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TEC21 2017|24-25
Fassaden – Hüllen mit Hintergrund
TEC21 2017|24-25
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Wenn’s in der Wand knackt

Geräusche in Neubauten

Ein noch weithin unbekanntes Phänomen: Spickende Dorne verursachen laute Geräusche in zweischaligen Aussenwänden. Das Knacken ist rund um die Uhr zu hören, den SIA-Normen noch nicht zugrunde gelegt und kann den Totalersatz einer Verbindung erfordern. Erschütterungs- und Schallmessungen helfen die Ursache aufzuspüren.

16. Juni 2017 - Pascal Stefan Fleischer
Seit einigen Jahren treten in Wohnneubauten öfters Geräusche auf, die die Bewohner mit «Knistern», «Knacken» oder «Knallen» beschreiben. Während man sie in historischen Bauten noch wohlwollend wahrnimmt, ist man in Neubauten dadurch eher irritiert – insbesondere, wenn es sich nicht um Holzbauten handelt. Die Lautstärke der Geräusche lässt sich mit dem Brechen eines Asts oder dem Aufprall eines Gegenstands auf eine harte Oberfläche vergleichen. Die Reaktionen und das Empfinden der Anwohner auf die plötzlich auftretenden Geräusche fallen unterschiedlich aus. Innerhalb ein und derselben Liegenschaft melden Bewohner bei vergleichbaren Knackgeräuschen gleichzeitig «schlaflose Zustände» und «keine persönliche Registrierung» (weil unterhalb der persönlichen Reizschwelle).
Woher kommt das Knacken?

Die Anforderungen an die Energiekennzahlen sind in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Die Wärmedämmungen sind heute deutlich stärker. Die grossen Dämmstärken führen zu thermisch komplett unabhängigen inneren und äusseren Tragkonstruktionen. Wärmebrücken gilt es aus bauphysikalischen Gründen zu verhindern, daher werden Aussenhaut und Innenkon­struktion möglichst entkoppelt. Für die wenigen Tragelemente, die die thermische Gebäudehülle durchbrechen, werden oft Sonderanfertigungen wie Kragplattenanschlüsse und Dorne (Abb.) vorgesehen, die den bauphysikalischen Anforderungen gerecht werden.

Infolge Temperaturschwankungen verändern Bauteile entsprechend ihrem Wärmekoeffizienten ihre Abmessungen. Weil alle aussen liegenden Bauteile den thermischen Einwirkungen wie Temperatur und Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, dehnen sie sich entsprechend aus oder ziehen sich zusammen. Die innen liegenden Bauteile sind hingegen an die mehr oder weniger konstante Raumtemperatur gekoppelt. Sie erfahren keine massgebenden thermischen Einwirkungen und entsprechend keine wesentlichen Verformungen.

Mit der unterschiedlichen Wärmeausdehnung verschieben sich die Bauteile differenziell zueinander, was die Ingenieure bei der Bemessung und bei der konstruktiven Ausbildung der Tragelemente und deren Verbindungen entsprechend mit beweglichen Konstruktionsdetails berücksichtigen müssen. Die Ingenieure setzen oft Dorne ein, die Vertikalkräfte zwischen Tragelementen übertragen und in horizontaler Richtung verschiebbar sind.

Diese Bewegungsfähigkeit ist jedoch eingeschränkt, dass heisst, der Dorn bewegt sich nur «ruckelnd» – es baut sich eine Zwängungskraft auf, die sich periodisch wieder «losreisst». Die dadurch entstehenden «Spickbewegungen» rufen die hörbaren Knackgeräusche hervor. Sie stellen im Allgemeinen aber kein Tragfähigkeitsproblem dar. Die einzelnen Spickvorgänge laufen im Hundertstelsekundenbereich ab, und die totalen Relativverschiebungen innen–aussen liegen im Bereich weniger Mikromillimeter.

Über die genaue Entstehung des Spickvorgangs und die massgebenden Einflussgrössen auf die störenden Schallpegelwerte ist bislang wenig bekannt. Als Ursachen vermutet werden: zu hohe Querkräfte, da­- durch sehr hohe Haftreibung, unsachgemässer Einbau, leichte Schräglage der Dorne, Unstetigkeiten in der (Gleit-)Oberfläche und/oder fehlerhafte Dorne.

Messungen geben Aufschluss

Ausgewertete Schwingungs- und Schallmessungen in den betroffenen Gebäuden bestätigen, dass die Ursache für das Knallen unter anderem in Querkraftdorn­verbindungen liegt – meist knacken mehrere solcher Verbindungen. Gemessene Spickvorgänge werden mit gleichzeitig erfassten Schallereignissen korreliert. ­Zusätzliche Temperaturmessungen der Aussenluft und der Bauteile verdeutlichen die Zusammenhänge zwischen Temperatur, Knall und Konstruktion. Die ­Bewegungsrichtungen der Spickvorgänge sind am ­Nachmittag entgegengesetzt zur Richtung nachts.

Die Erwärmungen respektive die Abkühlungen und die ­dar­aus resultierenden thermischen Expansionen bzw. Kontraktionen können bei entsprechender Messinstrumentierung festgestellt werden (Abb.). Regis­trierte Maximalpegel LA,F – Schalldruckpegel gemessen mit Frequenzbewertung «A» (entspricht den Kurven gleicher Lautstärkepegel bei ca. 20 bis 40 phon) und der Zeit­bewertung «fast» (engl. für schnell) – einzelner Knackgeräusche liegen im Mittel im Bereich bis 45 dBA, maximal im Bereich von über 70 dBA.

