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Wie man aus nichts Gold macht
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Feudalherren vergaben Grund und Boden, heutige Machthaber widmen sie: Auch dadurch lässt sich immenser Reichtum schaffen. Fällt es der Politik deshalb so schwer, gerade beim Planen und Bauen etwas von ihrer Souveränität abzugeben? Eine Tour d'Horizon vom Neusiedler See bis zum Brenner.

8. Juli 2017 - Reinhard Seiß
Ein Grundstück ist nur so viel wert, wie man darauf bauen kann. Und wie viel das ist, bestimmt die Politik. Nun gibt es Staaten, wo Bürgermeister, Landes-, Stadt- und Gemeinderäte – im Wissen um ihre fachliche Inkompetenz – ihren planungspolitischen Entscheidungsspielraum freiwillig einschränken, um willkürlichen Flächenwidmungen oder unbedachten Baugenehmigungen vorzubeugen: durch übergeordnete Pläne, die einen langfristigen Rahmen für Veränderungen vorgeben, durch Gremien mit unabhängigen Experten, deren Zustimmung für heikle Projekte erforderlich ist – oder durch aktive Einbindung der Bevölkerung, um so eine demokratische Legitimierung und Kontrolle der Planungspolitik zu gewährleisten.

In Österreich ist solches, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht der Fall. „Dorfkaiser“, „Landesfürst“ oder „Operettenrepublik“ sind nicht umsonst gängige Synonyme für unser politisches System und seine Repräsentanten – und deuten auf ein mitunter recht feudales Amtsverständnis hin, das besonders in Planungs- und Bauangelegenheiten zutage tritt.

Von einer „erstarrten Halbdemokratie“ sprach denn auch der 2007 verstorbene Schauspieler und Politaktivist Herbert Fux, der seinen Unmut über das autokratische Gebaren heimischer Regenten künstlerisch als Ideengeber und Hauptdarsteller der sechsteiligen ORF-Politsatire „Ein idealer Kandidat“ verarbeitete. Politisch engagierte sich das Enfant terrible der heimischen Grünbewegung, das im Salzburger Gemeinderat wie auch im Nationalrat saß, in mehreren Bürgerinitiativen, die im damals von Korruption, Planungs- und Bauskandalen gebeutelten Salzburg sowie später auch in Wien für einen anderen, transparenteren Umgang mit der Stadt auftraten. Zu verführerisch war und ist es für Volksvertreter offenbar, mit einem Federstrich im Flächenwidmungsplan eine wertlose Parzelle über Nacht in eine Goldgrube verwandeln zu können.

Wenn etwa – wie beim Wiener Millennium Tower – ein Grundstück inmitten eines Stadtteils mit fünfgeschoßigen Häusern plötzlich mit 50 Geschoßen bebaut werden darf, steigt der Grundstückswert um das Zehnfache, ohne dass nur ein Cent investiert werden musste. Wenn öffentliche Verkehrsbetriebe den Standort auf politisches Geheiß noch durch eine neue U-Bahn- und S-Bahn-Station aufwerten, haben der Bürgermeister und der zuständige Stadtrat mithilfe ihrer Gemeinde- und Bezirksräte den Grundeigentümer zum Multimillionär gemacht. Solche Machtfülle kommt einer Lizenz zum Gelddrucken gleich – mit dem Vorteil, die Konsequenzen nicht einmal selbst tragen zu müssen. Denn während eine zügellose Ausweitung der Geldmenge zu hoher Inflation, einer Destabilisierung der Wirtschaft und meist auch politischen Umbrüchen führt, bleibt die ungehemmte Ausweitung individueller Baurechte für die Verantwortlichen folgenlos. Destabilisierend wirken die Preisgabe von Gleichheit und Transparenz freilich auf die Demokratie – welche ausgerechnet von der Planungspolitik ständig im Munde geführt wird.

15 Jahre ist es beispielsweise her, dass die Wiener Stadtregierung den Verein „Lokale Agenda 21 in Wien zur Förderung von Bürgerbeteiligungsprozessen“ ins Leben gerufen hat. Dem internationalen Trend folgend, sollte die Bevölkerung die Möglichkeit erhalten, ihren Bezirk im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung mitzugestalten. Was nach einer Demokratisierung der Stadtteilplanung klang, erwies sich zunehmend als Partizipationstheater für engagierte Bürger, die hier einen Baum und dort eine Sitzbank diskutieren und teils auch realisieren durften, sonst aber bei Nachbarschafsfesten, Innenhof-Picknicks oder Grätzel-Flohmärkten das Gefühl bekommen sollten, auf Augenhöhe mit der Rathaus- und Bezirkspolitik die Geschicke ihres Viertels zu lenken. Dass der damalige Planungsstadtrat, Rudolf Schicker, sich selbst zum Obmann des Agenda-Vereins gekürt hatte, wirkte bald nicht mehr als Zeichen seiner besonderen Hinwendung zur Bürgerbeteiligung, sondern als Garantie dafür, dass nichts aus dem Ruder läuft.

