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vai Vorarlberger Architektur Institut
Dornbirn (A)

Das Glück, Vorarlberg zu bauen

Vom regionalen Phänomen zu einem international beachteten: Baukultur aus Vorarlberg, dessen Architekturinstitut heuer seinen 20. Geburtstag feiert.

13. Mai 2017 - Christian Kühn
„Ueber das Glück, in Vorarlberg zu wohnen“, so hieß die Eröffnungsausstellung des Vorarlberger Architektur Instituts, das vor 20 Jahren gegründet wurde. Begleitet wurde sie von einem Buch, das eine fotografische Dokumentation Vorarlberger Lebenswelten von Schruns bis Lochau mit Interviews kombinierte, in denen Menschen über ihre Erfahrungen mit Architektur sprachen.

Architektur nicht als hohe Kunst, sondern vom Alltag her zu denken: Das war seit den 1980er-Jahren das Motto der Vorarlberger Architekturszene. Die Baukultur in Vorarlberg hat eine große, vom Handwerk getragene Tradition. Es gibt ein Grundvertrauen zwischen Bauherren, Planern und Ausführenden. Sie bilden ein Netzwerk, dem das Kunststück gelungen ist, nicht selbstgefällig zu werden, sondern sich über die Jahrzehnte immer wieder selbst herauszufordern.

In den 1980er-Jahren kam diese Irritation von einer Gruppe junger Architekten, die sich „Vorarlberger Baukünstler“ nannten. Ihre Vorbilder fand sie bei Architekten wie Hans Purin und Rudolf Wäger, die schon in den 1960er- und 1970er-Jahren exemplarische, von der Moderne im Sinne Roland Rainers inspirierte Projekte realisiert hatten. Ihre „Baukunst“ war radikal von den Nutzern her gedacht. Sie experimentierten mit neuen Formen des Zusammenwohnens und forderten mit ihren kostengünstigen, nicht für die Ewigkeit gedachten Konstruktionen auch das Handwerk heraus.

Auf dieser Grundlage konnte sich die Vorarlberger Baukultur in die Breite entwickeln, nicht zuletzt durch eine von Roland Gnaiger und Bruno Spagolla betreute Sendung im Regionalfernsehen, die unter dem Titel „Plus-Minus“ gute und schlechte Beispiele präsentierte. Der Auftrag für diese Reihe ging direkt vom Generalintendanten Gerd Bacher an alle ORF-Landesstudios. Nur in Vorarlberg überlebte die Sendung und brachte es in Summe auf 151 Beiträge. Wer das Land Mitte der 1990er-Jahre besuchte, konnte die Veränderung nicht übersehen: Vom Wohnhaus bis zum Industriebau erreichte die Architektur nicht nur in Einzelfällen ein neues Niveau.

Trotz dieses Erfolgs war Vorarlberg das letzte österreichische Bundesland, das ein „Haus der Architektur“ einrichtete, wie es etwa die Steiermark mit dem Haus der Architektur Graz bereits 1988 getan hatte. Das hatte seinen Grund gerade in diesem Erfolg: Wozu braucht man eine Einrichtung zur Architekturvermittlung, wenn alles sowieso gut läuft?

Die Initiative für das Vorarlberger Architektur Institut ging schließlich von einer Gruppe von Mitgliedern der Zentralvereinigung der Architekten aus, die ahnten, dass sich die Vorarlberger Architektur von einem regionalen Phänomen zu einem weltweit beachteten entwickeln könnte. Im Begriff des „Instituts“ verbirgt sich – neben der Vermittlung – auch der Auftrag zur Dokumentation und Selbstreflexion. Für beides kommt dem VAI in einem Bundesland ohne eigene Universität eine besondere Rolle zu.

Den Anspruch, mit internationaler Strahlkraft über die eigene Position nachzudenken, erfüllte das VAI 2003 mit der von Otto Kapfinger kuratierten Ausstellung „Konstruktive Provokation: Neues Bauen in Vorarlberg“. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem „Institut français d'architecture“ in Paris, wo Marie-Hélène Contal ihren französischen Landsleuten die Vorarlberger Architektur vor allem in ihrer ökologischen Dimension präsentieren wollte. Nachhaltig ist jedenfalls das Interesse des französischen Publikums, das überproportional zum Architekturtourismus beiträgt, der sich inzwischen als eigener Sektor des Tourismus im Land etabliert hat.

