Der bekannteste Architekt Amerikas

Vor 150 Jahren wurde Frank Lloyd Wright geboren. Das Museum of Modern Art in New York widmet nun dem legendären Architekten eine grosse Schau, in der viel unbekanntes Archivmaterial gezeigt wird.

Albert Kirchengast
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Blick in die ruhig und heiter inszenierte Wright-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art mit den Modellen und Farbzeichnungen des 1929 in Manhattan geplanten, aber nie realisierten St. Mark’s Tower und des 1959, im Todesjahr des Meisters, vollendeten Solomon R. Guggenheim in New York. (Bild: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale)

Blick in die ruhig und heiter inszenierte Wright-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art mit den Modellen und Farbzeichnungen des 1929 in Manhattan geplanten, aber nie realisierten St. Mark’s Tower und des 1959, im Todesjahr des Meisters, vollendeten Solomon R. Guggenheim in New York. (Bild: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale)

Ist dieser eigentümliche Blick todmüde oder nur spöttisch gelangweilt? Sieht so eine legendäre Persönlichkeit aus, die für die Kamera im künstlichen Sonnenlicht posierte – wie gewohnt im Anzug mit unangenehm spitz zulaufendem, weissem Kragen und auffälliger Schleife um den Hals? «World Famous Architect» flimmerte es über den Bildschirm. Und doch taten sich die mit verbundenen Augen ratenden Celebritys beim Fernsehquiz «What ist My Line?» schwer, ihr Gegenüber zu erkennen. Heute würde er wohl twittern – er würde wie damals keine Möglichkeit verpassen, sich in Szene zu setzen, dieser bekannteste Architekt Amerikas.

Bewusst läuft der Schwarz-Weiss-Mitschnitt der populären Show vom Juni 1956 am räumlichen Endpunkt eines an ebenso wunderbaren wie unbekannten Architekturzeichnungen reichen Ausstellungsparcours – und bleibt dabei in Hör- und Sichtweite des grünen Empfangsraums. Hier beginnt alles. Ein hingehauchtes Haus, von schüchternen Gewächsen umspielt, löst sich im vergilbten Papier beinahe auf. «Drawing shown to Lieber Meister when applying for a job», lautet der Schriftzug in der linken unteren Ecke des Zeichenblatts vielsagend. Das war 1887. Als Unbekannter bewirbt der junge Architekt sich erfolgreich bei Sullivan & Adler in Chicago und tritt auf die Bühne der Architekturgeschichte.

Das Archiv als Metapher

Zu Frank Lloyd Wright (1867–1959) haben nur wenige keine eigene Meinung. Doch der Kurator Barry Bergdoll will keine haben: Er gibt Wrights Arbeiten lieber viel Raum und widmet ihnen eine ebenso erfrischende wie intensive Schau. Vor wenigen Wochen wurde «Frank Lloyd Wright at 150: Unpacking the Archive» im Museum of Modern Art in New York eröffnet. Fünf Jahre nachdem es Bergdoll in einem Meisterstreich gelungen war, das monumentale Archiv des vor 150 Jahren geborenen Architekten nach New York zu holen. Für diesen Kraftakt mussten die Avery Library an der Columbia University – an der sich etwa auch der Nachlass Louis Sullivans befindet – und das MoMA, in dem auch das Mies-van-der-Rohe-Archiv beherbergt ist, zusammenarbeiten.

Frank Lloyd Wright posiert - wie gewohnt im Anzug mit weissem Hemd und auffälliger Schleife - an die Kühlerhaube seines Autos gelehnt auf seinem Campus in Taliesin West in Scottsdale, Arizona, wo er seit 1937 im Winterhalbjahr arbeitete und seine Jünger unterrichtete. (Bild: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale)

Frank Lloyd Wright posiert - wie gewohnt im Anzug mit weissem Hemd und auffälliger Schleife - an die Kühlerhaube seines Autos gelehnt auf seinem Campus in Taliesin West in Scottsdale, Arizona, wo er seit 1937 im Winterhalbjahr arbeitete und seine Jünger unterrichtete. (Bild: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale)

Ein solches Joint Venture konnte Bergdoll, der am MoMA als Kurator, an der Columbia University als Professor tätig ist, gut in die Wege leiten. Rund 55 000 Zeichnungen, 125 000 Fotografien, 300 000 Briefe, Telegramme usw. und eben auch stundenlanges Filmmaterial konnte man schliesslich von der Frank Lloyd Wright Foundation entgegennehmen. Aus Taliesin East in Wisconsin und Taliesin West in Arizona ist das opulente Archivmaterial teilweise immer noch unterwegs an die Manhattaner Monringside Heights, wo es in den Händen kundiger Konservatoren für künftige Forschungsprojekte zugänglicher sein wird als bis anhin.

So präsent Wright im MoMA momentan auch ist, so sehr verbirgt sich seine Stimme hinter den Stimmen, die man in den Ausstellungsräumen hört. Nicht Wright, die Kultfigur, heute wie damals von emsiger Jüngerschaft umgeben, sondern zwölf kleine Bildschirme stehen im Zentrum der Ausstellung. Bergdoll nimmt den Titel seiner Schau ernst, lässt Architekturhistoriker, Kuratoren, Archivare, ob jung oder alt, renommiert oder neu im Forschungsbetrieb, je ein Objekt ihrer Wahl aus der Fülle des Möglichen picken und auspacken.

