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Assemble im AzW: Ist das Kunst?
Spectrum

Das Londoner Kollektiv Assemble zeigt im Architekturzentrum Wien in seiner ersten Einzelausstellung Arbeiten zwischen den Genres: Architektur? Bildende Kunst? Aktionskunst in Zeitlupe? Oder vielleicht doch eine neue Kunstgattung, deren Name erst erfunden werden muss?

1. Juli 2017 - Christian Kühn
Kollektive sind in der bildenden Kunst eine Seltenheit. Wenn überhaupt, treten sie gerne als Verdoppelungen des individuellen Genies auf, wie Gilbert und George oder Eva und Adele. Dass ein Kollektiv von 18 Personen einen der renommiertesten Kunstpreise der Welt erhält, den mit 40.000 Pfund dotierten britischen Turner-Preis, der schon an Rachel Whiteread, Anish Kapoor oder Damien Hirst verliehen wurde, war 2015 eine kleine Sensation. Die Preisträger, die als Gruppe unter dem Namen Assemble firmieren, sind zum größten Teil Architektinnen und Architekten, die sich beim Studium an der Universität Cambridge kennengelernt haben.

Ihr erstes gemeinsames Projekt war die Umwandlung einer verlassenen Londoner Tankstelle in ein Sommerkino im Jahr 2010. Dafür brauchte es nicht viel: eine bestehende Stahlkonstruktion mit vier Stützen, eine steile Tribüne, die darunter errichtet wurde, eine herabrollbare Leinwand und rundherum Vorhänge aus dünnen Folien, die gerafft an die Filmpaläste der 1930er-Jahre erinnerten. Sie konnten nach der Filmvorführung nach oben gezogen werden, um aus der Tankstelle eine Party-Location zu machen. Auf die große Zeit des Films bezog sich auch eine neu auf dem Dach angebrachte Leuchtschrift mit dem Namen dieses flüchtigen Filmpalasts, „The Cineroleum“. Dieses Projekt entstand in Zusammenarbeit mit mehr als 100 Freiwilligen aus der Umgebung, die gemeinsam mit Assemble die Konstruktion entwickelten, Vorhänge nähten und intarsierte Kleinmöbel für die Kinokasse bauten, die einen eigenartigen Kontrast zu den sägerauen Sitzbänken im „Kinosaal“ bildeten.

Den Turner-Preis gewannen Assemble für ein Projekt, an dem man bis heute arbeitet, der Unterstützung eines Community Land Trusts, der sich seit über 20 Jahren mit der Erhaltung und Revitalisierung einer Reihenhausanlage in Liverpool beschäftigt. Die vier kleinen Straßen des „Granby-Four-Streets“-Projekts sind die letzten verbliebenen Teile einer viktorianischen Bebauung. Während die neu errichteten Reihenhauszeilen rundherum wie leblose Fabrikprodukte wirken, sind die alten Straßen von Alleebäumen gesäumt und wirken durch Zubauten und Patina lebendig und individuell.

Das klingt sentimental und würde sich auch darauf beschränken, wenn es Assemble ist nicht gelungen wäre, diesen sentimentalen Impuls in handfeste Aktionen umzusetzen. Sie erarbeiteten mit den Bewohnern ein Konzept für eine schrittweise Sanierung der Häuser und des öffentlichen Raums, planten einen Wintergarten in einer der Baulücken und eröffneten eine Werkstatt, in der sie Elemente für die Sanierung produzierten, die auch in Kleinserien aufgelegt und zum Verkauf angeboten werden. Mit dem Geld aus dem Turner-Preis baute Assemble diese Werkstatt zu einem kleinen Unternehmen aus, das auch lokal Arbeit schafft. Im Architekturzentrum Wien sind diese und andere Projekte in Videos, Modellen und in vielen Fällen Eins–zu-eins-Details ausgestellt. Darunter findet sich auch ein kleines Tonstudio für OTOProjects, eine Art Urhütte, deren dicke Wände aus Sandsäcken bestehen, die mit vor Ort verfügbarem Abbruchmaterial gefüllt sind. Außen sind diese Säcke mit einem rauen Putz aus demselben Material verkleidet. Das Dach ist eine einfache Holzkonstruktion. Ein weiteres Projekt, das Yardhouse, ist die eigene Werkstatt von Assemble in einem Hinterhof. Die schlichte Fassade besteht aus rautenförmigen Kacheln, die auf den ersten Blick wie Eternit aussehen, aber aufwendig in Handarbeit hergestellte Einzelstücke sind. In der Ausstellung ist ein Stück der Fassade zu sehen, kein Modell, sondern das Original: Das Yardhouse wird gerade an einen anderen Ort übersiedelt, und ein kleiner Teil reist zwischendurch nach Wien.