Zur Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit des Agenda-Gedankens in der machtverwöhnten Wiener SPÖ wurde ein hoch subventioniertes Tiefgaragenprojekt, das die Stadt im Bacherpark, im grünflächenarmen Margareten, forcierte. Denn Gutachter der TU Wien entkräfteten die kolportierte verkehrsplanerische Notwendigkeit des Vorhabens, ein Rechnungshofbericht offenbarte die öffentliche Investition als ein Geschenk an den privaten Garagenbetreiber, und 2000 Anwohner protestierten schriftlich gegen die dafür nötige Rodung alter Bäume in ihrem Park: an sich ein Konfliktfall, der wie geschaffen schien für einen demokratischen Aushandlungsprozess zwischen Politik und lokaler Bevölkerung. Tatsächlich aber wurde das Thema von den Partizipationsexperten des Agenda-Büros ausgespart, zumal ihre Arbeit einer politischen Steuerungsgruppe unterlag – und finanziell vollständig vom Rathaus und der Bezirksverwaltung abhing.

Als im Jänner 2006 die ersten Bäume gefällt wurden, besetzten Anrainer trotz winterlicher Temperaturen den Park, bis die Stadt drei Monate später einzulenken begann. Dies war die Geburtsstunde der „Aktion 21“, einer unabhängigen Plattform von inzwischen 101 Bürgerinitiativen allein aus Wien, wovon bezeichnenderweise ganze 93 dem Bereich Planen und Bauen zuzuordnen sind.

Dabei war die „Lokale Agenda“ nicht der einzige Versuch der Stadtregierung, ihrer Planungskultur ein zeitgemäßes, demokratisches Antlitz zu geben. Die 2005 verabschiedete „Wiener Architekturdeklaration“ definierte öffentlichkeitswirksam „Diskursbereitschaft“, „Transparenz in Leitbildern, Zielen und Verfahren“ sowie „Qualität beim Planen und Bauen“ als Maxime von Wiens Stadtentwicklung, Städtebau und Architektur.

Aufmerksame Beobachter hatten schon damals ihre Schwierigkeiten, dies geduldige Papier mit dem realen Baugeschehen in Übereinstimmung zu bringen: Zu dieser Zeit entstand gerade der spekulative Stadtteil Monte Laa direkt über der Südosttangente, wo kein übergeordnetes Planungskonzept je ein neues Subzentrum vorgesehen hatte. Doch besaß der rathausnahe Baukonzern Porr zu beiden Seiten der A23 ein großes Grundstück, für das es keine betriebliche Verwendung mehr gab – und für das bei der Stadt eine Hochhauswidmung erwirkt werden konnte.

In den Jahren darauf folgten mehrere fragwürdige Projekte, deren planerische und bauliche „Qualität“ keinem fachlichen „Diskurs“ standgehalten hätten – auch weil die „Transparenz“ der ihnen zugrunde liegenden Leitbilder und Verfahren so sehr im Argen lag, dass sich vor allem der Rechnungshof dafür interessierte.

Ob dies an der Architekturdeklaration selbst oder an ihrer Umsetzung lag, sei dahingestellt. Das Stadtplanungsressort, inzwischen von der SPÖ zu den Grünen gewandert, ließ das Papier jedenfalls von 2012 bis 2014 zu „Baukulturellen Leitsätzen der Stadt Wien“ weiterentwickeln. In diesen Zehn Geboten der Planungspolitik finden sich gleich dreimal der Begriff „Qualitätsorientierung“, zweimal das Wort „Transparenz“ und je einmal – wie könnte es anders sein – „Bürgerbeteiligung“ und „öffentlicher Diskurs“.