Das wurde gefilmt und zu charmant unprätentiösen Präsentationen gefügt – man schaut den Leuten sozusagen live beim Nachdenken über die Schultern. Das ist zwar auch didaktisch, vor allem aber klug und stellt ein handfestes Konzept dar, da man in der Ausstellung von den erwähnten Objekten umgeben wird, sie ganz real und konkret im Raum vorfindet: in Form von Architekturmodellen, Zeichnungen und Archivalien. Bergdoll setzt dabei nur auf wenige eigentliche Wright-Kenner. Vielmehr äussern sich hier Enthusiasten, denen Fragestellungen ihres eigenen Metiers durch Wright auf neue Weise begegnen. Wie man vor Ort erleben kann, wirkt das stimulierend auf die Museumsbesucher. Angesichts der solcherart zum Leben erweckten Exponate gehen sie auf eigene Entdeckungsreisen.

Ganz unaufgeregt hat Barry Bergdoll den Ablauf der Schau komponiert – hier Frank Lloyd Wright beim Entwerfen und die Zeichnungen des 1956 konzipierten «Mile-High Illinois» (links), der 1609 Meter hoch in den Himmel über Chicago hätte wachsen sollen. (Bild: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale)

Ganz unaufgeregt hat Barry Bergdoll den Ablauf der Schau komponiert – hier Frank Lloyd Wright beim Entwerfen und die Zeichnungen des 1956 konzipierten «Mile-High Illinois» (links), der 1609 Meter hoch in den Himmel über Chicago hätte wachsen sollen. (Bild: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale)

Hat das MoMA in zahlreichen vorgängigen Ausstellungen zum festgefügten Bild dieses Architekten nicht wenig beigetragen, wird der Gefahr weiterer Idolisierung hier ein Schnippchen geschlagen. Aus gutem Grund: Schliesslich ist es in der heutigen Architektenschaft und ihrem Umfeld längst irritierende Usance geworden, jede neue Meisterleistung aus eigener Hand nicht nur in ein eigenes Buch zu packen, sondern dieser sogleich eine kleine Theorie umzubinden – auf dass es vom Publikum auch eindeutig verstanden werde.

Das Archiv indes scheint für Bergdoll zur Metapher eines andersartigen Zugangs zu werden. Dessen anhaltende Lektüre stellt sich als Spiegelbild jener Interessen dar, die jede Zeit in anderer Form an die Geschichte richtet. Es birgt schöne Untiefen und erstickt einseitige Kurzschlüsse im Keime. Zugleich erweist es sich durch den Reichtum und die Konstanz seines Bestandes als Chance für neue Ausgangspunkte. Schon in seiner ersten MoMA-Ausstellung im Jahr 2001, «Mies in Berlin», wies Bergdoll gemeinsam mit Terence Riley auf das damals beinahe vergessene Frühwerk des deutsch-amerikanischen Architekten hin. Nun gehe es ihm um eine Vielzahl möglicher Stimmen, die er wecken will, wie er im persönlichen Gespräch immer wieder betont. Wright kenne man ja nur zu gut, die kanonische Figur des Hauses «Fallingwater» in Pennsylvania, das Kinder heute aus Legosteinen nachbauen. Dennoch strebt die Vielstimmigkeit dieser Ausstellung nicht per se nach Vieldeutigkeit.

Das Werk selbst schillert und fasziniert in verjüngter Frische, stellt die Frage nach jenem organischen Zusammenhang, der Wright vom Entwurf einer modernen Farm zur Broadacre City, von der Frage adäquater Nahrungsmittelproduktion zum utopischen Gefüge einer neuen Stadt, von frühen «Fertigteilhäusern» mit Formanspruch zu originären Ornamenten führte. Die bisher weitgehend unbekannte Buntstiftzeichnung der Galesbury Country Homes (1947) ist nur ein Beispiel dafür, wie Schönheit aus einer Einheit von Form, Idee und handwerklicher Könnerschaft entspringt. Wie hängt sie etwa mit den abstrakt-geometrischen Farbstudien zusammen, die Wright gleichermassen für Wandmalereien wie für Gartenpläne erstellte?

Eine andere Moderne

Wer also war dieser Frank Lloyd Wright, möchte man fragen? Darauf gibt diese Schau keine Antwort und bleibt diese – auf rätselhafte Weise – doch nicht schuldig. Aus einem ebenso eleganten wie einfachen Schachzug gegen den Meister der prägnanten Selbstinszenierung sowie gegen eine stets verkürzende Geschichtsschreibung weckt sie die Neugier nach einer anderen Moderne, der sich Wright stets zugehörig fühlte.

Improvisiert wirkt – verglichen mit heutigen Standarts – die Präsentation des «Mile High Illinois» anlässlich der Medienkonferenz vom 16. Oktober 1956 in Chicago, in deren Zentrum die 6,7 Meter hohe Zeichnung des Wolkenkratzers stand. (Bild: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale)

Improvisiert wirkt – verglichen mit heutigen Standarts – die Präsentation des «Mile High Illinois» anlässlich der Medienkonferenz vom 16. Oktober 1956 in Chicago, in deren Zentrum die 6,7 Meter hohe Zeichnung des Wolkenkratzers stand. (Bild: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale)

«Unpacking the Archive» ist eine Ausstellung vieler möglicher Ausstellungen – zugleich ein Aufruf gegen eine grassierende Verschlagwortung in der Gegenwartsarchitektur. Es ist vielleicht weniger der Glanz des Erfolges, der abschreckende Ehrgeiz, die zeichnerische Gewalt und die Anzahl der Projekte, die Wright bis heute am Leben erhalten, als vielmehr der Ernst eines Menschen, der eine Aufgabe hatte und sich dieser stellte. Aus diesem Werk spricht eine Idee – durch Formen, die sich wandeln und doch ihre Identität behalten.

Bis 1. Oktober. Katalog: Barry Bergdoll: Frank Lloyd Wright. Unpacking the Archive. Museum of Modern Art, New York 2017. $ 65.–.