Ein neuer Erinnerungsort holt die Opfer des Olympia-Attentats aus der Anonymität

Bei Terrorattacken stehen meist die Täter im Fokus. Im Münchner Olympiapark ist 45 Jahre nach dem Olympia-Attentat von 1972 eine Gedenkstätte für die Opfer eingeweiht worden.

Stephanie Lahrtz
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Die Erinnerungsstätte an die Sportler, die beim PLO-Attentat auf die Olympischen Spiele in München 1972 getötet wurden. (Bild: Christian Horn)

Die Erinnerungsstätte an die Sportler, die beim PLO-Attentat auf die Olympischen Spiele in München 1972 getötet wurden. (Bild: Christian Horn)

Terror schafft immer viel mehr Opfer als nur die Ermordeten. Das Bild des blutbesudelten Olympia-Maskottchens Waldi, ein bunter Dackel, den Andrei Spitzer für seine damals wenige Wochen alte Tochter gekauft hatte, verankert sich seltsamerweise im bildaffinen Gehirn stärker als jede Textnachricht über Verblutende. Ein Stoffdackel, gedacht als Mitbringsel, wird zum Sinnbild für den fehlenden Vater, dessen Lachen die Tochter nie begleiten durfte.

Die Täter eines PLO-Kommandos hatten am 5. September 1972 während der Olympischen Sommerspiele in München elf Sportler und Trainer als Geiseln genommen. Zwei der Geiseln wurden getötet. Die dilettantische Befreiungsaktion der deutschen Sicherheitskräfte in den frühen Morgenstunden des 6. Septembers scheiterte desaströs, was die neun weiteren Geiseln sowie einen deutschen Polizisten das Leben kostete.

Hochzeitsbilder, Ferienfotos

Diesen Einschnitt nimmt die Architektur (Büro Brückner & Brückner) symbolhaft auf: Am neuen Erinnerungsort für die Opfer des Olympia-Attentats im nördlichen Teil des Münchner Olympiaparks, in Sichtweite der imposanten Zeltdächer, fehlt unvermittelt ein Stück Hügel. Jogger, Mütter mit Kinderwagen, Senioren beim Hundeausführen bleiben automatisch stehen. Wie magnetisch angezogen treten sie einige flache schwarze Stufen hinab. Und stehen dann im Zentrum des Raums vor den schwarz-weissen Fotografien des Ringer-Kampfrichters Yossef Gutfreund, des Fechttrainers Andrei Spitzer oder des Gewichthebers Ze'ev Friedman. Kein Passant kommt hier vorbei, ohne nicht mindestens eine der biografischen Notizen zu lesen. Somit erfüllt der vor wenigen Tagen offiziell eröffnete Erinnerungsort den von Ankie Spitzer, der Witwe des Fechttrainers, erwünschten Effekt: Er holt die zwölf dem Terror zum Opfer Gefallenen aus der Anonymität und gibt ihnen ein Gesicht.

Im Olympiapark werden – jenseits einer Randnotiz im Schulbuch – die individuellen Geschichten der Ermordeten erzählt. Bilder von Hochzeiten, der lächelnden Freundin in den Ferien, von Athletengruppen vor dem Trainingszentrum, sie zeigen die Opfer als Teil einer Familie, eines Teams. Manche der Männer, die in München bedroht und getötet wurden, waren als Kinder dem Holocaust entkommen.

Im «Einschnitt» wird zwar auch Information in einem rund dreissigminütigen, nonstop laufenden Film über die Vorgeschichte und den Ablauf des Attentats gezeigt. Über eine breite, dreiteilige Videowand flimmern erschreckende Bilder: ein ausgebrannter Helikopter, ein Mann mit Strumpfmaske auf einem Balkon. Doch im Gegensatz zu all den Berichten über die Terrorattacken der letzten Monate stehen im Olympiapark nicht die Täter, ihre Motive, ihr Vorgehen im Vordergrund, sondern die Opfer.

Für die Angehörigen ist der neue Erinnerungsort auch ein Sieg über Ablehnung und Gleichgültigkeit. Sie forderten seit Jahrzehnten einen Ort, an dem die Opfer ihre menschliche Würde zurückerhalten. Zwar wurde bald nach dem Attentat eine Gedenktafel mit den Namen der Ermordeten vor dem Haus Connollystrasse 31 aufgestellt, in dem die Terroristen damals vor 45 Jahren die Geiseln nahmen. 1995 folgte ein in der Nähe der Olympiabauten errichteter horizontaler Steinbalken, ebenfalls nur mit den Namen. Aber daran gehe man zu achtlos vorbei, betonte Ankie Spitzer immer wieder.

Deutsche Scham

Warum es so lange dauerte, den Wünschen der Hinterbliebenen Folge zu leisten? Abgesehen davon, dass sich Deutschland damals generell schwerertat mit der Gedenkkultur als heute, könnte auch eine nicht unerhebliche Portion Scham seitens der deutschen Behörden eine Rolle spielen: Dass man es nicht schaffte, Geiseln professionell zu befreien. Dass erneut Juden auf deutschem Boden ermordet wurden, man sie nicht ausreichend geschützt hatte.

An der Eröffnung wurde daher auch an die Pflicht erinnert, Juden in Deutschland ausreichend zu schützen. Was angesichts des öffentlich immer häufiger gezeigten und sich auch vermehrt in Straftaten artikulierenden Antisemitismus mehr als nur eine Floskel zur Feierstunde sein muss. Nach den Terrorattacken in Paris, Nizza, London und Berlin soll zudem von dieser Gedenkstätte auch die Botschaft ausgehen, dass man sich als Gesellschaft derartigen Greueltaten nicht beugen darf.

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