Mehr als 70 Pavillons von Schweizer Architekten sind derzeit im Pavillon Le Corbusier in Zürich zu sehen. Sie veranschaulichen in einem kontrastreichen Panorama den baukünstlerischen Forschungsdrang.
Erfinde dich neu! Übertragen auf die Architektur, trifft diese Maxime perfekt auf den Bautypus des Pavillons zu. Hinsichtlich des Erscheinungsbildes alles andere als ein Langweiler, ist er längst den ursprünglichen Funktionen des Zelts, des Garten- oder des Lusthauses entwachsen. Als Pavillons glänzen heute freistehende, auf kleiner Fläche aus unterschiedlichsten Werkstoffen errichtete Bauten, die sich durch fast unerschöpfliche Formenvielfalt und Nutzungsmöglichkeiten auszeichnen.
Auf Augenhöhe mit dem Publikum errichtet, überraschen die luftigen Gebilde durch unkonventionelle Synthesen aus baukünstlerischen Ideen, innovativen Bautechniken und Materialexperimenten. In der Event- und Freizeitgesellschaft gewinnt die Bauaufgabe Pavillon an Prestige; und Architekten wetteifern darin, ihren Kleinbauten das Flair eines Überraschungsmoments zu verleihen.
Höchst flexibel zeigen sich diese leichten Gebilde hinsichtlich des Faktors Zeit. Die einen Pavillons verschwinden nach kurzfristigem Gebrauch wieder, während andere sich als extrem langlebig erweisen. «For now or forever» titelt denn auch die Überblicksschau über «Swiss Pavilions», die das Vergnügen an Pavillons aufgreift und durch eine stringente Auswahl steigert.
Zu sehen sind bemerkenswerte Objekte, die ein Schlaglicht auf die Ideenvielfalt der Schweizer Pavillon-Architektur werfen. Vom einfachen, skulpturalen Metallgehäuse mit ausklappbarem Sonnendach, das Bakker & Blanc 2008 als Prototyp für die Seepromenaden in Genf realisierten, bis zu einer so komplexen Struktur wie Kengo Kumas ArtLab-Pavillon der ETH Lausanne (2016) reicht das Spektrum. Auch dabei sind von Schweizer Architekten im Ausland gestaltete Kleinbauten wie die begrünten «Lava»-Pavillons von Herzog & de Meuron in Santa Cruz de Tenerife (2008) und – in Form eines brandneuen zoomorphen Architekturmodells – der Ausstellungspavillon der Vereinigten Arabischen Emirate, den der Wahlzürcher Santiago Calatrava derzeit für die Expo Dubai 2020 ausführt.
Der Fokus der Ausstellung liegt auf dem «Jetzt», wobei das Adverb «forever» weit mehr als ein Anhängsel ist. Denn als dauerhafter Pavillon umschliesst die im Auftrag Heidi Webers von Le Corbusier entworfene und 1967 eingeweihte «Maison d'homme» die ganze Vielfalt der in seinem Inneren präsentierten Bauten, von denen einige nur kurz existierten – etwa die Expo-Wolke in Yverdon von Diller und Scofidio oder der 2016 von Tom Emerson und seinen ETH-Studenten für die Manifesta 11 realisierte «Pavilion of Reflections» in Zürich.
Der in der Seebucht verankerte Leichtbau existierte nicht viel länger als ein Schmetterling, nach dessen lateinischem Namen «papilio» die Pavillons ja benannt sind. Kaum war die Manifesta zu Ende, wurde er abgebaut. Jetzt plötzlich hat man im Eingangsbereich des Pavillons Le Corbusier die wunderbare Holzkonstruktion wieder vor Augen und erinnert sich an heitere Sommerstunden. Diese Rückblende in Form eines filigranen Architekturmodells wird gerahmt von Georg Aernis Fotoessay historischer Pavillons aus Zürich und Umgebung. Damit bringt die Schau schon zu Beginn die Bipolarität dieses Bautyps zwischen Dauerhaftigkeit und Vergänglichkeit auf den Punkt.
