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db deutsche bauzeitung 07-08|2017
Erstlingswerke
db deutsche bauzeitung 07-08|2017

Weimar, Finsterwalde, Berlin

Evangelisches Gemeindehaus in Finsterwalde

Lukas Bartke und Clemens Habermann begannen die Arbeit an ihrem Erstlingswerk noch während ihres Studiums. Konzeptionelle Strenge, hoher persönlicher Einsatz und intensive Überzeugungsarbeit ließen es schließlich Realität werden. Dem bestehenden Backsteinhaus nebenan steht nun ein ebenso starkes wie feines Gebäude zur Seite, das innen wie außen Atmosphäre schafft.

4. Juli 2017 - Carsten Sauerbrei
Die gemeinsame Reise zum Erstlingswerk der beiden jungen Architekten ­Clemens Habermann und Lukas Bartke beginnt Ende Mai in Berlin. Dort ­leben sie mittlerweile die meiste Zeit und setzen ihre gemeinsame Arbeit fort, die bereits 2012 mit ihrem Kennenlernen an der Bauhaus-Universität in ­Weimar begann. »Nach zehn Jahren in Weimar war es Zeit für einen Tapetenwechsel. Außerdem sind wir in einer Stunde in Finsterwalde, wo gerade unser neues Projekt, der Neubau der Stadthalle startet«, so begründet Habermann die Entscheidung für Berlin als Arbeitsort.

Als projektbasierte Zusammenarbeit bezeichnet Lukas Bartke ihre, ganz ­eigene Art der Kooperation. Sie hätten dabei den Status freier Mitarbeiter im ­Architekturbüro von Clemens’ Vater, Jürgen Habermann, und nutzten dessen langjährige Erfahrungen und Ressourcen wie auch die Ingenieurleistungen, die das Büro anbietet. Nach ihren Studienabschlüssen im Herbst 2014 und Frühling 2015 hätten sie ja auch noch gar kein eigenes Büro gründen können, fügt er lächelnd hinzu.

Stringenz und Kommunikation

Es war sicherlich eine glückliche Fügung, dass nahezu gleichzeitig mit ihrem Zusammentreffen im Weimarer Entwurfsseminar des deutsch-argentinischen Architekten José Gutierrez Marquez das Architekturbüro von Jürgen Habermann ob seiner Größe als lokaler Vertreter zum Gutachterverfahren für ein neues Gemeindehaus der Evangelischen Kirchengemeinde im südbrandenburgischen Finsterwalde eingeladen wurde. Als Clemens bei seinem Vater nach einer Tätigkeit für die Semesterferien anfragte, hat dieser ihm die Wettbewerbsbearbeitung angeboten. Die von Marquez im Seminar vermit­telte, konzeptionelle Strenge habe ihn und den mit ins Boot geholten Lukas Bartke bei der Wettbewerbsbearbeitung stark beeinflusst, fügt er hinzu. Auch das ­Seminarthema »Rote Spitzen« (die romanischen Ziegeltürme der Altenburger Marienkirche) passte perfekt zum Finsterwalder Entwurfsort. Dieser ist von zwei benachbarten, historischen Backsteinbauten, dem Pfarramt und dem alten Gemeindehaus sowie dem unmittelbar angrenzenden, ­ältesten Gebäude Finsterwaldes, der »Curdsburg«, geprägt. Es verwundert ­daher nicht, dass die beiden Studenten den Neubau des Gemeindehauses ebenfalls als Ziegelgebäude planten. »Der Backstein fügt sich einfach wunderbar in die Brandenburger Landschaft ein«, so beschreibt Bartke seine Ein­drücke von den Ortsbesichtigungen. Clemens Habermann stimmt zu und fährt fort: »Außerdem wollten wir die Baugeschichte fortschreiben.« Erwartet habe die Kirchengemeinde allerdings etwas anderes, einen »modernen« Entwurf, der einen Kontrast zum Bestand bilde, schildert Bartke die Reaktionen bei ihrer Entwurfsvorstellung. Sie dagegen hätten den zeitgenössischen Zwilling zum Pfarramt bauen wollen. Habermann vermutet, dass sie ihren, mit ­einer Stimme Mehrheit denkbar knappen Sieg letztlich ihrem Enthusiasmus und dem anschaulichen Präsentations­modell zu verdanken haben.

