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db deutsche bauzeitung 07-08|2017
Erstlingswerke
db deutsche bauzeitung 07-08|2017

Konstruktive Gegensätze

Haus in Riehen (CH)

Gleich bei ihrem Erstling durften die Architekten in die Vollen gehen. Schweizerisch klar und reduziert schufen sie mit edlen Oberflächen ein kontrastreiches Spiel von klassischen Architekturthemen: leicht und schwer, Tragen und Lasten, definiert und fließend. Präzise gesetzte Materialstöße und Raumkanten lassen bautechnische Fragen in den Hintergrund treten und überlassen die Bühne der Geometrie und der Hanglage mit Aussicht.

4. Juli 2017 - Janna Lipsky
Oberhalb des historischen Dorfkerns von Riehen steht in der Nähe des Wenkenparks das Erstlingswerk der Baseler Architekten Lukas Raeber und Patrick Reuter. Das Einfamilienhaus ist Teil eines Wohngebiets, dessen heterogene Bebauung sich zwischen hohem Baumbestand weitläufig den Hang entlang ausbreitet. Neben traditionellen Holzhäusern mit Satteldach und Fenster­läden stehen hier Flachdachbauten aus der frühen und späten Moderne, genauso wie standardisierte Investoren- und ikonische Autorenarchitektur aus den letzten Jahrzehnten.

Auf die Empfehlung eines Bekannten hin hatte das seit 2012 bestehende Büro Reuter Raeber den Auftrag erhalten, ein privates Wohnhaus für diese vielfältige und beschauliche Umgebung zu entwerfen. Die beiden jungen Architekten standen der Bauaufgabe ambivalent gegenüber: War das Einfamilienhaus in der Moderne noch ein Ort für Experimente, verbindet man heute damit die Zersiedelung der Vororte mit Kataloghäusern minderer Bauqualität.

In Riehen findet sich beides und die Architekten hatten zum Glück das Pri­vileg mit einem Bauherrn zusammenzuarbeiten, der sich für ein Experiment – für eine anspruchsvolle Konstruktion und hochwertige Materialien – begeistern konnte. Eine optimale Ausgangslage für das erste Neubauprojekt. Nach einem guten Jahr Planungszeit und nur elf Monaten Bauzeit wurde das Haus 2016 fertiggestellt und erhielt sogleich den Schweizer Architektur-Award in der Kategorie »Der erste Bau«.

Lukas Raeber und Patrick Reuter, die beide an der ETH in Zürich Architektur studierten, arbeiteten während und nach dem Studium jeweils in unterschiedlichen international tätigen Architekturbüros: Raeber bei Gehry Partners in Los Angeles und Diller Scofidio + Renfro in New York, Reuter bei Ateliers Jean Nouvel in Paris, Richter Dahl Rocha Arquitectos in Buenos Aires und Christ & Gantenbein in Basel.

Vorstellung und Kontrolle

»Die größte Qualität selbstständig zu arbeiten, liegt darin Verantwortung zu übernehmen und zwar für alles,« beschreibt Patrick Reuter seine stärkste ­Motivation für die Gründung eines eigenen Architekturbüros. Diese Verantwortung umfasst den idealisierten selbstbestimmten Entwurfsprozess genauso wie die wenig zu kontrollierenden und zähen Prozesse bei der Akquise. Er fügt auch gleich relativierend hinzu: »Wer will schon immer Verantwortung übernehmen? Man kann dabei scheitern und darf nie wegschauen. Sich als junges Büro zu etablieren ist anspruchsvoll und schwierig.« Junge Architekturbüros sehen sich nicht nur in der Schweiz mit einem äußert kompetitiven Arbeitsumfeld konfrontiert. Das restriktive Wettbewerbswesen, die wenigen offenen Ausschreibungen mit Hunderten von Teilnehmern schränken den Zugang zu einer offiziellen Auftragsvergabe ein. So zählen zu den ersten ­Projekten junger Büros – wie auch beim Büro Reuter Raeber – neben Wettbewerben und Studien meist Sanierungen, Um- und Anbauten.
Um einen Zugang zum Hausprojekt in Riehen zu entwickeln, suchten Reuter Raeber zuerst die vielfältigen Referenzen in der Umgebung auf. Die Einfami­lienhausarchitektur in dem Baseler Vorort stand nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur unter dem Einfluss nationaler Traditionen. Ansässige international agierende Kunstsammler und Kulturschaffende blickten in den 60er Jahren beispielweise auf Projekte wie die amerikanischen Case Study Houses und übertrugen die Konzepte auf ihre Wohnhäuser. Zum ersten Bezugspunkt des Projekts von Reuter Raeber wurde eines dieser Gebäude, das Haus Sponagel (1969) der Basler Architekten Max Rasser und Tibère Vadi; dessen auf einem Betonsockel liegende Stahlkonstruktion ist eine Hommage an die Wohn­bauten des Internationalen Stils und war seinerzeit eine Neuheit in der Schweiz.

