanzigern genügte der «Renaissance»-Bau an der Börsenstrasse den Anforderungen an das boomende Finanzgeschäft nicht mehr. 1930 öffnete ein Neubau an der Ecke Bleicherweg/Talacker seine Türen. Dort gab es zwei Börsenringe mit eingebauten Telefonen und einer direkten Leitung zu den Banken für den Börsenticker. Diese Börse war ganz im Stil des neuen Bauens gehalten: schlicht, aber doch repräsentativ. So waren die Säle immer noch fast zehn Meter hoch, und es gab einen Wintergarten und ein riesiges Wandgemälde von Antonio Augusto Giacometti. Auch gegen aussen tritt die Börse der Architekten Henauer und Witschi selbstbewusst auf. Im Gegensatz zum Vorgängerbau beherbergte der auffällige Rundturm aber keine Börsensäle mehr, sondern bloss Treppenhaus und Lift.

Dem Bau der ersten Zürcher Börse war ein heftiger städtebaulicher Konflikt vorausgegangen.

Zürichs dritte Börse an der Selnaustrasse trägt im Volksmund den Namen «Haifisch». Die Architektur löst keine Begeisterungsstürme aus, aber repräsentativ ist der Koloss aus Stein und Glas allemal. Der Börsenring war nach der Eröffnung 1992 allerdings nur noch vier Jahre in Betrieb. Seither sitzen die Broker am Bildschirm, wie ganz normale Büroangestellte. Mit dem Verlust des Chaos am Börsenring hat nicht nur der Berufsstand an Glamour eingebüsst. Auch aus der Architektur ist jede Üppigkeit verschwunden. Der Neubau der SIX Group an der Pfingstweidstrasse in Zürich-West ist ausgesprochen schlicht. Dank edlen Materialien wie Holzfurnieren, Kupfertüren und Terrakottaböden wirkt er zwar elegant, aber nicht annähernd so prachtvoll wie die früheren Börsenbauten.

Bau des ehemaligen Stadtbaumeisters

Das Baukollegium der Stadt Zürich habe zunächst nicht geglaubt, dass die geplante Kombination von Wohnen und Börse funktioniere, sagte Patrick Gmür auf einem Rundgang durch den Neubau. Gmür hatte das Projekt zunächst als Architekt betreut, musste dann als Stadtbaumeister bei der Beurteilung in den Ausstand treten und ist nun nach seinem Rücktritt von diesem Amt wieder eingestiegen. Seine Begeisterung gilt vor allem den Wohnungen, deren Grundrisse diagonal zum Grundriss des Gebäudes ausgerichtet sind, damit das Sonnenlicht optimal einfällt. Die überhohen schrägen Balkone springen dem Besucher als Erstes ins Auge.

Börse und Wohnkomplex bilden die letzte Etappe der Überbauung «Hard Turm Park» und werden noch bis im April bezogen. In den Neubau werden über 1000 SIX-Mitarbeiter einziehen; auf der anderen Seite der Förrlibuckstrasse befinden sich schon heute 1500 weitere Arbeitsplätze. Neu zieht übrigens auch das Finanzmuseum, das heute in Olten situiert ist, nach Zürich-West.

Quellen: Die alte Börse Bleicherweg 5, Neujahrsblatt 2014 des Stadtzürcher Heimatschutzes, Schweizerische Bauzeitung, Januar 1885; Das Werk, Bd. 18, 1931.