Man könnte hierin eine Kritik unserer Wegwerfgesellschaft sehen. Doch die Ausstellung, die erstmals seit der ganz anders ausgerichteten Pavillon-Schau des Deutschen Architektur-Museums Frankfurt im Jahre 2009 die Thematik wieder ergründet, verfängt sich nicht in Polemiken. Sie bevorzugt den Dialog und erkundet mit lustvoller Offenheit die phantastische Vielgestaltigkeit eines Bautyps, der sich enger definitorischer Eingrenzung verweigert. Deshalb basiert das Auswahlkriterium der Kuratoren Eva Wagner und Roman Hollenstein auf dem folgenden Konsens: Ein Gebäude gilt als Pavillon, wenn es vom Architekten, vom Auftraggeber, vom Benutzer oder Betrachter als solcher bezeichnet wird.
Der durchdachten Ausstellungskonzeption gelingt es, die Wirkungsmacht von Le Corbusiers Zürcher Pavillon für den Themenkreis «Pavillonbau der Gegenwart» zu nutzen und ihn gleichzeitig als Hauptexponat zu inszenieren. Möglich wird dies durch Separierung. Der Hauptraum im Erdgeschoss bleibt dem Erfinder der «Maison d'homme» vorbehalten. Hier brilliert das Architekturmodell des legendären Philips Pavillon, den Le Corbusier zusammen mit Iannis Xenakis für die Weltausstellung 1958 in Brüssel als Resonanzkörper für die Klänge von Edgard Varèse entwarf. Untergeschoss wie Obergeschoss gehören dagegen ganz der Gegenwart.
Woraus beziehen Architekten heute die Inspiration für ihre Pavillon-Entwürfe? Die Auswahl der Bauten offenbart, dass sie vielfach von der sie umgebenden Natur zu reizvollen Konstruktionen animiert wurden, insbesondere zum Spiel mit Effekten der Tarnung. Das trifft auf die Ästhetik des seit 2004 am Hafen Riesbach in Zürich sich erhebenden und die Farben des Parks in sich aufnehmenden Restaurantpavillons von Fuhrimann Hächler ebenso zu wie auf die an einen Hain zierlicher Bäume erinnernde Voliere, die 2008 von Group 8 im Genfer Bois-de-la-Bâtie errichtet wurde. Auch der Wunsch nach Stille spiegelt sich in den Entwürfen, wie der temporäre Serpentine Pavilion von Peter Zumthor in London (2011) zeigt.
Sichtlich geniessen es Architekten, mit ihren Bauten in der Natur die Fesseln von Bautraditionen, Normen und Verordnungen abzustreifen. Aber auch die dauerhaften, in Städten errichteten leichtwandigen Bauten vermitteln Augenlust. So die beiden von Zach und Zünd auf dem Zürcher Sechseläutenplatz errichteten Mehrzweckpavillons, deren Aussenhülle sich auf Lichtreflexe des nahe gelegenen Sees bezieht, aber ebenso auf die Raumwirkung von Hermann Herters Tramwartehalle am Bellevue.
Kein Pavillon gleicht dem anderen, alle unterscheiden sich hinsichtlich der Gefühle, die sie wecken. Dieser Bezug zum Nutzer und Betrachter wird in der Ausstellung unterstrichen durch Begriffe wie Atmosphäre, Geborgenheit, Ausstrahlung oder Heiterkeit, welche 25 Pavillons einer engeren Auswahl als Leitmotiv vorangestellt wurden. Zusätzlich werden weitere rund 50 Pavillons, nach funktionalen Kriterien sortiert, in einer bunten Bilderschau präsentiert.
Schliesslich zeigt sich, dass die Erfolgsgeschichte der Pavillons immer mehr zum Experimentierfeld für neuartige Baustoffe, generatives Design und Robotik wird. Innovative Pavillons wie das von CSDK aus Lausanne realisierte Schaustück algorithmisch programmierter Formgestalt weisen auf das Kommende. Gleichzeitig denkt man zurück an die langwierige Planung und die komplizierte Montage der «Maison d'homme» und stellt fest, dass sich die Arbeitsschritte der Pavillon-Architektur enorm verkürzt haben. Ruck, zuck könnte Le Corbusiers Zürcher Pavillon heute am Computer entwickelt und dann errichtet werden. Ob aber dann der Pavillon als gebautes Vermächtnis der Nachwelt erhalten geblieben wäre?
Die von einer Gratisbroschüre (36 Seiten) begleitete Ausstellung, zu der Zusatzveranstaltungen stattfinden, dauert bis zum 23. Juli.