Reuter Raeber widmeten sich außerdem der Topografie und den Ausblicken des Grundstücks. Die mehrfach abgetreppte Betonbodenplatte folgt der leichten Neigung des steinigen Terrains, um im offen gehaltenen Wohnraum ­immer den direkten Bezug zum Außenraum zu wahren. Die Platte setzt sich bis in den Garten fort. Zwei parallel liegende Betonwände definieren das recht­eckige EG in Längsrichtung.

Weitere ebenfalls geschosshohe Betonmauern begrenzen das Grundstück und bilden die Rückwände für das Außenschwimmbecken und die Sommerküche. Die gesamte Betonstruktur der EG-Zone ist von der Straße her kaum wahrnehmbar. Lediglich der dunkle Quader des OGs, der auf den beiden Betonscheiben aufliegt, ist gut zu sehen. Das ­Gebäudevolumen »duckt sich weg«, wie Patrick Reuter es beschreibt und ist nur auf der Gartenseite komplett zu erfassen.

Reuter Raeber nutzen in ihren Bauten oft Gegensatzpaare, die eine räumliche Spannung erzeugen. Beim Haus in Riehen differenzieren sie die Geschosse nicht nur farblich – durch den Kontrast von hellgrauem Ortbeton und ­geschwärzten Chromstahlplatten –, sondern viel entscheidender auch konstruktiv. Der Massivbauweise im EG steht im OG die Leichtbauweise mit Holz und Stahl gegenüber. Die Detailierung und Ausführung der aufwen­digen Mischbauweise wurde zur größten Herausforderung.

Den Quader des OGs bilden vier Vollholzscheiben, die sich paarweise gegenüberstehen und weit über das EG auskragen. Die Zwischenräume sind als Fensterfläche genutzt, an den Längsseiten verlaufen die aussteifenden, sich diagonal kreuzenden Zugseile aus Stahl sichtbar vor den Glasscheiben. An den beiden, komplett verglasten Stirnseiten bilden querliegende Stahlträger jeweils die Oberkanten. An diesen hängt mit vertikalen Zugseilen die EG-­Decke. Die verwendeten Holzaluminiumfenster sind schwarz pulverbeschichtet.

Aufgrund der reinen Verwendung der Materialien Beton, Holz und Stahl, des Verzichts auf unnötige Applikationen und der Zurschaustellung der Konstruktion tragen die jungen Architekten dazu bei, die Tradition der hochwertigen Schweizer Architektur fortzuführen. »Notwendigkeit und Echtheit« soll die Architektur vermitteln, »nur so wenig Wand wie nötig und das reine Material zum Einsatz kommen« beschreibt Lukas Raeber ihren Planungsansatz. Dass Reuter Raeber jedoch nicht nur auf minimale Strenge setzen, belegt die Betonskulptur im Innenraum.

Nachdem Bodenplatte und EG-Wände aus ­Beton errichtet waren, wurde zentral in den offenen Wohnbereich eine zweigeschossige Betonscheibe gestellt. In der oberen Hälfte kreuzt sie sich mit ­einer zweiten Scheibe. Darunter hängt schwer der rechteckige Kaminzug. Am Fuße der Scheibe schließt eine lange schmale horizontale Platte an, die als Feuerplatz, Ablage und Sitzbank dient. Oben wurde im weiteren Bauverlauf noch die Badewanne, ebenfalls aus Beton, angesetzt. Mit diesem starken formalen Element verschränken die Architekten zum einen die beiden Konstruktionsweisen, zum anderen ist das skulpturale Element ein Symbol für die Gegenüberstellung der Elemente Wasser und Feuer. Der zentrale Feuerplatz und die verschiedenen Ebenen im offenen Wohnraum stehen in der Tradition der Wohnhäuser Frank Lloyd Wrights und seiner zahlreichen modernen Nachfolger.

Auf vielfältige Weise finden Reuter Raeber formale und konstruktive ­­­Anknüpfungspunkte in der relativ kontextlosen Umgebung. »Um Bestand zu haben, muss Architektur auf die Nutzer und den Kontext eingehen und eine Idee vermitteln,« sagt Patrick Reuter. Er wagte den Schritt in die Selbstständigkeit, um »genau die Architektur zu machen, die ich mir vorstelle.« Beides ist ihnen unter privilegierten Voraussetzungen beim Haus in Riehen gelungen. »Wo mit viel Leidenschaft, Mut und Geduld ein Ziel verfolgt wird, eröffnen sich auch Möglichkeiten«, ergänzt Reuter überzeugt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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