Architektur

Ein Stararchitekt flirtet mit dem Bilbao-Effekt

Das zweigeteilte „Centro Botín“ von Renzo Piano – zwei Ausstellungshallen, ein Auditorium – steht auf Pfeilern und ist von runden weißen Fliesen bedeckt.
Das zweigeteilte „Centro Botín“ von Renzo Piano – zwei Ausstellungshallen, ein Auditorium – steht auf Pfeilern und ist von runden weißen Fliesen bedeckt.(c) Enrico Cano
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Die spanische Bankiersfamilie Botín (Santander-Gruppe) stiftet ihrer Heimatstadt Santander ein Kulturzentrum. Am Wochenende wurde der Bau von Renzo Piano mit Ausstellungen zu Carsten Höller und Goya eröffnet.

Etwas ratlos steht man in der feucht-kalten Ausgrabungsstätte in einem Keller mitten in der spanischen Küstenstadt Santander. Ein Taxi hat einen zuvor in einer Stunde vom Flughafen in Bilbao in diese 200.000-Einwohner-Stadt gebracht, wo bisher vor allem spanische Touristen urlauben – an der mondänen Atlantikküste, gleich neben der Halbinsel mit dem Schloss, das diese Stadt dem damaligen König Alfonso XIII. 1912 als Sommerresidenz baute. Er liebte es. Doch 1931 ging er ins Exil, starb 1941 in Rom. Im selben Jahr, als in irgendeinem Haushalt in Santander ein kleines Feuer ausbrach. Das die gesamte Altstadt zerstörte.

Seither werden die Touristen und Journalisten hier hinuntergeführt. Wo vor einem wenige Meter langen Stück der ausgegrabenen mittelalterlichen Stadtmauer auf die Geschichte der Hauptstadt Kantabriens gepocht wird. In kindlichen Filmen wird erzählt, was man sich bei Sonnenlicht nicht mehr vorstellen kann. Die Mauer im Rücken, sieht man hier virtuell aufs Meer hinaus – und aus Perspektive von Piraten wieder zurück auf die blühende Handels- und Schiffswerftstadt. Die Plünderer zogen vorbei, denn sie dachten, dass diese Mauer hält. Dabei war sie mehr Kulisse als Bollwerk, wie man an der sandigen Füllung erkennt, erklärt ein Archäologe. Sie erfüllte ihren schützenden Dienst dennoch – und die befestigte Stadt direkt am Strand war ein Spektakel.

Seit diesem Wochenende sendet Santander ein neues Signal Richtung Meer: ein gegenteiliges, eine Einladung. Die Bankiersfamilie Botín, deren Bank Santander zu den größten weltweit gehört, hat ihrer Heimatstadt ein neues Wahrzeichen geschenkt. Gleich gegenüber dem pompösen Firmensitz der Bank, der eine Frau als Präsidentin vorsteht, Ana Botín. (Auch Santander hat übrigens eine Bürgermeisterin, eine der wenigen in Spanien.) Der Vater Ana Botíns jedenfalls klopfte eines Tages, vor vier, fünf Jahren, an die Studiotür des italienischen Stararchitekten Renzo Piano, erinnert sich dieser. Emilio Botín wollte, dass Piano ihm in 18 Monaten ein Haus für Kunst und Veranstaltungen hinstellte. Piano muss lachen. Immerhin dauerte es nur fünf Jahre, bis das „Centro Botín“ jetzt eröffnen konnte. Emilio aber wusste, warum er es eilig hatte, 2014 starb er. Jetzt leitet die Tochter die Bank und ein Sohn die Stiftung, eine der wichtigsten Kulturstiftungen Spaniens, die um 50 Mio. Euro dieses neue Haus samt umgebender Infrastruktur errichtete (nach spätestens 52 Jahren fällt das Grundstück wieder an die Hafengesellschaft zurück, inklusive Bau!).

Wie ein Sushi zwischen all den Tapas

Diesen federleicht wirkenden, wunderschönen Bau, der wie ein UFO hier gelandet zu sein scheint, wie ein Sushi zwischen all den Tapas in Santanders Bars. Er ist eine Hommage an den Bauherren Emilio Botín, wenn man Renzo Piano so zuhört: Denn Emilio sei im Herzen ein Fischer gewesen, erzählt er, ein „Mann des Meeres“. So soll auch das Kulturzentrum eine Hommage an das Meer sein, wie ein Fisch wirken, der gerade aus dem Wasser gehüpft ist, seine „Schuppen“ sind 280.000 perlmuttweiß-changierende, kreisrunde Keramikfliesen. Sie überziehen das ganze zweigeteilte Kulturzentrum, das „fliegen musste“, also auf Pfeilern steht, das war Emilio und ihm gleich klar, so Piano. Schließlich musste man das Meer sehen können (was man vorher nicht konnte, weil hier eine Mauer stand, hinter der sich der Parkplatz der Fährstation befand). Und so entstand ein überdachter Platz für die Öffentlichkeit, was in dem regnerischen Santander von nicht unwesentlicher Bedeutung ist. Das Wetter ist hier dann typisch, wenn es bewölkt ist und das Meer grau, diese Töne spiegelt Pianos Bau wider, der über Außentreppen erschlossen wird, die manchmal in regelrechte Stege übergehen, die weit über das Meer ragen. Spektakulär durchaus.

Wenn auch nicht so spektakulär wie das Guggenheim-Museum von Frank Gehry, das den viel gepriesenen Bilbao-Effekt auslöste. Und nein, man sehe sich natürlich nicht als Konkurrenz, betonen beide Seiten auf Nachfrage. Eher werden wohl ein paar Touristen abfallen an Santander, diese „Smart City“ mit ihren 12.000 versteckten Sensoren, die das Ausmaß von Verkehr, Trockenheit, Verschmutzung etc. melden. Es gäbe eine Studie, die durch das Center Botín 200.000 Touristen pro Jahr mehr voraussage, erzählt die Bürgermeisterin. Aber auch sie traue dieser Zahl nicht wirklich. Rund eine Million Besucher hat das Guggenheim in Bilbao.

Für die Einwohner Santanders aber kann der neue Bau nur ein Gewinn sein. Der zentrale Platz an der Meerespromenade ist jetzt wieder für alle da, der Park vor dem Museum wurde verdreifacht, der Verkehr unter die Erde verlegt, ein Wahnsinnsspielplatz gebaut. Die Ausstellungshalle selbst eröffnet ebenfalls mit einem Rummelplatz, allerdings für Erwachsene, vom deutschen Künstler Carsten Höller, der mit seinen bisherigen blinkenden, begehbaren, sich öffnenden und schließenden Einzelinstallationen eine Art Familienaufstellung gemacht hat, geteilt in eine Mutter- und eine Vaterhälfte, die sogar nach den Eltern duften (der Boden wurde mit Duftextrakt eingesprüht).

In der unteren Halle wird ein Teil der Botín-Sammlung zeitgenössischer Kunst gezeigt sowie 80 Goya-Zeichnungen aus dem Prado, ein Abschluss des von der Stiftung finanzierten Werkverzeichnisses der Grafik dieses Altmeisters, die gerade herausgekommen ist. Doch dieses Haus, das merkt man, wird in Zukunft weniger zurückblicken, weniger hinunter zu den kalten, feuchten, ein wenig mickrigen Resten. Es sind die neuen, schillernden Mauern dieser Stadt. Sie sollen ihr neues Selbstbewusstsein geben. Man wird sehen, ob sie es annimmt.

Compliance-Hinweis: Dieser Artikel entstand mit finanzieller Hilfe der Fundación Botín.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2017)

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