Einsatz und Kreativität

»Mit dem Ziegel konnten wir mehrere Entwurfsthemen auf einmal lösen«, so begründet Lukas Bartke ihre Entscheidung für die Konstruktion aus Opus Caementitium, massivem Gussmauerwerk, das sie nicht nur außen, sondern auch innen ziegelsichtig beließen.

Man habe dem Neubau mit dem sehr heterogenen Raumprogramm dadurch eine klare Identität und Struktur geben können. Außerdem garantiert die raue Ziegeloberfläche eine gute Akustik und die enorme Trägheit der Baumasse ein stabiles Raumklima.

»Durch die Verwendung des Ziegels als Basis für den gesamten Entwurf konnte an un­serem Konzept im Nachhinein auch nichts groß verändert werden«, fügt er augenzwinkernd hinzu. Dennoch wäre die Ausführung fast an den hohen Kosten für den gewünschten, historischen Stein aus dem Ringbrandofen ­gescheitert. In Polen fand Habermann nach ­einiger Suche schließlich die ­Lösung mit einer Ziegelei, die die Steine zu ­einem Viertel des Preises in Deutschland anbot.

Auch danach mussten die beiden Berufsanfänger verschiedene Herausforderungen bei der Realisierung ihres Entwurfs bewältigen, u. a. eine sehr aufwendige Ausführungsplanung. »Als Arbeitsgrundlage für die Maurer habe ich Grundrisse für die Binder- und Läuferschichten sowie Wandabwicklungen ­aller Räume gezeichnet, weil die Ziegel Toleranzen von bis zu 1,5 cm aufwiesen und teilweise komplizierte Details gemauert werden mussten«, beschreibt Bartke den durch das Honorar nicht abgedeckten Aufwand, den man sich für das erste Haus aber leisten wollte. »Wir hätten es auch selbst mauern können, so gut kannten wir jedes Detail«, merkt Habermann lachend an.

Vermutlich war es dieser intensive, persönliche Einsatz, der zu ihrem »guten Draht« zu den Handwerkern führte. Geholfen hätte ihnen aber auch, dass ­Jürgen Habermann als offizieller Ansprechpartner vor Ort, ihnen den Rücken freigehalten hat. Außerdem konnten sie bei Fragen des Bauablaufs von seiner Erfahrung profitieren, auch wenn er oft mit dem Kopf geschüttelt habe, ob des immensen Planungsaufwands.

»Es war eine große Herausforderung, alle Beteiligten von unseren Ideen und Ansprüchen zu überzeugen«, so Bartke weiter. »Um die Menschen vor Ort mitzunehmen, sind wir behutsam vorgegangen«, ergänzt Habermann. So hat man z. B. für den nicht mehr zu rettenden Vorgängerbau einen Ausstand vor dem Abriss gegeben.

Klarheit und Vielfalt

Angekommen in Finsterwalde empfängt uns Jürgen Habermann, der weiterhin den beiden Entwurfsverfassern die Bühne überlässt. Auch ihm ist der Stolz auf das Geleistete anzumerken. »Anfangs sei ja viel Skepsis und Ungeduld bei der Kirchengemeinde da gewesen«, merkt er an. Doch spätestens jetzt, mehr als ein halbes Jahr später, seien alle froh, etwas Besonderes zu ­haben, alle nähmen die Kraft des Gebäudes wahr.

