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Eine Ahnung von Planung ohne Widerhall
Der Standard

Bei den Alpbacher Baukulturgesprächen sprach man über Weltkulturerbe, Baurecht und Digitalisierung

2. September 2017 - Wojciech Czaja
„Nairobi ist eine riesige Stadt, hat aber ein kaum funktionierendes öffentliches Verkehrsnetz“, sagte der philippinisch-amerikanische Stadtplaner Benjamin de la Peña. „Aus diesem Grund haben wir die informellen Busse und Taxis, die sogenannten Matatus, vor einigen Jahren digital vernetzt.“ Unter dem Titel Digital Matatu können sich Stadtbewohner und Touristen ein Bild davon machen, auf welchen Routen die Matatus verkehren und wo sich die inoffiziellen Haltestellen befinden.

„Schön und gut“, meinte Adam Greenfield, seines Zeichens Stadtforscher und Autor des Pamphlets Against the Smart City, „aber durch die Registrierung im Netz befinden sich nun sämtliche Matatu-Fahrer auf dem Radar von Steuerbehörde und korrupter Polizei. Das erschwert das Leben einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Der technische Fortschritt hat seinen Preis. Er macht die einen glücklich auf Kosten der anderen.“

Kontroversielle Debatte war das heuer gewählte Format der Alpbacher Baukulturgespräche, die am Freitag zu Ende gingen und traditionellerweise das Europäische Forum Alpbach abschlossen. Unter dem Generaltitel Konflikt und Kooperation diskutierten Befürworter und Gegner über die Sonnen- und Schattenseiten der urbanen Digitalisierung sowie über den Umgang mit Bauvorschriften, Weltkulturerbe und dem immer knapper werdenden Grund und Boden.

„Wir reden immer von Stadtplanung“, sagte Architekt Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au. „Aber dieser Begriff beinhaltet einen fundamentalen Fehler. Er implementiert, dass Planung immer etwas mit Ahnung zu tun hat. In Wahrheit aber haben wir heute viel zu wenig Vorstellung davon, wie wir morgen wohnen und leben wollen.“ Um das herauszufinden, brauche es mehr Mut. Herwig Spiegl (AWG Architekten) plädierte für „mehr Experimente jenseits der Norm. Doch leider sind wir in einer Zeit angelangt, da keine Fehler und Misserfolge mehr geduldet werden.“

Was kontroversiell begonnen hatte, führte nach zwei Tagen zu einem überraschenden Konsens. Die Diskutanten waren sich darin einig, dass es dringend einer neuen Gesprächskultur und Vernetzungsbereitschaft bedarf. Es sei quasi unmöglich, Architekten, Stadtplaner, Forscher, Projektentwickler, Investoren und Politik an einen Tisch zu bekommen. Die Baukulturgespräche waren symptomatisch dafür. Die Entscheider und Gesetzgeber konzentrierten sich auf die Wirtschafts- und Finanzgespräche und blieben – bis auf wenige Ausnahmen – auch heuer wieder der Baukultur fern. Da kann man sich den Mund fusselig reden. Wenn die Verantwortlichen fehlen, verpufft jeder noch so wertvolle Konsens ohne Widerhall über den Tiroler Alpen.

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