Missglückte Moderne – ein Foto-Tableau von Serge Fruehauf

Seit 20 Jahren widmet sich Serge Fruehauf einem ganz besonderen Thema: Er nimmt kleine und grosse Bausünden in den Fokus, die uns eine missverstandene architektonische Nachkriegsmoderne beschert hat.

Angela Schader
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Fast mutet es an, als hätte sich hier jemand von den vertrackten Zeichnungen M. C. Eschers inspirieren lassen – und die verdrehte Treppe sah auf dem Papier wohl besser aus als in massivem Stein. Statt organisch zwischen natürlichem und bebautem Terrain zu vermitteln, wirkt das Mauerelement abweisend und zweckfremd, auch mit den Bodenfliesen geht es keinerlei Verbindung ein. Der Westschweizer Fotograf Serge Fruehauf ist seit zwanzig Jahren solchen Verirrungen der architektonischen Moderne auf der Spur, die er in seinen Aufnahmen klar, aber nie lieblos kommentiert.

Die Liebe zum Detail ist eine schätzenswerte Qualität, aber der Blick aufs Ganze kann dabei vergessen gehen. Wenn wir den unschönen Block im Hintergrund einmal gnädig ausblenden, hätte der kleine Vorbau sogar Aspekte, die ihn empfehlen könnten – etwa die blauen Elemente auf der Stirnseite, die perfekt mit dem in den schmalen Fenstern gespiegelten Himmel korrespondieren. Aber welche grimmige Muse mag den Treppenaufgang mit seinem klotzigen Geländer inspiriert haben? Da drängt sich entschieden mehr, als der Grösse und Gewichtigkeit des Gebäudes zuträglich ist.

Hier ist aus Sicht des Architekturfotografen wohl einiges nicht im Lot. Das Mäuerchen zur Rechten mag als Einladung zum Sitzen gedacht sein, aber die Proportionen überzeugen nicht; der Hauseingang wirkt in seiner dunklen Höhle wenig einladend. Die Denksportaufgabe, die das weisse, auf den Abschluss des Mäuerchens gepflanzte Element darstellt, vermochten wir erst mit Hilfe der vergrösserten Aufnahme zu lösen. Nein, es ist kein Heizkörper, der sich da zweckfrei im Freien zelebriert, sondern ein Wandelement, das den Sitzplatz der Parterrewohnung abschirmen soll. Den Bedürfnissen der Bewohner nach Privacy hat das schmalbrüstige Ding allerdings nicht genügt; obwohl nicht eben mit Licht verwöhnt, haben sie ihr Plätzchen noch mit festem weissen Canvas zugehängt.

Eigentlich gar nicht so ohne Witz, diese Fassade – aber etwas daran muss Serge Fruehauf missfallen haben. Der Fotograf nennt jeweils weder Standort noch Zweck der Bauten, die er während zwei Jahrzehnten für seine grosse Monografie «Extra Normal» aufgenommen hat; hier darf man jedoch davon ausgehen, dass der Architekt ein Industrieareal vom Ruch des Hässlich-Drögen befreien und einen frischen Akzent setzen wollte. Als Störenfriede im Ensemble wirken die grauen Wandpartien links und rechts – auch wenn sichtbar Mühe daran gewendet wurde, die Fremdkörper mittels formal und farblich verwandter Elemente im Giebelbereich an den Hauptbau anzubinden.

Nein. Sprayen tun wir nicht. Aber wüssten wir, wo diese Einfahrt steht, wir zauderten nicht, ein Banner mit dem berühmten «Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate!» über die Stirnseite zu drapieren. Zur Hölle fährt natürlich nicht, wer sein Auto durch das Portal lenkt – aber gibt es bei Dante nicht auch die Vorhölle für die lauen Seelen? Wer diese hoffnungslos dröge Parkgelegenheit mitten in die herrliche Parklandschaft gepflanzt hat, verdiente einen kleinen Aufenthalt dortselbst. Der 1969 in Vevey geborene Fotograf Serge Fruehauf besitzt ein scharfes Auge für das, was der Architekturhistoriker Martino Stierli «Schwundmoderne» nennt – die «kleinen Absurditäten und Monstrositäten», welche die architektonische Nachkriegsmoderne in unserem Umfeld hinterlassen hat.

Bilder: Serge Fruehauf, «Extra Normal», Scheidegger & Spiess

Serge Fruehauf: Extra Normal. Herausgegeben von Joerg Bader. Mit einem Vorwort von Martino Stierli. Scheidegger & Spiess, Zürich 2016. 200 S., 177 farbige Abbildungen. Fr. 51.-.