Ein Baumeister dichtet

Nach dem Gewinn des Berner Tanzpreises 2016 zeigt Yu-Min Yang nun ab Samstag sein neues Ballett «Le Corbusier». Und für einmal steht darin nicht der Architekt im Mittelpunkt, sondern der Dichter.

Isabelle Jakob
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Yu-Min Yang konzentriert sich auf das literarische Werk des Architekten Le Corbusier, das im Vergleich zu seinen Bauwerken kaum bekannt ist. (Bild: Imago)

Yu-Min Yang konzentriert sich auf das literarische Werk des Architekten Le Corbusier, das im Vergleich zu seinen Bauwerken kaum bekannt ist. (Bild: Imago)

La Chaux-de-Fonds sieht von oben aus, als hätte jemand mit einer grossen Schaufel lange Schneisen in einen Haufen Häuser gezogen. Die Strassen verlaufen streng rechtwinklig zueinander, kein Haus tanzt aus der Reihe. In diese aufgeräumte Stadt wurde 1887 Charles-Edouard Jeanneret hineingeboren, der unter dem Künstlernamen Le Corbusier in die Geschichte einging.

Auf der anderen Hälfte der Erdkugel, in Taipeh, kam 1978 Yu-Min Yang zur Welt. 2005 gründete er die Horse Dance Company, seit 2010 ist er Mitglied der Tanzkompanie bei Konzert Theater Bern, 2016 wurde er mit dem Berner Tanzpreis ausgezeichnet. Dieser Preis ermöglicht dem Gewinner jeweils die Realisierung eines eigenen, abendfüllenden Balletts. Nach vielen Monaten Konzept- und Probenarbeit feiert Yu-Min Yang nun am kommenden Samstag mit seinem Stück «Le Corbusier» Premiere in den Vidmarhallen. Und bereits im Vorfeld wird deutlich, dass es sich der Choreograf mit seiner Themenwahl bewusst nicht gerade einfach gemacht hat.

Künstlerische Weltsicht

Yu-Min Yang konzentriert sich nämlich auf das literarische Werk des Architekten, das im Vergleich zu seinen Bauwerken kaum bekannt ist. Tatsächlich hat Le Corbusier zwischen 1947 und 1953 an einer Folge von Lithografien und Gedichten gearbeitet, die er schliesslich unter dem Titel «Le poème de l'angle droit» («Das Gedicht vom rechten Winkel») veröffentlicht hat. Das Werk besteht aus sieben Strophen und neunzehn Farblithografien, die sich ergänzen und gegenseitig erklären. In Expertenkreisen wird «Le poème de l'angle droit» als künstlerisches Abbild von Le Corbusiers Weltsicht bezeichnet.

Das umfangreiche Gedicht behandelt eine Vielzahl an Themen, aus welchen Yu-Min Yang für seinen Ballettabend einzelne ausgewählt hat. Ein wiederkehrendes Element sind die Frauen, zu denen Le Corbusier nicht das einfachste Verhältnis gehabt hat. Seine Mutter wird als äusserst dominant beschrieben, und er versuchte offenbar zeitlebens, sich von ihr zu befreien. Geheiratet hat Le Corbusier erst mit Mitte vierzig, weil er angeblich stets befürchtete, eine Partnerin könne ihn in seinem kreativen Schaffen bremsen.

Diese eigentümliche und doch zentrale Rolle der Frauen im Leben des Architekten will Yu-Min Yang in seiner Choreografie sichtbar machen. Er wird dies vorhersehbar mit viel Phantasie und Sinn für aussagekräftige Bilder tun – dadurch ist Yu-Min Yang als Choreograf und Tänzer bekannt geworden, und diese Qualitäten waren auch ausschlaggebend für die Jury des Berner Tanzpreises. Sie würdigte mit der Auszeichnung zudem die ideenreiche Verbindung von Tanz und Klang in seinen Stücken. Immer sind bei Yu-Min Yang die Zuschauer nämlich auch als Hörer, explizit als Zuhörende, gefordert. So wird bei «Le Corbusier» etwa das Element Wasser und seine atmosphärische Klangwelt eine zentrale Rolle spielen.

Inspiration und Verhängnis

Le Corbusier selbst soll ein ausgezeichneter Schwimmer gewesen sein. Er hat sich als Künstler immer wieder von diesem Element inspirieren lassen. Und es wurde ihm sogar zum Verhängnis, als er 1965 beim Baden im Meer nahe seinem Ferienhäuschen in Cap-Martin einen Herzschlag erlitt und ertrank. Bei Yu-Min Yang wird das Thema Wasser beispielsweise in Gestalt von gefüllten Kanistern auf der Bühne präsent sein. Aber auch in der Musik, denn der Berner Künstler Philipp Eltz hat für die Produktion elektronische Musik komponiert, die dem nassen Element auch akustisch Präsenz geben soll.

Nach der Premiere am Samstag wird «Le Corbusier» noch bis zum 30. Juni im «Vidmar 1» in Bern zu sehen sein.