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db deutsche bauzeitung 10|2017
Stuttgart
db deutsche bauzeitung 10|2017

Holzschatulle im Prinzessinnenpalais

Stadtbücherei wird Stadtmuseum: Umbau des Wilhelmspalais

Von der Ausstellung ist zwar noch nichts zu sehen, denn das Stadtmuseum öffnet erst im April 2018 seine Tore, dafür ist die ins entkernte Wilhelmspalais eingepasste Architektur derzeit in voller Klarheit erlebbar. Das Raumgefüge aus hellem Birkenholz, Sichtbeton und dunklen Terrazzoböden überrascht hinter der klassizistischen Fassade zunächst.

2. Oktober 2017 - Roland Pawlitschko
Als das Wilhelmspalais 1840 fertiggestellt war, bildete es den östlichen ­Abschluss der Planie – eine von Alleen gesäumte Grünachse, an der einige der historisch wichtigsten Gebäude Stuttgarts aufgereiht sind, z. B. das Alte Waisenhaus, die Alte Kanzlei sowie das Alte und Neue Schloss. Dass diese Achse heute kaum mehr als solche erkennbar ist, hat v.a. mit dem Ausbau Stuttgarts zur autogerechten Stadt zu tun. Und so ist hier seit den 60er Jahren kein ­Vogelgezwitscher mehr, sondern Autolärm zu hören, ausgehend von zwei Bundesstraßen, die sich kreuzungsfrei begegnen und die Sicht- und Fußwegeverbindungen kappen. Direkt vor dem von Hofbaumeister Giovanni Salucci für die beiden Töchter von König Wilhelm I. geplanten Wilhelmspalais befindet sich die rechtwinklig zur Planie (B27) verlaufende Konrad-Adenauer-Straße (B14) – jene Stadtautobahn, die seit Jahrzehnten das Entstehen einer fühlbaren Kulturmeile vereitelt.

Zahlreiche hochkarätige Kulturinstitutionen (z.B. Landesbibliothek, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Haus der Geschichte, Staatsgalerie und Staatstheater) liegen neben dem »Prinzessinnenpalais« dicht an dicht, ein Ort zum Flanieren ist die Verkehrsschneise freilich nicht.

Seit 1918 im Besitz der Stadt und im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurde das Wilhelmspalais Mitte der 60er Jahre entkernt und durch den ­Architekten Wilhelm Tiedje zur Stadtbücherei umgebaut. Erhalten geblieben sind dabei lediglich die Außenwände.

Das neue Innere folgte funktionalen Gesichtspunkten und nahm mit dem von hohen geschlossenen Wänden flankierten Foyer in der Mittelachse und der dort platzierten, unrepräsentativen Haupttreppe nur wenig Bezug zur Altbausubstanz. Einige Jahre vor dem 2011 erfolgten Umzug der Stadtbücherei in den würfelförmigen Neubau (Architekt: Eun Young Yi) im Europaviertel fiel der Entschluss, hier das Stadtmuseum unterzubringen und einen Architektenwettbewerb auszuloben.

Offenheit und Aktivität statt bloßen Präsentierens

Den Zuschlag der Jury erhielt in der zweiten Runde einstimmig der Beitrag der Arbeitsgemeinschaft der Architekten Lederer Ragnarsdóttir Oei (LRO) und der Ausstellungsplaner jangled nerves. Während der Entwurf die Gremien des Gemeinderats passierte und ehe 2014 schließlich Baubeginn war, wurde das Haus fast eineinhalb Jahre lang als Ort für Kulturevents und täglichen Cafébetrieb zwischengenutzt. Dies war keineswegs nur als temporäre Bereicherung der Gastronomie- und Veranstaltungsszene gedacht, sondern sollte gezielt dazu beitragen, das Gebäude als offenes, kommunikatives Haus in den Köpfen der Menschen zu verankern. In die gleiche Richtung zielte das ebenfalls schon vorab aktive Stadtlabor, das seinen Platz nun im Gartengeschoss des Stadtmuseums finden wird. Zu dessen Aufgaben zählt es, Kindern und Jugendlichen grundlegende Aspekte von Architektur und Stadtplanung zu vermitteln.