Im selben Zeitraum legte das Rathaus unter Missachtung sämtlicher Kriterien eines fachlich seriösen, nachvollziehbaren und partizipativen Planungsprozesses den Grundstein dafür, dass das Thema Stadtplanung seit Monaten in aller Munde ist, ja für mehr Aufregung und Empörung sorgt als je zuvor: Das mittlerweile österreichweit bekannte und selbst im Ausland wahrgenommene Hochhausprojekt eines schillernden Risikokapitalanlegers im Unesco-geschützten historischen Zentrum veranlasste die Stadt frühzeitig zu einem – wie der Investor es nannte – „Commitment“, sein Vorhaben umzusetzen, ohne über urbanistische Konzepte für diesen Standort zu verfügen.

Während ein solcher Mangel an fachlichen Entscheidungsgrundlagen andernorts die Beurteilung eines Bauvorhabens verunmöglichen würde, bedeutet das Fehlen übergeordneter Pläne in Wien eine Maximierung des politischen Handlungsspielraums. Denn wenn es keine verbindlichen Vorgaben gibt, ist prinzipiell alles möglich – es muss nur noch gerechtfertigt werden. Dazu dienten dem Rathaus vier Planungsworkshops mit rund 50 Fachleuten, aber auch Laien, die sich indes weniger mit den städtebaulichen Anforderungen des Standorts als mit den kommerziellen Anforderungen des Investors auseinandersetzten.

Obwohl sich zahlreiche Experten hernach von diesem Prozess distanzierten, wurde er zur stadtplanerischen Absegnung des Vorhabens instrumentalisiert. Als nächsten Schritt ließ man, um den Geruch einer beliebigen Einzelentscheidung zu zerstreuen, einen Masterplan für die ganze Ringstraßenzone entwerfen, der dem Projekt nachträglich einen höheren, gesamtstädtischen Sinn verlieh. Und es wurde ein neues Hochhauskonzept verfasst, zumal das bis 2014 gültige Papier Türme in der Weltkulturerbe-Zone untersagt hätte.

Im schon zuvor abgehaltenen Architekturwettbewerb spielten die Vorgaben des Welterbe-Komitees keine besondere Rolle, da die rot-grüne Stadtregierung sich und der Öffentlichkeit unentwegt einredete, ein dermaßen vorbildlich entwickeltes Hochhaus müsse die Unesco geradezu begeistern.

Tatsächlich brüskierten die planungspolitischen Ablenkungsmanöver die Unesco (die hat dieser Tage prompt das Wiener Welterbe auf ihre Rote Liste gesetzt) ebenso wie Denkmal- und Stadtbildschützer, unabhängige Architekten und Planer, Künstler und Intellektuelle, die gesamte Gemeinderatsopposition sowie jeden kritischen Bürger – vor allem, wenn er selbst schon einmal beim Magistrat um eine minimale Abweichung von den Bauvorschriften angesucht hat.

Je mehr die öffentlichen Zweifel an der Rechtschaffenheit der Projektbefürworter wuchsen, umso fadenscheiniger wurden deren Argumente. Und es wirkt geradezu zynisch, dass sich Planungsstadträtin Maria Vassilakou ihren neu entwickelten „Masterplan Partizipation“ ausgerechnet Ende 2016 vom Gemeinderat absegnen ließ – wenige Wochen nachdem sie und Bürgermeister Michael Häupl in demonstrativer Eintracht mit dem Investor und gegen alle Proteste die endgültigen Pläne für das Hochhaus präsentiert hatten.

„Die Wiener Stadtplanung hat sich mit dem Masterplan für eine partizipative Stadtentwicklung zum Ziel gesetzt, die Kommunikation zwischen Bevölkerung, Magistrat, Politik und Projektwerbenden bei städtebaulichen Vorhaben zu verbessern sowie die Nachvollziehbarkeit von städtebaulichen Vorhaben für alle interessierten Wienerinnen und Wiener zu gewährleisten“, steht in dem fünfseitigen Papier, das eher wie eine Zurechtweisung übereifriger Bürger anmutet. Denn allem voran geht es darum, zu klären, wann Beteiligung möglich ist – und wann nicht.

Das Ziel von Partizipation nach Wiener Spielart ist bezeichnenderweise nicht die Verbesserung des Planungsergebnisses, sondern dass „weniger Konflikte und mehr gegenseitiges Verständnis“ entstehen – Verständnis für die Entscheidungen der Politik. „Akzeptanzmanagement“ nennt das der deutsche Kultursoziologe Thomas Wagner, oder auch „Akzeptanzbeschaffung“. In seinen Büchern „Demokratie als Mogelpackung“ und „Die Mitmachfalle“ entlarvt er solcherart Umgang mit bürgerschaftlicher Teilhabe als politischen Missbrauch. Sind Beteiligungsprozesse nicht ergebnisoffen und die Bürger ohne Entscheidungsmacht, so sei Partizipation laut Wagner bestenfalls eine soziale Befriedungstechnik.

