Albert Speer junior plante die Megacitys von morgen

Albert Speer junior war einer der wichtigsten Vertreter der Königsdisziplin Architektur und Stadtplanung. Er dachte darüber nach, wie nachhaltige Metropolen weltweit aussehen können. Nun ist er 83-jährig gestorben. Ein Nachruf.

Antje Stahl
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Albert Speer junior in Berlin. (Bild: Keystone / Gero Breloer)

Albert Speer junior in Berlin. (Bild: Keystone / Gero Breloer)

Es gibt immer eine Anekdote, die den Gründungsmythos eines grossen Unternehmens prägt. Diejenige von Albert Speer junior spielt in seiner ersten Altbauwohnung in Frankfurt am Main. Damals, Ende der sechziger Jahre, kündigte König Idris I. von Libyen an, eine Delegation zu dem noch jungen Architekten nach Deutschland zu schicken, um Masterpläne für Städte in seinem Land in Auftrag zu geben. Da verwandelte Speer die nur mit einem Eames Chair ausgestattete Wohnung in eine Bürokulisse und inszenierte einen hektischen Arbeitsalltag mit Freunden. Und er bekam seinen ersten Auftrag im Ausland.

Libyen wird nicht als eines der Lieblingsprojekte auf Speers eigener Website aufgelistet. Aus gutem Grund – 1969 kam Muammar Ghadhafi an die Macht, und Geschäftsbeziehungen zu diktatorischen Regimen will sich kein Architekt nachsagen lassen. Journalisten wurden zeit seines Lebens auch nicht müde, Albert Speer junior auf seinen Vater, Hitlers Rüstungsminister und Architekten Albert Speer senior, anzusprechen. «Das nervt», sagte Speer vor vielen Jahren. «Ausserdem habe ich mein ganzes Leben lang versucht, mich von meinem Vater abzugrenzen.»

Albert Speer junior wurde 1934 in Berlin geboren, absolvierte in Heidelberg eine Schreinerlehre und holte das Abitur an einer Abendschule nach, um wie sein Vater und sein Grossvater Architekt zu werden. Nach dem Studium in München arbeitete er in Büros in Deutschland, Schweden und der Türkei. Er war bereits in jungen Jahren ein umtriebiger Kosmopolit. Den ersten Wettbewerb gewann er mit einem Wohngebietskonzept für das ehemalige Bahnhofareal in Ludwigshafen, das durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war. Im selben Jahr, 1964, gründete er sein eigenes Büro in Frankfurt am Main.

Nachhaltigkeit gehörte zu seinem Arbeitsethos

Im Magazin «The New Yorker» wurde Albert Speer einmal als «manifestation of Germany’s postwar identity» bezeichnet, als einer der Anwälte aus Deutschland für Menschenrechte und Ökologie. Nachhaltigkeit gehörte zu Albert Speers Arbeitsethos, er glaubte, dass Deutschland als Labor für erneuerbare Energie langfristig gefragt sein werde. Ausgehend von den internationalen Projekten des Büros Albert Speer + Partner erschien 2009 sogar «Ein Manifest für nachhaltige Stadtplanung». Zu den zehn Grundsätzen des Büros, das über 160 Mitarbeiter in Frankfurt am Main und in Schanghai beschäftigt, zählen «Reduziere den Energieverbrauch und den Einsatz von Technik» und «Mehr Bürgerbeteiligung».

Als Stadtplaner wurden Albert Speer + Partner vor allem von Ministerien beauftragt. Für Russland, China, Afrika und den arabischen Raum nahm er, wie er es formulierte, die Perspektive des Titanen ein: Wie geht man mit dem Wachstum der Städte und informellem Siedlungsbau um? Wie lenkt man Stadtverkehr und verhindert Smog? Wie garantiert man Mobilität von Einzelnen? Der menschliche Massstab wurde sein anerkanntes Markenzeichen, das man in der einen oder anderen City in der Zukunft wiedererkennen wird. Dreissig Kilometer westlich von Kairo etwa entsteht eine neue Stadt, als Kontrastprogramm zur Metropole sieht Speer für die «October Oasis» einen grossen Park vor, ruhige Wohngebiete, Schulen und einen Theaterboulevard. Auch für Nigerias Hauptstadt Abuja entwickelt das Büro ein neues Viertel, in dem die Wasserversorgung und die Abfalltransporte völlig neu organisiert werden.

Bei aller Wertschätzung wurde Albert Speer aber auch immer mit Kritik konfrontiert. Lästige Fragen zu den Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter, die seine WM-Pläne in Katar umsetzen, oder zu Gerichtsgebäuden in Saudiarabien, die sein Büro baute und in denen Homosexuelle verurteilt werden, wehrte Speer stets ab: Er habe das Ziel, «etwas Gutes für das Land und die Menschen» zu tun.

Frankfurt für alle

Viel Kraft steckte Albert Speer junior in seine Wahlheimat. Über den Schlachtplan «Frankfurt für alle» aus dem Jahr 2009, der die Bankenhochburg bis 2030 als «attraktive Stadt» in den Köpfen der «kreativen Eliten der Wissensgesellschaft» verankern soll, machen Frankfurter gerne Spässe, sofern sie ihn denn kennen. Albert Speer hat die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt verliehen bekommen und viele andere grosse Preise. Eigentlich sind Stadtplaner wie er ja ein wenig wie Chirurgen, sie operieren und richten, während die Patienten schlafen. Ihre Eingriffe wirken sich unmittelbar auf das Leben aus, nach der Entlassung werden sie vergessen. Angefeindet oder gefeiert wird immer die Architektur, einzelne Gebäude, die Allianz-Arena in München von Herzog & de Meuron etwa. Aber Albert Speer hat den Standort präzisiert und die Verantwortlichen von dem Neubau überzeugt, die breite Öffentlichkeit ist darüber selten informiert.

Zwei von Speers grossen Träumen haben sich nicht erfüllt: die Olympischen Spiele 2018 nach München und 2024 nach Hamburg zu holen. Sein Büro war massgeblich an den Bewerbungen der Städte als Austragungsorte beteiligt. Für einen der wichtigsten Vertreter der Königsdisziplin Architektur und Stadtplanung garantierten solche Mega-Events urbanen Fortschritt. Die Bürger Hamburgs stimmten gegen eine Bewerbung um die Sportveranstaltung. Nicht jeder teilt Speers Weit- und Weltsicht.

Albert Speer junior starb im Alter von 83 Jahren in Frankfurt im Spital, in das er nach einem Sturz eingeliefert worden war.