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Anfang, Ende, Ewigkeit
Der Standard

Raimund Abraham ist einer der berühmten Unbekannten der österreichischen Architektur. Früh in die USA emigriert, zeichnete er viel und baute wenig. Jetzt sind zwei Bauten der Öffentlichkeit zugänglich.

8. Juli 2017 - Maik Novotny
Leuchtend weiß liegt es zwischen Waldrand und Wiese. Hinter dem Wald rauscht der Verkehr auf der B50 vorbei, hinter der Wiese liegt die Stadt Oberwart mit ihren monströsen Gewerbebauten in der Hügellandschaft. Das weiße Haus scheint unberührt von alldem. Nachbarhäuser gibt es keine. Vor dem Haus auf der Wiese glitzert ein Pool in der Sonne.

Also eine Luxusvilla? Dazu ist der Bau zu wuchtig, Panoramafenster Fehlanzeige. Ein klassisch modernistischer Bau? Weiß ist es zwar, aber viel zu symmetrisch gedrungen, fast klobig. Eine Variante auf den burgenländischen Streckhof? Die Arkaden gibt es zwar, aber damit hat es sich schon.

Es ist ein Haus, das nicht leicht zu fassen ist, und das liegt nicht zuletzt an seiner Entstehungsgeschichte. Entworfen wurde es 1964 vom Architekten Raimund Abraham für seinen Jugendfreund, den Maler Max Dellacher, der nach Oberwart geheiratet hatte. Abraham fertigte eine Skizze an, kurz darauf emigrierte er in die USA, wo er abgesehen von Heimatbesuchen bis zu seinem Lebensende blieb. Das Haus Dellacher wurde sozusagen per Fernbedienung gebaut, unter tatkräftiger Mitwirkung des lokalen Architekten Rudolf Schober und von Max Dellacher selbst.

Fertig wurde es erst 1969 und brachte den Bauherrn an den Rand der Pleite, allein der Rohbau hatte zwei Millionen Schilling gekostet. Dellacher wohnte und malte im Haus bis zu seinem Tod 1984, seine Witwe blieb noch ein paar Jahre, bis das Haus zu teuer wurde, und verkaufte es an eine Bank. Diese vermietete es für einige Jahre, dann stand es leer und wurde vergessen. Niemand wollte es haben. Erst 2015 erwarb der aus Oberwart stammende Architekt Johannes Handler das Haus und restaurierte es originalgetreu, inklusive der Einrichtung. Heute steht es der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Zu erzählen hat das Haus so einiges. Zum Beispiel die Geschichte einer Männerfreundschaft. „Ein Bauherr muss die Sensibilität mit dem Architekten teilen, sonst funktioniert es nicht“, so ein bekanntes Zitat von Raimund Abraham. Es ist auch die Geschichte eines kulturell erwachenden Landstrichs, wie Johannes Handler erklärt: „Das Burgenland war damals im Aufbruch. Unter Fred Sinowatz startete das Programm zur kulturellen und bildungspolitischen Erneuerung.“ Im sogenannten Herrenzimmer der Villa traf sich die „kulturelle Elite Oberwarts“ zu Diskussion und Kartenspiel, wie Handler augenzwinkernd erzählt. Für die anderen blieb es ein Fremdkörper. „Das Haus muss damals für die Einheimischen wie ein Ufo gewirkt haben“, vermutet Handler.

Raimund Abraham, 1933 geboren, war in den 1960er-Jahren gemeinsam mit Hans Hollein und Walter Pichler einer der markantesten Vertreter einer bildhauerisch-zeichnerischen Architektur im Grenzbereich zur Kunst. Die von ihnen evozierten Bilder verbanden Archaik und Maschinenästhetik und kündeten von einer Zukunft, die teils optimistisch, teils dystopisch war und oft gar keine Zukunft, sondern eine imaginäre Vergangenheit zu sein schien. Hollein realisierte seine Ideen rund um den Globus in wandlungsfähiger und oft widersprüchlicher Form. Pichler vertiefte sich in die Skulptur. Abraham blieb der Lehrer und Zeichner, in seiner eigenen Sphäre, aber wenn er baute, dann mit Wucht, wie seinen berühmtesten Bau, das 2002 realisierte Österreichische Kulturforum in New York. Wenn Abraham von seiner Architektur sprach, ging es um die „Idealsprache des Geometrischen“, um die Notwendigkeit zum Feiern des Sakralen. Große Bedeutungszusammenhänge, große Gesten. Passt das zu einem Wohnhaus im Burgenland?