Dem entsprechen die „zentralen Methoden“ im „Masterplan Partizipation“: „Informationsausstellungen mit persönlicher Beratung“ klingen angesichts der Wiener Unschärfe zwischen planerischen Fakten und planungspolitischer Propaganda eher nach PR als nach Offenheit und Transparenz. „Moderierte Diskussionen“ scheinen in der Tradition jener Veranstaltungen zu stehen, die grundsätzliche Debatten und kontroversielle Streitgespräche tunlichst verhindern sollen.

Und auch „Befragungen“ wecken wenig Hoffnung, dass Bürger in Hinkunft mehr Einfluss auf die Stadtplanung nehmen können – auch wenn der Masterplan verspricht, sie hernach „über die Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens und deren Auswirkung auf die weitere Planung zu informieren“. Allein dies betonen zu müssen zeigt, wie beschämend weit Wien hinter den internationalen Standards der Partizipation hinterherhinkt.

Nicht einmal die gesetzlich verankerten Bürgerrechte werden von der Planungspolitik ernst genommen. So sieht die Wiener Bauordnung eine sechswöchige öffentliche Auflage jedes Neuentwurfs zum Flächenwidmungs- und Bebauungsplan vor, während der die Bürger Stellungnahmen abgeben können, die vom Magistrat zu berücksichtigen sind. Der Planentwurf für das umstrittene Hochhausprojekt an der Grenze zwischen erstem und drittem Bezirk wurde am 2. Februar dieses Jahres veröffentlicht, doch schon am 2. März, zwei Wochen vor Ablauf der Einspruchsfrist, wollte der SPÖ-dominierte dritte Bezirk seinen Beschluss zur Flächenwidmung fällen. Auf öffentlichen Druck hin wurde die Sitzung doch noch vertagt, die 570 eingelangten Stellungnahmen gegen das Projekt spielten aber auch später keinerlei Rolle: Die Planungsbehörde hatte ihren Entwurf trotz der Vielzahl an Einsprüchen um kein Deut verändert – und in ihren standardisierten Antwortschreiben durch nichts auf die Bedenken der Bürger Bezug genommen.

Sich Sachthemen so zurechtzulegen, dass sie den parteipolitischen Interessen entsprechen, geht Hand in Hand damit, Demokratie, Transparenz, Gesetze und Verordnungen so auszulegen, wie es gerade passt. Dabei ist Wien natürlich nicht die Ausnahme, sondern vielmehr der Regelfall in Österreich, egal welche Partei wo gerade regiert. Willkür, für die Politik folgenlose Willkür, ist im heimischen Flächenwidmungsmonopoly gang und gäbe: Das Land Niederösterreich etwa beschloss mit der Novellierung seines Raumordnungsgesetzes 2005, dass Handelsbetriebe nur noch in den Zentren beziehungsweise im geschlossenen Ortsgebiet von Städten und Dörfern entstehen dürfen. Zweieinhalb Jahre später genehmigte die Landesregierung sieben Kilometer außerhalb von Gerasdorf ein 70.000 Quadratmeter großes Einkaufszentrum zur Freude der dahinterstehenden Bank.

Es handelte sich um eine „Übergangsregelung“: 2010 erfolgte der Baubeginn, 2012 die Eröffnung. Um das planungspolitische Gesicht zu wahren, wurde das fünftgrößte Einkaufszentrum Österreichs einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen, die dem Investor ökologische Ausgleichsmaßnahmen für die Haubenlerche und das Wiener Nachtpfauenauge auferlegte – bei gleichzeitiger umweltpolitischer Akzeptanz von mehr als 40.000 zusätzlichen Kfz-Fahrten pro Tag.

In der Steiermark brauchte es das Engagement der Volksanwaltschaft, um aufzuzeigen, worüber die Landesregierung jahrelang geflissentlich hinwegsah, nämlich dass die 2003 eröffnete Shopping City Seiersberg südlich von Graz geltendem Raumordnungsrecht widersprach. 2016 hob der Verfassungsgerichtshofs daher die Betriebsgenehmigung für das Einkaufszentrum auf – was das Land jedoch nicht dazu nutzte, die systematische Rechtsbeugung durch die Gemeinde Seiersberg spät, aber doch zu sanktionieren. Im Gegenteil: Durch den politischen Winkelzug einer raschen Gesetzesnovelle wurde der hochprofitable Schwarzbau rückwirkend legitimiert.

