Hauptsache, Mitleid

Sollen Holocaust-Gedenkstätten von Privatpersonen betrieben werden? In Riehen bei Basel irritiert ein solches Mahnmal mit seiner diffusen Ausrichtung und einem sakralisierten Ambiente.

Urs Hafner
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Die Kunstinstallation im Eingangsraum des Holocaust-Mahnmals in Riehen. (Bild:Gedenkstätte Riehen)

Die Kunstinstallation im Eingangsraum des Holocaust-Mahnmals in Riehen. (Bild:Gedenkstätte Riehen)

Ein riesiges Bronzerelief türmt sich auf, ein nach oben strebender Menschenhaufen, aus dem gramverzerrte Gesichter, ein Judenstern und Frauenbeine hervorstechen. Vergeblich versuchen die Flüchtlinge, die kleine Öffnung in der Decke zu erreichen. Darüber sind Ausschnitte aus der Schweizer Filmwochenschau an die Wand projiziert: Folklore, Feste, Bundesräte. Im Hintergrund erklingt ein Geigenchor. Trauergesättigt ist die Atmosphäre.

Die emotionalisierende Kunstinstallation steht im Eingangsraum des Holocaust-Mahnmals in Riehen bei Basel. Es heisst wahlweise auch Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge und Gedenkstätte für Flüchtlinge des Zweiten Weltkriegs. Offenbar hat man sich nicht entscheiden können, ob man nur der jüdischen oder auch der anderen Opfer der Nationalsozialisten und ob man nur der Ermordeten oder auch der Geretteten gedenken soll. Und konfus ist das Werk, das eine seltsame Zweiteilung vornimmt: unten die verzweifelten Juden, oben eine heile Schweiz, als ob diese nur aus den offiziösen Filmen bestünde. Oder ist deren Abspielen ironisch gemeint?

Betroffenheit

Man wollte wohl darauf hinweisen, dass die Schweiz im Krieg ihre Grenzen dichtmachte und, wie fast alle Staaten, die meisten jüdischen Flüchtlinge zurück in den Tod schickte. Doch die Trennung ist zu simpel: In der Schweiz lebten auch Juden, die sich – nahezu ohne staatliche Hilfe – um die wenigen Geretteten kümmerten. Nun aber entsteht das schiefe Bild, dass die Juden nicht Teil der Schweiz waren und diese für das Judentum weit entfernt und unerreichbar gewesen sei. Das mag für viele Flüchtlinge so gewesen sein, ist aber eine seltsame Aussenperspektive für eine Gedenkstätte, die auf schweizerischem Boden steht.

Wer richtet in der Schweiz in privater Initiative ein Holocaust-Mahnmal ein und wieso? Johannes Czwalina, Leiter der Stätte, vormals Pfarrer in Basel und vor allem Coach für Führungskräfte in Riehen, hat ein kaum zu stillendes Mitteilungsbedürfnis. Aus Betroffenheit habe er die Gedenkstätte im Jahr 2011 in dem ehemaligen Bahnwärterhäuschen der Reichsbahn eingerichtet, nachdem er von den Schicksalen gehört habe, die jüdische Flüchtlinge unweit des Gebäudes erlitten hätten. Er betont, dass er die Stätte weitgehend aus eigenen Mitteln unterhalte.

Sogleich kommt der gebürtige Berliner auf seine Consulting-Firma zu sprechen, auf seine Ratgeberbücher, die überall herumstehen, und auf seine Neider. Zurzeit setze er sich im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland für eine Lösung ein, ab und an frühstücke er im auswärtigen Amt in Bern, und Rick Wienecke, der Künstler, der das Bronzerelief geschaffen habe, sei weltbekannt.

Dann redet er über die «Schwimmbussen», derentwegen er schon mehrfach in den Medien präsent war. Kürzlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg das Urteil gefällt, dass muslimische Schülerinnen in Basel den gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht besuchen müssten. Angestrengt hatte den Prozess Johannes Czwalina, der, wie er betont, den bisher von der Basler Regierung gebüssten Muslimen, die ihre Töchter nicht in den Unterricht schickten, die Bussen bezahlt habe, damit die Familien nicht ins soziale Elend gestürzt würden.

Er ist mit dem Strassburger Urteil überhaupt nicht einverstanden, das er, wohl mit der biblischen Völkerlehre im Kopf, «durch und durch antisemitisch» nennt: Es «gefährde» nicht nur konservative Muslime, sondern auch konservative Juden und konservative Christen, die ihre Kinder «aus Schamgründen» nicht in den Schwimmunterricht schicken wollten.

Die Gedenkstätte, die von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern getragen wird, ist zwar gediegen eingerichtet, wirkt aber wenig durchdacht. An den Wänden hängen – eine museumsdidaktische Todsünde – grossformatige, eng bedruckte Texttafeln mit Interviews, die journalistische Dilettanten mit Holocaustüberlebenden und Riehener Zeitzeugen geführt haben. Andere Tafeln geben Texte aus älteren historischen Büchern oder gar einer Pendlerzeitung wieder. Die schon länger geplante Dauerausstellung soll von einer Berliner Historikerin erarbeitet werden, die sich bisher vor allem mit jüdischer Genealogie beschäftigt hat.

Schaler Nachgeschmack

Die vorliegenden regionalgeschichtlichen Studien zur Situation jüdischer und anderer Flüchtlinge in Riehen und Basel werden nicht berücksichtigt. Die Gedenkstätte kooperiert weder mit dem Jüdischen Museum der Schweiz, das in Basel steht, noch mit dem Historischen Seminar der Universität Basel, noch mit deren Zentrum für Jüdische Studien, wo man sich am Fehlen wissenschaftlichen Expertenwissens in Riehen stört.

Was in dem sakralisierten Ambiente der Gedenkstätte allein zu zählen scheint, ist die – diffuse – Erinnerung an das grosse Leid des Holocaust, das Betroffenheit und Mitleid auslösen soll. Es könnte ein billiges Mitleid sein, das die Ermordeten vielleicht gar nicht wollen oder wollen würden. Der schale Nachgeschmack bleibt, dass der Holocaust für die Erzeugung einer selbstbezogenen Stimmung der Trauer und Ergriffenheit instrumentalisiert wird.

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