Grosses Theater an der Wien oder die architektonische Abschaffung der Stadt

In seinem neuen Stadtzentrum an der Donau inszeniert sich Wien als moderne Metropole. Doch anstelle von urbanistischer Planung herrscht architektonische Willkür. Wie soll daraus je eine Stadt werden?

Reinhard Seiss
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Dominique Perraults DC Tower überragt mit seinen 250 Metern alles. Dass er im Gesamtbild der Donau City disproportioniert wirkt, scheint niemanden zu stören. (Bild: DC Towers / Michael Nagl)

Dominique Perraults DC Tower überragt mit seinen 250 Metern alles. Dass er im Gesamtbild der Donau City disproportioniert wirkt, scheint niemanden zu stören. (Bild: DC Towers / Michael Nagl)

Unlängst konnte die Bank Austria endlich den Verkauf ihres wichtigsten Immobilienprojekts der letzten Jahre verkünden: Der 250 Meter hohe DC Tower in der Wiener Donau City – 2013 fertiggestellt – stand zunächst halb leer und fand nur schleppend Mieter. Zwar behauptete der Investor stets, die Verwertung verlaufe zu seiner Zufriedenheit. Doch verwehrte die dunkle, verspiegelte Glasfassade nach Plänen des Pariser Stararchitekten Dominique Perrault jede Überprüfung.

Abnehmerin ist die Immobilientochter der deutschen Bankengruppe Deka. Doch auch niederländische, britische oder amerikanische Investoren, jüngst sogar Interessenten aus Asien zählen zum Zielpublikum der Wiener Grossprojektentwickler. Diese bauen längst nicht mehr für den lokalen Bedarf an Büro- und Einzelhandelsflächen oder Luxusapartments. Ihr Blick richtet sich auf die Notwendigkeit grosser ausländischer Fonds, allen voran privater Pensionskassen, ihre Gelder langfristig und möglichst sicher anzulegen. Insofern stellen Wiens grossvolumige Bürokomplexe oder auch Einkaufszentren der letzten zwei Jahrzehnte streng genommen auch keine Produkte für den realen Immobilienmarkt, sondern für den globalen Finanzmarkt dar.

Österreichs Bundeshauptstadt bietet dafür attraktive Rahmenbedingungen, wie sie in anderen Metropolen selten geworden sind: Weder werden Investoren durch städtebauliche Vorgaben eingeengt noch zu Wertsteigerungsabgaben bei Gewährung aussergewöhnlicher Höhen und Kubaturen verpflichtet. Selbst die Anwendung der seit kurzem möglichen städtebaulichen Verträge, die private Gegenleistungen für die öffentliche Infrastruktur- und Verkehrserschliessung von Grossprojekten enthalten können, obliegt allein dem Gutdünken der Politik.

Experimenteller Stadtteil

Diese Willfährigkeit gegenüber der Immobilienwirtschaft manifestiert sich nirgends so offensichtlich und konsequent wie in der Donau City, jenem Viertel, das vom Rathaus Anfang der 1990er Jahre zum Modell für einen neuen, hochhausgeprägten Städtebau und zu nicht weniger als Wiens zweitem Zentrum ausgerufen wurde. Dabei waren die Voraussetzungen wie geschaffen, um auf dem ursprünglich für eine Expo vorgesehenen Standort einen mustergültigen Stadtteil zu realisieren: Das 18 Hektaren grosse Gelände lag nach Überdeckung der Donauufer-Autobahn unmittelbar am Fluss, bot einen direkten unterirdischen Autobahnanschluss sowie eine Station der U-Bahn und befand sich im Eigentum der Stadt Wien.

Doch gab die Kommunalpolitik die Chance einer konzertierten Projektentwicklung freiwillig aus der Hand und übertrug 1995 die mit viel öffentlichem Geld baureif gemachte Liegenschaft um ein Almosen der WED, der Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum, deren mittlerweile alleiniger Eigentümer die rathausnahe Bank Austria ist. Damit war die Erfüllung der hehren Ziele für ein an der Oberfläche autofreies, nutzungsdurchmischtes, urbanes und gleichzeitig durchgrüntes städtebauliches Ensemble mit Bezug zum Wasser vom Goodwill privater Akteure abhängig.

Vorgeblich liess der erste Flächenwidmungs- und Bebauungsplan Lage, Form und Höhe der grossmassstäblichen Baukörper weitgehend offen, um «die Kreativität der Architekten in diesem experimentellen Stadtteil nicht zu sehr einzuschränken». Heute, da die Donau City bis auf ein, zwei Baufelder fertiggestellt ist, zeigt sich allerdings, dass dieses Vakuum an städtebaulichen Vorgaben vor allem die Kreativität der Bauträger beflügelte, ihre Gebäude unter Ausblendung des Umfelds sowie der Ziele für das gesamte Viertel zu optimieren.

Selbst das einzige zwischen Rathaus und WED vertraglich festgelegte Qualitätskriterium wurde von keiner der beiden Seiten je ernst genommen: Um in der neuen Downtown eine entsprechende funktionale Vielfalt sicherzustellen, hatte man vereinbart, dass 34 Prozent des Bauvolumens auf Büros und Geschäfte, 30 Prozent auf Wohnungen, 24 Prozent auf Bildung und Wissenschaft, 8 Prozent auf Kultur und Freizeit sowie 4 Prozent auf Hotellerie entfallen sollten.