Im oberösterreichischen Gmunden hofierte die Kommunalpolitik vor drei, vier Jahren einem regionalen Schotterbaron, der die Absicht hatte, gegenüber der Altstadt einen aufsehenerregenden, 32 Meter hohen Hotel- oder Apartmentturm zu errichten – und zwar nicht am, sondern gleich im Traunsee. So dreist das spekulative Luxusprojekt auch erschien: Wie immer fanden sich prominente Architekten, die bereit waren, es zu planen und vollmundig zu rechtfertigen.

Die Einschätzung der Fachbeamten in Linz war freilich eine andere. Sowohl Natur- und Landschaftsschutz als auch Umweltanwaltschaft und Raumordnung äußerten schwerwiegende Bedenken. Dies focht die Landespolitik aber keineswegs an, dem Bau ihre Zustimmung zu erteilen, sprachen die – nie überprüften – wirtschaftlichen Argumente doch dafür. Der damalige Landeshauptmann wollte dem gut bekannten Investor angeblich sogar mit einer millionenschweren Förderung unter die Arme greifen, was eine Bürgerinitiative durch Einschaltung der EU-Wettbewerbsbehörde aber zu verhindern wusste. Derzeit ist der Turm im See vom Tisch, ähnliche Vorhaben liegen aber in den Schubladen.

Im burgenländischen Neusiedl werden sie bereits gebaut: luxuriöse Zweitwohnsitze, teils am, teils im See, obwohl das dauerhafte Bewohnen der Uferzone – noch dazu im Unesco-Welterbe-Gebiet – eigentlich untersagt ist. Auch diesmal mit im Boot: ein unternehmerfreundlicher Bürgermeister und ein geschäftstüchtiger Architekt. Ihr Konzept erlaubt es, die hinderlichen Auflagen von Raumordnung und Umweltschutz zu umgehen und betuchten Wienern ein Eigenheim mit direktem Zugang zum Wasser zu ermöglichen. Denn die 22 Seehäuser werden flächenwidmungskonform als Teil einer Hotelanlage errichtet – die einzelnen Apartments dann aber an die „Hotelgäste“ verkauft. Manche nennen das Etikettenschwindel, manche nennen es Betrug. Die Bußgelder für derlei Abweichungen von rechtsgültigen Plänen wären jedenfalls so gering, dass sie bei kolportierten Kaufpreisen von rund einer Million Euro pro Haus nicht ins Gewicht fielen.

Was am lauen Steppensee im Osten des Landes aufgeht, funktioniert in der schneebedeckten Berglandschaft weiter westlich allemal. Dort heißen die verkappten Zweitwohnsitze „Alpine Chalets“. Ab 700.000 Euro kann man etwa auf der Reiteralm in Schladming eines von 13 luxuriösen „Beherbergungsobjekten“ direkt an der Skipiste kaufen – und laut Makler frei entscheiden, wie viel Zeit man selbst in seinem Chalet verbringen will und wann (ob) man es vermietet. Am Tiroler Brenner ist man bereits ab 370.000 Euro mit dabei. Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen, im Wesentlichen geht es aber immer um dasselbe: Politische Entscheidungsträger nutzen ihre Planungskompetenz weidlich, um enorme Werte zu schaffen – die freilich meist nur wenigen zugutekommen.

Kaum einmal landen solche Fälle vor einem Gericht. Und auch die vierte Gewalt im Staat ist nur selten dazu bereit, planungspolitische Missstände so lange anzuprangern, bis die Verantwortlichen Konsequenzen ziehen. Schließlich lebt das Gros der heimischen Medien von Inseraten auch aus der Bauwirtschaft, des Einzelhandels sowie von Banken und Versicherungen mit ihren Immobilienfonds.

Umso wichtiger wären die Bürger als Korrektiv in der Planung, doch würde es noch lange dauern, bis die heimische Politik sie dazu einlädt. Wir werden uns schon selbst in die Entscheidungsprozesse hineinreklamieren müssen – nicht zwingend, um unsere Städte und Dörfer aktiv mitzugestalten, aber sehr wohl, um der Gleichheit und der Gerechtigkeit jenen Stellenwert zu verschaffen, den die Demokratie ihnen zugedacht hat.

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