Zunächst besichtigen wir den mit viel Glas und Holz gestalteten und dennoch sehr konventionell wirkenden Gemeindesaal »Arche« aus den 2000er-Jahren. Dieser erhielt mit der Raumfolge Eingang, glasüberdecktes Atrium und Foyer im neuen Gemeindehaus einen barrierefreien Zugang sowie zusätzliche ­Nebenräume. Diese neuen Räume beeindrucken mit der kraftvollen, nahezu sakralen Präsenz der massiven Ziegelkonstruktion in Schottenbauweise und mit ihrer klaren Gliederung und Formensprache, bei der alle Installationen innerhalb der Wände verlegt sowie Nebenfunktionen, wie Garderoben und Lagerflächen, unsichtbar, in mit Holztüren abgeschlossenen Wandnischen ­integriert wurden. Außerdem gelang mit den wenigen, verwendeten Materialien Ziegel, Eichenholz, Beton, Estrich und Bronze eine Kombination von ­optisch wie haptisch großem Reiz.

Das neue Gemeindehaus überzeugt jedoch nicht nur durch Klarheit, sondern auch mit einer räumlichen Komplexität, die man ihm ob seiner geringen Ausmaße nicht zu­getraut hätte. So besitzt es einen attraktiven, in das Gebäudevolumen ­hineingeschnittenen und von Oberlichtern erhellten Treppenraum, über den man vorbei am doppelgeschossigen Gemeindebüro, über das Zwischen­geschoss mit Archiv und Besprechungszimmer in das OG gelangt. Dort rhythmisieren und gliedern die Ziegelschotten den Raum über die gesamte Hauslänge. Räumliche Vielfalt entsteht u. a. durch den sich in den verschiedenen Raumhöhen abzeichnenden Staffelgiebel. Der von oben belichtete, hohe Mittelgang verbindet Sitzungsraum und Musikzimmer, die zusammen oder auch, durch eine zweiflügelige Glastür mit Holzrahmen geteilt, separat genutzt werden können. Die Schotten links und rechts des Gangs teilen kleinere Sitz- und Arbeitsbereiche ab.
Details wie die in die Binderschicht integrierten Lichtschalter, die genau in das Ziegelraster eingepasste Möblierung oder das handgeschmiedete Bronzegeländer auf dem kleinen Straßenbalkon lassen staunen, ob der Qualität eines Projekts mit noch nicht einmal 1 Mio. Euro Baukosten.

Am Ende des Rundgangs, auf dem kleinen Straßenbalkon blicken wir dorthin, wo die Zukunft der beiden jungen Architekten liegt. Gegenüber, auf dem Gelände einer ehemaligen Tuchfabrik wird in den kommenden Jahren die neue Stadthalle von ihnen geplant und gebaut werden. Den Wettbewerb, zu dem das Büro Jürgen Habermanns abermals als wichtigster lokaler Vertreter eingeladen wurde, haben sie ebenfalls schon im Jahre 2012 im Namen des ­Büros gewonnen. Allerdings habe es erst im vergangenen Herbst die endgül­tige Zustimmung zum Projekt per Bürgerentscheid gegeben, erzählt Clemens ­Habermann. Bei ihrem neuen Projekt gingen sie zwar auch auf den Bestand ein, indem sie dessen additive Entwicklung aufgriffen, dennoch wollten sie mit einer stärker kontrastierenden Ästhetik die Neunutzung des Geländes ausdrücken, beschreibt Lukas Bartke ihr Entwurfskonzept. Wichtig seien ­ihnen dabei nicht schöne Bilder, sondern v. a. kraftvolle Räume, die von den Benutzern angenommen werden und funktionieren.

Das glaubt man ihnen sofort. Denn mit ihrem ersten, Maßstäbe setzenden Projekt ist ihnen das ­bereits überzeugend gelungen.

Ein eigenes Büro zu gründen oder PR zu betreiben, habe dagegen für sie im Moment keine Priorität, ergänzt Bartke. Lieber setzten sie sich weiterhin mit aller Kraft für ihre Architekturvorstellungen ein.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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