Dass diese Architektur nicht ewig halten möchte, ist offensichtlich. Assemble produziert Aktionskunst in Zeitlupe, ein Architekturtheater mit Laienschauspielern, das sie äußerst professionell inszenieren und dokumentieren. Dass sie dafür den Turner-Preis erhalten haben, ist konsequent. Die Kunstwelt war dennoch einigermaßen irritiert: Der Aufschrei, ob so etwas denn noch Kunst sei, kam diesmal nicht wie üblich vom bürgerlichen Publikum, sondern aus der Szene selbst. Ob die Irritation auch über das Kunstfeld hinaus wirken kann, bleibt abzuwarten. Im Hof des AzW ist eine Ziegel- und Holzkonstruktion zu sehen, die von Architekturstudierenden der TU Wien, wo zwei Mitglieder der Gruppe ein Jahr lang als Gastprofessoren tätig waren, konzipiert und errichtet wurde. Im Zentrum befindet sich ein Keramikbrennofen, der während der Ausstellung vom Publikum benutzt werden kann. Gemeint ist das, so Assemble, als Referenz auf die Ziegelstadt Wien und als Aufforderung, die Gestaltung der persönlichen Lebenswelt nicht der Industrie zu überlassen.

Für diesen Anspruch braucht es in Ikea-Zeiten wahrscheinlich einen radikaleren Impuls. Den können Interessenten sich in den nächsten Monaten auf dem Areal des Nordbahnhofs in einer alten Lagerhalle holen, die im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts „Mischung Nordbahnhof“ der Abteilung für Wohnbau der TU Wien gemeinsam mit dem AzW und der Vienna Biennale genutzt wird. Die „Nordbahnhalle“ liegt im Zentrum eines Areals, auf dem in den nächsten Jahren Tausende Wohnungen entstehen werden. Die Halle soll schon im Vorfeld für Nutzungsmischung sorgen und wird derzeit vom Designbuild Studio der TU Wien unter der Leitung von Peter Fattinger mit Studierenden im Selbstbau adaptiert. Sie bietet Co-Working-Spaces, Co-Making-Werkstätten, Veranstaltungsräume sowie ein Info-Zentrum der Stadt Wien für den neuen Stadtteil.

Angelika Fitz, die neue Direktorin des AzW, hat mit Elke Krasny von der Akademie der bildenden Künste ein Programm entwickelt, das im Juli mit einer Reihe von Veranstaltungen beginnt. Unter dem Titel „Care and Repair“ bietet es die Möglichkeit, die Ansätze aus der Ausstellung im AzW weiter- und vielleicht querzudenken. Sechs international tätige Architekturbüros sollen dabei in Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren Prototypen für einen sorgsamen Umgang mit dem Ort und seinen jetzigen und zukünftigen, menschlichen und tierischen Bewohnern erarbeiten. Daraus soll im Lauf der nächsten Jahre eine Ausstellung wachsen. Wenn die Bagger kommen, um das Areal zu planieren, soll klar sein, dass sie nicht die Ersten sind, die diesen Ort gestalten.

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