Unter seiner Direktorin Verena Konrad ist das Institut heute die zentrale Drehscheibe für Information und Diskussion über Architektur in Vorarlberg. Kein anderes Architekturhaus in Österreich erhält so viel an privaten Spenden – vor allem aus der Industrie, die weiß, dass eine anspruchsvolle Baukultur Voraussetzung für die Nachfrage nach hochwertigen Produkten und Dienstleistungen ist. Zum 20-Jahr-Jubiläum lud das VAI zu einem Festvortrag des Schweizers Köbi Gantenbein, Chefredakteur der Zeitschrift „Hochparterre“, der dem VAI empfahl, die Woche neu einzuteilen. Von Montag bis Freitag das Loblied auf die Vorarlberger Architektur zu singen – und an den Wochenenden der Kritik freien Lauf zu lassen: am konventionellen Wohnbau, an der Zersiedelung, an der behäbigen Routine, die es natürlich auch in Vorarlberg gibt.

Das umstrittenste Projekt im Land ist derzeit die sogenannte Seestadt Bregenz, bei der die Verwirrung schon mit dem Namen beginnt. Es handelt sich um kein Stadtquartier, sondern um eine größere, von einer Querstraße unterteilte Parzelle mit einer Grundfläche von 200 mal 50 Meter auf dem ehemaligen Bahnhofsvorplatz, die derzeit als Großparkplatz genutzt wird. Ihre Längsseite liegt parallel zum Seeufer, wird von diesem aber durch die Bahn getrennt, die hier im Bahnhofsbereich fünfgleisig geführt ist. Ein beschrankter Bahnübergang, wie er etwas weiter stadteinwärts, wo die Bahn nur zweigleisig geführt ist, eine Verbindung zwischen Stadt und Seepark anbietet, lässt sich hier nicht realisieren.

Der Wettbewerb für das Areal 2010 war darauf angelegt, eine kleinteilige Anmutung herzustellen, wie sie stadteinwärts bei Kunsthaus, Landestheater und Landesmuseum zu finden ist. Um Vielfalt zu garantieren, lud man fünf Dreierteams, die aus mehr und weniger berühmten, auch internationalen Architekten gemischt waren. Rückblickend hat nur das Team aus David Chipperfield, Baumschlager Eberle und Diener.Diener mit einer fast monumentalen Bebauung den Ort verstanden. Das der Ausschreibung entsprechende, kleinteilige Siegerprojekt von Aicher, Ludescher-Lutz und Zechner-Zechner ist in der Weiterbearbeitung zur Camouflage einer Shoppingmall mit Luxuswohnungen verkommen.

Obwohl die Widmung fix und die Baubewilligung weitgehend erteilt ist, wurde das Projekt vor wenigen Wochen gestoppt. Nachdem der Letztstand der Pläne bekannt geworden war, hatte sich 2016 eine Bürgerinitiative formiert, die von der Architektenschaft des Landes und von Kulturschaffenden unterstützt wurde. Sie organisierte Stadtspaziergänge, die das Areal im Kontext bewusst machen sollten, und kritisierte nicht nur die schwache Architektur, sondern auch die monofunktionale Nutzung.

Dass zudem die Wirtschaftlichkeit des Projekts durch Fundierungsprobleme für das zweite Garagengeschoß unsicher ist, hat die Entscheidung von Stadt und Projektentwickler Prisma erleichtert, das Projekt nochmals von Grund auf neu zu denken. Der Unterschied zu Wien, modellhaft sichtbar am ähnlich gelagerten Heumarkt-Projekt? Vorarlberger Politiker stellen Sachpolitik vor Machtpolitik. Und sie haben offenbar noch nicht verlernt, zuzuhören und Fehler einzugestehen.

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vai Vorarlberger Architektur Institut , Pressebild: Darko Todorovic