Knacken Tag und Nacht

Das Knistern, Knacken und Knallen ist praktisch 24 Stunden lang zu hören. Besonders während der Nacht, wenn die Schlafphase gestört wird, ist die Beeinträchti­gung enorm. Oft bemerkt man die Geräusche zwischen Mitternacht und den frühen Morgenstunden – verzögert zur Abkühlung der Aussenluft – sowie zwischen der Mittagszeit und dem Abend – verzögert zur Erwärmung der Aussenluft (Diagramm).

Mit den heute besser gegen potenzielle Lärmemissionen gedämmten Gebäuden dürfen Bewohner ausserdem davon ausgehen, dass sie in ihren Wohnungen in der Regel kaum etwas von den Nachbarn oder von aussen hören. Dieser gegenüber früher abgesenkte Ruhepegel bewirkt, dass bis anhin nicht wahrgenommene Quellen hörbar sind – und im schlechtesten Fall neu als störend empfunden werden. Schliesslich begünstigen moderne Grundrissgestaltung, glatte Oberflächen und wenig Stoff in der Raumgestaltung hohe Nachhallzeiten – Geräusche wie das Knacken ­werden dadurch ausgeprägter wahrgenommen.

Der Geräuschpegel nimmt ohne Massnahmen nicht ab. Die Ingenieure rechnen aber damit, dass sich die Belästigung dennoch verkleinert, vermutlich aber nicht, weil sich der Schalldruckpegel reduziert, sondern weil sich die Bewohner daran gewöhnen.

In den Normen nicht berücksichtigt

Um subjektive Wahrnehmung normativ zu erfassen, ziehen Ingenieure die aktuell gültigen Normen bei, auch wenn für die Immissionsart «Knacken» (knack- bis knall­artige Geräusche infolge ruckartiger thermischer Relativbewegungen der Tragstruktur) in der Schweiz keine expliziten Vorgaben für zulässige Werte in Wohnräumen existieren.

Im Zusammenhang mit Schallschutz im Hochbau wird üblicherweise die Norm SIA 181:2006, «Schallschutz im Hochbau» beigezogen. Unter 3.2.3.9.6. steht, dass konstruktionsbedingte Geräusche, die beispielsweise aus plötzlicher Entlastung von Zwängungen entstehen können, sinngemäss wie Funktionsgeräusche zu beurteilen sind. Die registrierten Knackgeräusche überschreiten die Anforderungen «Geräusche haustechnischer Anlagen und fester Einrichtungen im Gebäude» dabei meistens (z. B. Anforderungswert bei Eigentumswohnungen resp. bei erhöhten Anforderungen und mittlerer Lärmempfindlichkeit: LH = 30 dBA) – ein Wert, der von Knackgeräuschen relativ rasch überschritten wird.

Die mit den Geräuschen gleichzeitig auftretenden Erschütterungen bemängeln die Bewohner selten, was auch messtechnisch nachvollziehbar ist, zumal die gemessenen Schwingungsamplituden meist deutlich unterhalb der Wahrnehmungsgrenze und den Beurteilungswerten liegen (z. B. DIN-Norm Nr. 4150-2 «Erschütterungen im Bauwesen, Teil 2: Einwirkungen auf Menschen und Gebäude»). In den Tragwerksnormen werden bauphysikalische Fragestellungen dieser Art nicht behandelt; thermisch beanspruchte Elemente sind lediglich bezüglich Tragsicherheit und Ermüdungsfestigkeit zu überprüfen.

Schaden beheben und Wissen erweitern

Um das Problem zu beheben, reicht eine statische Analyse allein nicht aus. Vielmehr sind Anschlussdetails notwendig, die präzise, sachgemäss und sauber eingebaut und hergestellt werden müssen. Auch die möglichen ruckartigen Verschiebungen sind zu untersuchen. Entweder sind die Verschiebeebenen genügend gleitend auszubilden, oder sie sind zu verhindern. Das heisst, es sind nach Möglichkeit keine Verschiebungen zuzulassen, die Struktur auf Zwängungen zu bemessen und die vor­handenen Wärmebrücken entsprechend auszubilden.

Bei einem Schadenfall hilft meist nur der komplette Ersatz der betroffenen Dorne. Die Tragfunktion wird dabei durch Ersatzbauteile wie beispielsweise Konsolen mit Gleitlagern, zusätzliche Stützen, Schub- oder Gleitlaschen gewährleistet – ein enormer nachträglicher planerischer und kostenintensiver Aufwand, der sich gestalterisch negativ auswirken kann und den es vorab zu verhindern gilt.

Bei den untersuchten Schadenfällen war den Planenden die Problematik der Knackgeräusche vor Baubeginn nicht bekannt. Das Phänomen war ihnen mit ihrem üblichen und zu erwartenden Wissensstand und Fachwissen nicht bewusst, was grundsätzlich das ­Risiko einer Fehlkonstruktion birgt. In der Lehre wird diese Thematik nicht behandelt, und in der Forschung wurden erst in den jüngsten Jahren Untersuchungen hinsichtlich «Spickgeräuschen» injiziert.

Das Wissen um die Gefahr von Knackgeräuschen beschränkt sich zum heutigen Zeitpunkt auf wenige – meist durch einen Fall betroffene – Planende und Baufachleute. Es ist anzunehmen, dass Hersteller und Lieferanten von kraftübertragenden Anschlussteilen bereits ähnliche Fälle kennen, dieses Wissen von den Planenden jedoch aktiv eingeholt werden muss. Das Bewusstsein um knackende Bauteile vermindert längerfristig das Risiko eines Mangels oder eines Schadenfalls.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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