Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 07-08|2017
Erstlingswerke
db deutsche bauzeitung 07-08|2017

Keine Angst vor Louis Kahn

Haus in Hamburg

Mit einiger Entschlossenheit lässt sich von jungen ­Büros sogar auf der Ebene von Wettbewerben etwas ­reißen. Das in Berlin ansässige Duo Kim Nalleweg hat seine Haltung an verschiedenen Studien- und Arbeits­orten gestärkt und darf jetzt mehrere Siegerentwürfe zu gebauter Realität werden lassen. Die nötige Erfahrung mit den Härten des realen Bauens sammelten die beiden bei der Umsetzung ihrer architektonischen Vorstellungen für das elterliche Wohnhaus.

4. Juli 2017 - Jürgen Tietz
Der Erstling von Kyung-Ae Kim und Max Nalleweg ist zwar noch nicht ganz fertig. Trotzdem verabreden wir uns in Hamburg-Harburg, um einen Blick auf das Haus zu werfen. Etwas versteckt liegt es in zweiter Einfamilienhaus­reihe. Die Außenanlagen sind tatsächlich noch nicht gemacht und auch innen stehen noch einige Arbeiten aus, aber bewohnt sind die drei aneinandergefügten Quader aus dämmenden Leichtbetonsteinen bereits. Der erste Eindruck zeigt, da hat jemand Mut zu großer Form am kleinen Haus, mit Liebe zum Material und zum Zitat. Respekt! Hier atmet die Moderne vernehmlich. ­Unter der lichten Schlämme scheint die Textur der Steine durch. Die Fenster schneiden ein T-förmiges Muster in die Fassade, lassen die Architektur kraftvoll, vielleicht sogar ein wenig monumental wirken, und senden freundliche Grüße an Louis Kahn. Es gäbe schlechtere Vorbilder, an denen man sich orientieren kann. Zudem sind die Fenster ja nicht nur Zitat, sondern auch funktional sinnvoll. Sie sorgen für Sichtschutz gegenüber den Nachbarn bei gleichzeitig ungestörtem Blick in den Himmel. Im Innern zeigt sich das Haus für Max Nallewegs Mutter dann als wohnliche Holzkonstruktion. Dem jungen Architektenpaar gelingt es, aus dem kompakten Grundstück eine Menge räumlicher Qualitäten herauszuholen, die sich z. T. aus der Verschiebung der einzelnen Bauteile gegeneinander ergeben und sich in ganz unaufgeregten Dingen äußern. In den ersten beiden Quadern verbergen sich die ineinandergreifenden Räume von Entree, Küche, Galeriegeschoss und Wohnraum mit weißen Wänden und Holzdecken. Der dritte Quader entpuppt sich als Gartenmauer, die die (künftige) Terrasse an drei Seiten hofhausartig umschließt. Vom Kostendruck bis zur Zeitverzögerung aufgrund der Witterung hält der Erstling manches bereit, was zum Bauen dazugehört. Bis hin zu den Detail­fragen, wo die Regenrinne nun entlangläuft und ob sie eher schlank (nein) oder markant (ja) sein soll. Ohnehin, die Bauausführung: Beim vier Jahre währenden Wettbewerbe-Zeichnen für Max Dudler spielte die Materialität in ihrer konkreten, konstruktiven Umsetzung eine eher untergeordnete Rolle. Das ist jetzt natürlich ganz anders. Und doch: »Die gedankliche Freiheit beim Entwerfen ist wichtig, um nicht zu schnell die Funktionalitätsschere im Kopf anzustellen.«

Hamburg, Schweiz, Berlin sind die wichtigsten Stationen, an denen die beiden Architekten bisher studiert und gearbeitet haben. Beide Mitte dreißig, haben sie vor anderthalb Jahren Räume in der Berliner Oranienstraße bezogen, fast um die Ecke von Max Dudlers Büro.

Inzwischen arbeiten sie hier zusammen mit dem Spanier César Trujillo Moya, mit dem sie in einer Arbeitsgemeinschaft den Wettbewerb für die Rosa-Luxemburg-Stiftung gewonnen haben, sowie acht Mitarbeitern. Immer mehr Schreibtische werden nötig, und während wir uns in der Fabriketage so offen wie klug und freundlich über Architektur unterhalten, schleppen die Mitarbeiter Materialproben herein, Ziegel, Riemchen. »Nur mit Bildern zu arbeiten reicht uns nicht, wir brauchen Modelle und die Materialien«, erzählt Kyung-Ae Kim. Da ist sie von ihrer kurzen Zeit bei Miller Maranta in Basel geprägt, von der intensiven Schweizer Art mit Materialien umzugehen, am Modell zu überlegen: Was hilft weiter, was kann beibehalten werden.

Die Beteiligung an Wettbewerben hat bei Kim Nalleweg früh eingesetzt. Als sie gerade zu Adolf Krischanitz an die Universität der Künste nach Berlin gewechselt waren, haben sie einen Wettbewerb gewonnen, der für Architekten bis 35 Jahre offenen war. Thema: die Neubebauung des City-Hof Areals in Hamburg. Die Idee von Krischanitz, mit einem Entwurf mehr anzubieten, die Umgebung des eigentlichen Perimeters mitzudenken, haben sie dabei beherzigt. Andererseits wurde ihnen erst später klar, was mit dem Wettbewerb auch beabsichtig war – inzwischen steht der City Hof vor dem Abriss. Hamburg eben (s. Kommentar in db 4/2015).