Kollision und Widerspruch

Ja und nein. Der Purismus der Abraham-Zeichnung kollidiert auf interessante Weise mit den Bedürfnissen des Wohnens. Trotz seiner Ideale der Reinheit ist das Haus eine Kooperation, und es sind die daraus resultierenden Drehs und Wendungen, die es so interessant machen. Ein Gang durch das Haus ist ein Fest der Überraschungen und der auf faszinierende Art unerfüllten Erwartungen. Von oben sieht das Haus wie ein Kirchenschiff aus, mit dem runden Treppenturm als Campanile, von innen wiederum ist es eine Reihe intimer, geschlossener Räume, von denen aus die Landschaft nur durch gezielte schmale Öffnungen zu sehen ist und von denen der Wohn- und Essraum mit seiner japanisch-konzentrierten Ruhe am überzeugendsten ist.

Die Front zur Landschaft ist ebenfalls voller eigenartiger Widersprüche: Die auskragende Terrasse und die symmetrischen Außenstiegen sind eigentlich viel zu wuchtig für das Haus, vor dem sie stehen, der verglaste Raum des ehemaligen Dellacher-Ateliers ist unter ihnen seltsam eingeklemmt, was ihm von innen jedoch eine ruhige Geborgenheit verleiht. Die lange Wand, die wie eine lässige kosmopolitische Geste in die mittelburgenländische Wiese hinausreicht und den Pool einfasst, passt in ihrer Eleganz nicht wirklich zum festungsartigen Hauptgebäude.

Für Albert Kirchengast, Architekturtheoretiker und Mitherausgeber des Buchs Archaische Moderne – Elf Bauten im Burgenland 1960–2010, ist das Haus ein Beispiel für die Stärken und Schwächen von Abrahams Künstler-Architektur: „Das Haus hat etwas absurd Apodiktisches, das aus der Zeichnung stammt und nicht aus der Perspektive eines Bewohners gedacht ist. Abraham hat sich immer in diese Absolutheit zurückgezogen. Es ist eine begehbare Skulptur, der die fehlende Auseinandersetzung mit dem Prozess des Bauens anzumerken ist.“

Wie ein Abraham-Bauwerk aussieht, das so jenseits der Funktion ist, dass es sich seine künstlerische Reinheit behalten kann, zeigt sein letztes Bauwerk: das Haus für Musiker in Hombroich bei Düsseldorf. Teil der vom Industriellen und Kunstsammler Karl-Heinz Müller gegründeten Ensembles von Ateliers und Ausstellungsräumen auf dem Gelände einer ehemaligen Nato-Raketenstation, war die Zukunft des Baus nach dem Tod Müllers 2007 und Abrahams Unfalltod 2010 lange unsicher, jahrelang stand es als verwaister Rohbau herum. 2014 war es fertiggestellt und wurde mit einer Ausstellung im April 2017 feierlich eröffnet.

Hier gibt es keine Kompromisse: Ein geneigter Zylinder aus Sichtbeton steckt in der Wiese, darüber scheint ein dünnes kreisrundes Dach fast zu schweben, darin ausgestanzt ein Dreieck. Wie bei allen Bauten Abrahams ist hier alles der Symmetrie unterworfen. Die „Idealsprache der Geometrie“ in unverdünnter Form. Ein Monolith, der eine solche Gravitation ausübt, dass man sich unweigerlich zurückgezogen fühlt, wenn man sich von ihm entfernt.

Wie ein Tempel einer vergessenen Religion wirkt der Bau, und diese Transzendenz ist kein Zufall. „Als geometrische Öffnung zum Himmel misst das Dreieck die Bewegung der Sterne, der Sonne und des Mondes“, so Abraham. „Dieser Aspekt zieht sich durch viele seiner Werke, ein Bezug der Architektur zum Weltall, zur Zeit“, erklärt Brigitte Groihofer, Autorin des Buchs Raimund Abraham – (UN)BUILT .

Ihn fasziniere das Schwingen zwischen Tod und Geburt als Grundzustand der Menschheit, sagte Abraham einmal. Seine wenigen Bauten weisen in ihrer Zeitlosigkeit über beides hinaus. Dass jetzt zwei Gebäude vom Anfang und Ende seines Schaffens zeitgleich ins Licht der Öffentlichkeit rücken, kann man als Zufall deuten – oder als letzte Hommage an die Abraham’sche Symmetrie.

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