Kolumne

Vermöbelte Städte

Schilderwälder, Heerscharen von Pollern und anderes Mobiliar: Der städtische Raum wird zunehmend chaotisch und hässlich – warum?

Jürgen Tietz
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Ästhetisch fragwürdig: Betonsperren und ähnliche Verschandelungen im Strassenraum. (Bild: Imago)

Ästhetisch fragwürdig: Betonsperren und ähnliche Verschandelungen im Strassenraum. (Bild: Imago)

Vor meinem Zeitungsladen protzt einer dieser fast mannshohen Kästen mit Knotenpunkten der Telefonleitungen, breit wie drei übergewichtige Kerle. Gestaltqualität? Fehlanzeige. Dafür aber steht gleich daneben ein zweiter Kasten für die Post, glücklicherweise etwas kleiner, aber weil das offenbar nicht ausreicht, prangen im Strassenraum zudem die Schilder fürs eingeschränkte Halteverbot und die Hinweistafel für den Bibliotheksbus, der hier zweimal die Woche nachmittags hält.

Wer sich mit Schaudern abwendet, droht über eine Armada an rostigen Veloständern zu stolpern oder gegen die Pfeiler einer haushohen Werbeanlage zu prallen. Ein Einzelfall? Von wegen.

Regulierungswahn

Schon bevor aus Gründen des Schutzes vor Terroranschlägen Plätze und Fusswege mit Betonsperren ausgestattet worden sind, waren die Strassen längst in allen Varianten mit Pollern verziert – von den Heerscharen übereinander angebrachter Schilder ganz zu schweigen, die Verkehrsteilnehmern signalisieren, was sie hier wann dürfen und was wann nicht. Resigniert schüttelt der Betrachter angesichts der Informationsflut den Kopf und fragt sich, welche Kosten dieser einem Regulierungswahn entsprossene Wald wohl jedes Jahr verschlingt.

Ist es da ein Trost, dass wenigstens die Parkschein-Automaten, deren Mäste mit Photovoltaik-Paneelen in den Strassenraum winken, eine gewisse Poesie ausstrahlen? Werden sie entleert, dann klingt es wie ein Sommerregen, der auf die Fensterbank prasselt. Sonst aber ist Poesie auf Strassen und Gehwegen Mangelware. So gewöhnt sind wir an diese optische Kakofonie der Überregulierung des öffentlichen Raums, an seine Vermüllung mit ungepflegten Häuschen und unbequemen Sitzbänken, dass wir sie kaum noch wahrnehmen. Als wären wir Protagonisten in Jacques Tatis «Mon oncle», laufen wir auf den uns vorgegebenen Pflastersteinen Slalom, um ans Ziel zu gelangen. Die Realität hat die Satire längst überholt.

Wer übrigens den Grund dafür in den viel zu vielen Autos sucht, trifft nicht den Kern des Problems. Fussgängerzonen sehen schliesslich keinen Deut besser aus. Erst wenn wir einen Moment stehenbleiben, vielleicht um eine Sehenswürdigkeit zu fotografieren, bemerken wir den ganzen Wahnsinn. Verzweifelt suchen wir einen Standort, von dem aus der Blick auf unser Motiv durch keinen Oberleitungsmast, durch kein Verkehrsschild verstellt ist.

Die Möblierung, um nicht zu sagen Vermöbelung der Städte, ist nicht nur Ausdruck der Unfähigkeit, Strassen und Gehwege mit der gebührenden Zurückhaltung zu gestalten. Die vermöbelte Stadt ist auch Symptom einer überregulierten Gesellschaft, einer in DIN-Normen und Paragrafen erstarrten Gestaltung, für die auch im Strassenraum nichts mehr selbstverständlich ist.

Den Raum zurückerobern

Den hohen Preis, den wir dafür ästhetisch zahlen, erkennt jeder sofort, der sich historische Bilder von Strassenzügen anschaut: die Fahrbahnen, zwei Gehwege, Ende. Irgendwann in den siebziger Jahren haben wir den Verkehrsplanern endgültig die Herrschaft über unsere Strassen überlassen. Erst wurde die Schönheit des Kopfsteinpflasters mit Asphalt übergossen, der anschliessend mit Fahrbahnmarkierungen aller Art überpinselt wurde. Wir haben unsere Verantwortung auf die Regeln abgeschoben, die zu brechen bei Radfahrern, Fussgängern und Automobilisten längst zum Volkssport geworden ist, was nur einen weiteren Regulierungswutanfall nach sich zieht.

Es ist an der Zeit, die öffentlichen Strassenräume aus den Klauen der Verkehrsplaner zurückzuerobern. Den Schlachtruf dafür hat uns Ludwig Mies van der Rohe längst an die Hand gegeben: Weniger ist mehr!