Die Muse macht Schlussverkauf

Das moderne Museum verbindet mehr mit Shoppingmalls, als manchem Kunstfreund recht sein kann. Als städtebauliche Vorbilder haben sie jedoch ausgedient. Es droht ein böses Erwachen.

Jürgen Tietz
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Mall oder Museum? Die Unterscheidung wird immer schwieriger. (Kim Kyung-Hoon/Reuters)

Mall oder Museum? Die Unterscheidung wird immer schwieriger. (Kim Kyung-Hoon/Reuters)

Was hat man dem Entwurf der Basler Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron für das neue Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin nicht alles nachgesagt: Es sei eine Lagerhalle, eine Scheune, ein Mega-Lidl. Ganz flott poppte auch der Vergleich des geplanten Museums mit einer Shoppingmall auf. Kürzlich in Berlin darauf angesprochen, zeigte sich Projektarchitekt Ascan Mergenthaler ob solcher Vergleiche angesichts der archetypischen Kraft seines Entwurfs tiefenentspannt.

Von Malls lernen heisst siegen lernen. Tatsächlich stinkt es im lärmenden Innenhof des ehrwürdigen British Museum wie auf dem Foodcourt von Heathrow, quellen den Besuchern gelbe Quietscheenten im Rembrandt- oder Sherlock-Duktus aus den Shops entgegen. Neben nacheiszeitlichen Kühlschrankmonolithen mit Erfrischungsgetränken kulminiert das museale Kulturerlebnis im überbordenden Kuchenbuffet. Mall und Museum sind kaum zu unterscheiden. Aber waren sie es je?

Klee und Prada

Das British Museum hat die Elgin-Marbles, Harrods sein «ägyptisches» Treppenhaus. Museen sind kein Hort der ästhetischen Bildung, sondern bieten kulturelle Quickies, gerne in spektakulären Gebäudekompositionen – auch darin sind Mall und Museum ganz beieinander. Aussen marktschreierisch mondän, gezackt, gewellt, gepixelt, werden sie bei den global erfolgreichen Architekturbrands eingekauft, die gleich auch die Flagship-Stores der Modelabels entwerfen. Das Innere hermetisch gegen die Stadt abgegrenzt, putzen sich Mall und Museum im Interieur mit Blackbox oder White Cube, technisch hochgerüstet und beliebig bespielbar mit Rembrandt, Klee oder Prada.

Mit freiem WLAN und «gemütlicher» Sitzecke haben Shopping Malls die Rolle öffentlicher Räume übernommen, denen die Museumsmacher nacheifern.

So eng ist die Symbiose aus Mall und Museum, dass nicht nur in China die Kunst gern in der Mall vorbeischaut, während sich in den Museen die Verkaufsflächen der Shops geschwürartig tiefer in die Ausstellungsflächen fressen. Vorbei die Zeit, da Shoppingmalls als «Angriff auf die City» galten. Mit freiem WLAN und «gemütlicher» Sitzecke haben sie die Rolle öffentlicher Räume übernommen, denen die Museumsmacher nacheifern. Nur, dass die Malls neben besseren Öffnungszeiten auch noch kostenlosen Eintritt bieten.

Seit den achtziger Jahren brandet eine Flut von neu, an- oder umgebauten Museen weltweit bis in den letzten Krähwinkel. Doch was, wenn den Museen im Zeitalter des digitalen (Kunst-)Konsums das gleiche Schicksal droht wie den Malls? In den USA, so eine Studie der UBS, werden aufgrund der Abwanderung des Handels in das Internet in den nächsten Jahren bis zu dreissig Prozent der Malls verschwinden. Mit schwerwiegenden Folgen für die Städte.

Vor dem Überlebenskampf

Einst glücklich darüber, die Malls von der grünen Wiese in die Zentren geholt zu haben, definieren sich heute viele Stadtzentren über ihre Malls. Doch Mall wie Museum sind gewaltige Monostrukturen, die Zehntausende Quadratmeter Stadtfläche fressen. Nachnutzung ausgeschlossen. Was gibt uns die Gewissheit, dass es nicht etlichen Museen sehr bald genauso wie den Malls ergeht, kaum dass in der nächsten Rezession der beinharte museale Überlebenskampf um die öffentliche Alimentierung hochkocht?

Die Lebensdauer von Shopping Malls ist kurz - entweder sie werden wie etwa in der Schweiz den neuen Kundenwünschen angepasst oder man lässt sie zerfallen, wie diese Mall in Ohio, die 1975 erbaut und 2008 aufgegeben wurde. (Bild: Seph Lawless)
8 Bilder
Eines der ältesten Shoppingcenter in Europa ist das 1964 eröffnete und 2012 umgebaute Main-Taunus-Zentrum in Sulzbach bei Frankfurt mit seiner für die damalige Zeit typischen überdachten Ladenstrasse. (Bild: ECE Projektmanagement GmbH&Co.KG)
Heutige Malls werden oft mit Wohnüberbauungen kombiniert, wie das 2013 eröffnete Zorlu Center von Emrr Arolat in Istanbul zeigt. (Bild: Thomas Mayer)
Als das «CentrO» von Rhode Kellermann Wawrowsky 1996 bei Oberhausen eröffnet wurde, galt es als wegweisend innovativ, doch bald zeigten sich seine negativen Auswirkungen auf die Einkaufsstrassen im Stadtzentrum. (Bild: Thomas Meyer)
Die 2007 von Grazioli und Muthesius beim rekonstruierten Braunschweiger Schloss realisierten Schloss-Arkaden versuchen den Besuchern eine Welt des Luxus und der Eleganz vorzugaukeln. (Bild: Thomas Meyer)
Das Urbild aller modernen Shopping Malls schuf Victor Gruen 1956 mit dem Southdale Center in Edina bei Minneapolis. (Bild: Gruen and Associates)
Ein postmodernes Shopping-Paradies in Form einer dorfartig verschachtelten Einkaufslandschaft realisierte Jon Jerde 1985 in San Diego. (Bild: The Jerde Partnership)
Das 2008 in Brünnen bei Bern eröffnete Einkaufs- und Freizeitzentrum «Westside» von Daniel Libeskind überrascht mit einer spektakulären Innenwelt. Zum NZZ-Artikel. (Bild: Stefan Wermuth / Reuters)

Die Lebensdauer von Shopping Malls ist kurz - entweder sie werden wie etwa in der Schweiz den neuen Kundenwünschen angepasst oder man lässt sie zerfallen, wie diese Mall in Ohio, die 1975 erbaut und 2008 aufgegeben wurde. (Bild: Seph Lawless)

Deshalb muss eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Qualitäten der Museen beginnen. An die Stelle des kulturellen Konsumwettstreits am Kuchenbuffet müssen dort das Wundern und das Staunen wieder Platz finden. Museen für morgen müssen mit der Magie der ästhetischen Erfahrung die Herzen ihrer Besucher erobern, anstatt müde Mall-Konzepte von gestern zu kopieren. In Berlin genauso wie in Zürich.