Bis dato ist neben Wohnungen für rund 3500 Menschen samt Kindergarten, Schule und einer minimalen Nahversorgung sowie Büros für rund 5000 Beschäftigte jedoch nichts Nennenswertes entstanden, das die Donau City über ein beliebiges Stadterweiterungsgebiet erheben würde. Nicht einmal die Durchmischung von Arbeiten und Wohnen gelang: Während sich auf den teureren Baufeldern nahe der U-Bahn die Bürotürme ballen, sind die Wohnkomplexe im weniger gut erschlossenen Teil des Areals konzentriert.

Vermutlich wären viele Wohnungen ohne öffentliche Förderung nicht verwertbar gewesen, zumal die hohe Dichte und der wenig durchdachte Städtebau dazu führten, dass bei weitem nicht alle Menschen, die hier unmittelbar an der Donau leben, den Fluss auch tatsächlich sehen. Im Fall des jüngsten Wohnbaus, des privat finanzierten DC Living, verwundert es daher nicht, dass nach zwei Jahren immer noch drei Dutzend exklusive Apartments zu haben sind. Auch die Bürotürme zeigen trotz hoher Lagegunst und prominenter Architektur erstaunliche Leerstände: Hans Holleins 95 Meter hoher Saturn Tower etwa ist seit seiner Eröffnung 2004 mit Tausenden freien Quadratmetern Stammgast unter den Immobilienannoncen heimischer Zeitungen.

Beschönigter Wildwuchs

Der eigentümlichen Rationalität des Immobilienmarkts scheint es geschuldet zu sein, dass die Reaktion auf solche Misserfolge oft darin besteht, noch mehr vom selben, bloss noch höher und noch grösser, zu bauen. So betraute die WED in der zweiten Phase der Stadtteilentwicklung den Architekten Dominique Perrault mit dem Entwurf zweier Zwillingstürme von 160 und 200 Metern Höhe, obwohl der damals gültige Bebauungsplan Höhen bis maximal 120 Meter vorsah. Um diesen Widerspruch aufzulösen, erging an Perrault darüber hinaus der Auftrag, einen Masterplan für die Donau City zu entwerfen, der zum einen den bisherigen Wildwuchs rückwirkend rechtfertigen und zum anderen den geplanten Dimensionssprung begründen sollte.

Dachterrasse mit Rundumblick auf dem 250 Meter hohen DC Tower von Dominique Perrault. (Bild: DC Towers / Michael Nagl)

Dachterrasse mit Rundumblick auf dem 250 Meter hohen DC Tower von Dominique Perrault. (Bild: DC Towers / Michael Nagl)

Die Lektüre des Leitbilds legt nahe, dass Perrault weniger seiner urbanistischen Expertise als seiner Prominenz wegen engagiert wurde, um mit seinem Namen die noch geplanten Immobilien besser vermarkten zu können. Jedenfalls muten die Erläuterungstexte des Pariser Architekten eher lyrisch an als fachlich aussagekräftig: «Durch die horizontale Erweiterung zum Fluss wird die vertikale Erweiterung der Donau City möglich. Nach und nach wird eine neue Silhouette in der globalen Vision der Stadt Wien entstehen.»

Die Realisierung der beiden Türme stockte mehrere Jahre lang wegen der Übersättigung des Wiener Büromarkts und des entsprechend niedrigen Mietpreisniveaus. In solchen Fällen weiss man in der Donaumetropole aber Abhilfe zu schaffen: Wenn die Renditeerwartungen pro Quadratmeter sinken, werden die Projekte einfach höher, um am Ende wieder auf denselben Gewinn zu kommen. Die lukrative Ausnahmegenehmigung, die Perrault-Türme 220 bzw. 175 Meter hoch bauen zu dürfen, wurde von einer Gemeinderätin der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion mit dem Argument gerechtfertigt, dass den Unterschied von 20 beziehungsweise 15 Metern ohnehin niemand mit freiem Auge erkennen könne.

Der einsame Turm

Während es der DC Tower 1 inklusive Dachaufbauten schliesslich auf 250 Meter brachte und er damit – völlig disproportional – alle anderen Türme des Hochhausviertels um das Eineinhalbfache überragt, wurde die Realisierung seines kleineren Zwillings mangels Nachfrage zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben, bis es im Vorjahr gelang, den Bauplatz samt Baurecht an einen deutschen Immobilienfonds abzustossen. Städtebaulich funktioniere seine Idee, ein Stadttor zu schaffen, jedenfalls auch ohne zweiten Turm, versicherte Dominique Perrault.

Leider reichen in Wien ein namhafter Architekt und ein paar modische Worthülsen, um in Planungspolitik und -verwaltung, aber auch in den meisten Medien helle Begeisterung oder zumindest kritiklose Akzeptanz für mittelmässige bis belanglose Projekte zu erzeugen.

Unbestreitbar ist aus der Donau City ein Exempel geworden, nämlich für das Unvermögen des Immobilienmarkts, sich selbst zu regulieren, sowie seinen Unwillen, auch nur ansatzweise so etwas wie Stadt zu schaffen. Auch der DC Tower wird seiner Rolle als Landmark gerecht: im Sinn eines Monuments einer haltungslosen, verantwortungslosen Planungspolitik. So gesehen ist es gar nicht schlecht, dass der Turm weithin wahrnehmbar ist.