Der Designer Ettore Sottsass stellte in den siebziger Jahren das Design auf den Kopf. Zu seinem hundertsten Geburtstag schauen verschiedene Museen auf sein vielfältiges Werk zurück.
Sie ist knallrot, tragbar und leicht: Die Reiseschreibmaschine «Valentine» war ein Hingucker in den Schaufenstern, als der Hersteller Olivetti sie 1969 auf den Markt brachte. Sie machte ihren Erfinder Ettore Sottsass weltberühmt. Die «Valentine» wurde ein begehrtes Design-Objekt, denn Sottsass hatte die Schreibmaschine nicht einfach als praktisches technisches Gerät konzipiert. Der ikonische Gegenstand schmückt heute Designsammlungen grosser Museen weltweit. Er war auch Teil von David Bowies grosser Designsammlung, die im vergangenen Jahr bei Sotheby’s unter den Hammer kam. «Es war schier unmöglich, den Blick von ihr abzuwenden», schrieb der Musiker einmal.
Dieses Jahr wäre Ettore Sottsass hundert Jahre alt geworden. Übervater und Altmeister, Guru und Innovator, ja sogar «Godfather of Italian Cool»: Der Etiketten für den am 31. Dezember 2007 verstorbenen Gestalter existieren viele. Sein Werk ist vielschichtig, für ihn gab es keine Grenzen zwischen Architektur, Skulptur, Design und Malerei. Die Umbrüche und Neuanfänge in seinem Entwurfsleben haben Designgeschichte geschrieben, kaum ein anderer hat das Berufsbild des Designers so umfassend erweitert wie Sottsass.
1917 in Innsbruck geboren, war Sottsass nach Turin gegangen, um dort sein Studium am Polytechnikum abzuschliessen. Bereits Anfang der 1950er Jahre eröffnete er sein eigenes Studio in Mailand. Später wurde er künstlerischer Leiter der Firma Poltronova in Florenz und entwarf dort Leuchten und Möbel. Zur selben Zeit realisierte er erste eigene Architekturprojekte in Mailand.
Berühmt wurde er aber erst 1959, als er für Olivetti den ersten Grosscomputer «Elea 9003» entwarf. Über drei Jahrzehnte blieb Sottsass dem italienischen Computer- und Schreibmaschinenhersteller treu. Aber weder bei Olivetti noch bei späteren Arbeitgebern liess er sich in die hierarchischen Firmenstrukturen einbinden. Während seiner Tätigkeit bei Olivetti entstanden beispielsweise die durch eine Indienreise inspirierten «Keramiken der Finsternis». Kunst und Industrie blieben die Pole, innerhalb deren Sottsass sich mit grosser Freiheit bewegte.
«Die gute Form betört mich nicht», bekannte Sottsass freimütig. Seine Inspiration war die Poesie. 1970 entstanden die ersten mit Laminat beschichteten «Mobili Grigi», neongrelle Fiberglasbetten und -spiegel für Poltronova. Die Welle des «Radical Design» erfasste Italien, Sottsass wurde zur Leitfigur der Radikalen. Während jedoch die Bewegung bald wieder abflaute, führte Sottsass seine Revolte fort.
Der Paukenschlag aber folgte im Dezember 1980: Ettore Sottsass lud zu einem Treffen in seine Mailänder Wohnung. Unter den Gästen waren Michele De Lucchi, Matteo Thun und Sottsass’ damalige Lebensgefährtin Barbara Radice. Während im Hintergrund Bob Dylans Song «Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again» lief, beschloss man die Gründung eines Kollektivs nebst zugehörigem Unternehmen, um Möbel mit unverwechselbarer Optik auf den Markt zu bringen. Da die Platte einen Kratzer hatte und immer wieder beim Wort «Memphis» hängenblieb, kam Sottsass auf die Idee, die Gruppe «Memphis» zu nennen.
Als im September 1981 die erste Kollektion in Mailand präsentiert wurde, staute sich der Verkehr vor dem Showroom. Über 2000 Menschen bestaunten die Entwürfe, in den ersten sechs Monaten nach dem Debüt erschienen mehr als 400 Presseartikel über Memphis. Die Memphis-Gründer einte die Opposition gegen das Funktionalismus-Diktat der Moderne. Sie verfochten eine aufregendere, sinnlichere Sprache im Design – weniger Sachlichkeit, mehr Emotion.
Damit läuteten sie den Beginn einer neuen Ära ein. Galt bisher die Regel «form follows function», stellten sie diesen rigiden Grundsatz auf den Kopf. Die Memphis-Möbel waren bunt, poetisch, frech. Respektlos mixten Sottsass und seine Mitstreiter Holz, Kunststofflaminat und Metall, zitierten historische Elemente und verwandten üppige Ornamente. Die vermeintlich kitschigen Entwürfe kamen nicht nur in bizarren Formen und schrillen Farben daher. Sie rückten die Oberfläche ins Zentrum der Gestaltung.
Was als Revolution begonnen hatte, wurde schnell vom Markt aufgesaugt und verkam dabei zur modischen Attitüde. «Memphis ist für Sottsass ein wichtiger Meilenstein, aber in seiner langjährigen Karriere auch nicht mehr als das», erklärt Marc Benda von der New Yorker Galerie Benda Friedman. 1985 verlässt Sottsass Memphis, drei Jahre später löst sich die Gruppe auf. Aber der Strom derer, die sich vom Memphis-Stil inspirieren lassen, reisst nicht ab – derzeit erlebt Memphis gar ein Revival. Die Originalentwürfe von Memphis erzielen heute auf Auktionen hohe Preise. Auch die «Valentine» ist als Reedition wieder zu haben.
Aber nicht nur Memphis-Originale und ihre spezielle Ästhetik begegnen uns derzeit. Auch die Haltung dahinter ist jungen Designern heute wieder vertraut: Sie hinterfragen den gängigen Geschmack, entwickeln Witz und Esprit bei der Gestaltung, die reine Funktionalität wird überwunden. Ettore Sottsass formulierte es einmal so: «Was nützt eine perfekt entworfene Tür, wenn dahinter jemand lauert, der dich umbringen will.»