Für ihren nächsten Schritt, eine Ministeriumserweiterung, die das BBR aus­geschrieben hatte, gab es 2012 immerhin einen Ankauf. Zwar guckt bei dem klassisch ruhigen Entwurf nicht Louis Kahn um die Ecke, aber allemal die klassische Moderne mit ihren lang gestreckten Fensterbändern. Mit der Zu­erkennung eines Preises im Ideenwettbewerb für das Lübecker Gründungsviertel (vgl. db 2/2015, S. 14) nahm der Erfolg von Kim Nalleweg endgültig Fahrt auf. Anstatt dafür ein Haus in drei Variationen zu zeichnen, haben die Architekten Lübeck genau angeschaut und mit der Aufgabe gespielt. So haben sie drei sehr eigenständige Häuser entwickelt: Das eine breit, mit barock ­geschweiftem Giebel, das andere schlank von expressionistischen Lisenen ­inspiriert. In die Mitte nehmen sie den dritten Baustein, der an Lübecker Speicher aus Ziegel erinnert und nun wirklich gebaut werden soll. Gleich nebenan liegt die Lübecker Einhäuschen Querstraße, für die sie im Frühjahr 2017 ­einen weiteren Wettbewerb gewonnen haben. Klar strukturiert aber mit spielerischen Elementen, wie den versetzten Ziegelfarben und der gläsernen Ecke blinzeln dem Betrachter neben sanft ironischer Brechung auch Schweizer ­Anregungen aus den Renderings entgegen. Mit dem zweiten Preis bei der Erweiterung des Wien-Museums 2015 – wiederum international ausgeschrieben – und dem ersten Preis für die Rosa-Luxemburg-Stiftung 2016 in Berlin, gemeinsam mit César Trujillo Moya, zeigt sich vielleicht nicht unbedingt eine eigene Handschrift, sehr wohl aber eine Haltung. Sie kennt keine Angst vor der großen Form und zeichnet sich durch Klarheit und Zeichenhaftigkeit aus. Auch in Wien und Berlin haben sich die Architekten herausgenommen, ein Mehr zu formulieren, »Themen ­anzubieten, die nicht gefordert waren«. In Wien war es der offene Durchgang unter dem geplanten neuen Museumsriegel, durch den ein überdachter Versammlungsplatz entsteht. In Berlin ist es ein Raum mit markanten tragenden X-Stützen, der in der weiteren Bearbeitung jetzt wohl zur Bibliothek werden wird. Dass sie beim M20, dem Museum des 20. Jahrhunderts am Berliner Kultur­forum – wiederum in Arbeitsgemeinschaft mit César Trujillo Moya – in der ersten Wettbewerbsrunde »nur« auf Platz 14 kamen und daher nicht zu den Teil­nehmern für die zweite Runde zählten, ärgert die Architekten. Schade, das ­Weiterdenken ihres Riegels entlang der Potsdamer Straße hätte bestimmt Spaß gemacht. »Die Idee, drei Platzräume zu schaffen, hätten wir klarer ­herausarbeiten müssen«, räumt Kyung-Ae Kim selbstkritisch ein. »Wichtig ist es, ein klares Projekt zu machen, für sich selbst aber auch für den Bauherrn.« Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat das offenbar gut funktioniert.

Mit Mut und Überlegung

Zieht man eine erste Bilanz, zeigt sich, dass es die offenen Wettbewerbe ­waren, mit denen Kim Nalleweg einen Fuß in die Tür zum Bauen bekommen haben. Doch die Chance, die man dadurch erhält, gilt es auch zu nutzen. »Man muss bei allem aufpassen, wie man es macht«, unterstreicht Kyung-Ae Kim-Nalleweg den Lerneffekt. Jedes aus Zeitnot vor der Abgabe verrutschte Bild wird sofort zum K.o.-Kriterium. Wenn Präsentation und künstlerische Qualität des Entwurfs überzeugen, erscheint der weitere Weg jedoch geebnet.

Derzeit diskutieren die Architekten in Berlin mit ihren Bauherren. Da hilft es ihnen, dass der Entwurf für die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine so starke Struktur besitzt, dass man nicht einfach hier oder dort etwas wegnehmen kann, um die Baukosten zu senken, weil das Haus dann nicht mehr funktionieren würde. Das klingt schon fast nach alten Hasen.

Mit Ratschlägen halten sich Kim, Nalleweg und Moya zurück. »Wir sind ja selbst noch mittendrin und wissen nicht, wo es langgeht.« Und wagen sich doch behutsam aus der Deckung: die Uni zu wechseln sei wichtig, um anderes kennenzulernen, ebenso in andere Länder zu gehen. So wird einerseits ein Rahmen aus Erfahrungen gesteckt. Andererseits arbeitet man sich auf der Suche nach dem Eigenen am Vorbild der Lehrer ab – im Positiven wie im Negativen. Was es aber heißt, selbstständig zu sein, verhandeln zu lernen oder Akquise zu betreiben, das erfährt man weder an der Uni noch als Angestellter in einem Büro. Warum wundert es mich nicht, dass Kim und Nalleweg zum Abschluss unseres langen Gesprächs an einem heißen Berliner Frühsommertag dann doch den ziemlich klugen Ratschlag für jüngere Kollegen parat haben, langfristig zu denken? Auch wenn es erst nach 10 oder 15 Jahren dazu kam, waren sie sich schon im Studium gewiss, später ein eigenes Büro zu gründen: »Man muss es wollen, auch wenn man noch nicht weiß, was es bedeutet.«

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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