Das Selbstverständnis des Stadtmuseums, nicht nur Artefakte zu konservieren und zu archivieren, sondern ein lebendiger Ort der Begegnung zu sein, verlangt nach einem Gebäude, das sich in besonderer Weise offen und durch­lässig zeigt. Da Veränderungen an der denkmalgeschützten Fassade nicht ­zulässig waren, kam zur Umsetzung dieser Idee nur der Innenraum infrage. Weil die vorgefundenen Räume hierfür zu hermetisch und daher ungeeignet waren, entschlossen sich die Planer, das Wilhelmspalais abermals vollständig zu entkernen und den Bestand durch einen selbsttragenden Stahlbetonbau zu ersetzen.

Wie schon die Stadtbücherei verfügt auch das Stadtmuseum über zwei Eingänge, durch die die Besucher ins erdgeschossige Foyer gelangen:­ ­einen Haupteingang mit Kutschenauffahrt von der Stadtseite und einen Eingang von der rückwärtigen Gartenseite. Letzterer führt von der erhöht liegenden Urbanstraße über eine bereits von Tiedje geschaffene, nun aber erneuerte Brücke ins Haus. Das Gebäudeinnere nimmt direkt Bezug auf das ursprüng­liche klassizistische Raumgefüge Saluccis. Zum einen durch die zwei an ähnlicher Stelle symmetrisch im vorderen Gebäudeteil gesetzten offenen Treppenräume, die eine von Einbauten freie Sichtachse zwischen Garten- und Stadtseite und dadurch eine enge visuelle Verknüpfung zur Stadt entstehen lassen, zum anderen durch das sich in jedem Geschoss wiederholende Motiv eines von tragenden Stützen gerahmten Bereichs in Gebäudemitte – eine Reverenz an die einstige Säulenhalle, die aber nur bedingt funktioniert, weil es keinen durchgängigen Luftraum gibt.

Neue Holzschatulle in klassizistischer Gebäudehülle

Das EG wirkt deshalb so erstaunlich großzügig, weil die beiden Haupt- und die beiden gartenseitigen Fluchttreppenräume derart geschickt angeordnet sind, dass ebenso offene wie klar definierte Bereiche entstehen: Empfangsbereich, Café, Museumsshop sowie zwei zur Planie orientierte Säle für Vorträge bzw. Diskussionen. Hinzu kommt, dass sich Garderoben, Schließfächer und Toiletten in einem darüber liegenden, niedrigen Zwischengeschoss befinden. Das zum Foyer im Bereich der »Säulenhalle« offene Zwischengeschoss, aber auch die großen Raumhöhen der oberen Ausstellungsgeschosse, erforderten aufgrund der aufeinander abzustimmenden Geschossdecken und Fassadenöffnungen minimierte Deckenaufbauten. Aus diesem Grund liegen – hier wie auch in den OGs – sämtliche haustechnischen Anlagen, Leitungen und Geräte nicht in abgehängten Decken, sondern im Zwischenraum von Neubau und alten Außenwänden. Die dadurch sehr tiefen Laibungen wirken dank der von innen kaum sichtbaren Fensterrahmen wie Vitrinen, die eine jeweils andere Ansicht der Stadt zeigen.

Alle vertikalen Oberflächen im Haus sind einheitlich mit einer hellen, präzise bündig eingepassten Birkenholzbekleidung versehen. Die Architekten sprechen in diesem Zusammenhang bildhaft von einer Schatulle, die das Innere einer »leeren Schachtel« auskleidet. EG und Zwischengeschoss bilden zusammen einen Bereich, den das Museum als »erweitertes Wohnzimmer der Stadt« betrachtet und der für abendliche Veranstaltungen genutzt oder auch vermietet werden kann.

Ausstellungsgestaltung noch geheim

Im 1. OG befindet sich der Dauerausstellungsbereich, der sich auf 900 m² »Stuttgarter Stadtgeschichte(n)« des 18. - 20. Jahrhunderts widmet – für die weiter zurückreichende Geschichte ist heute wie auch in Zukunft das Museum im Alten Schloss zuständig. Wie die Ausstellungsgestaltung im Detail aussieht und welche Objekte, Dokumente, Fotos und Filme hier genau präsentiert werden, will das Stadtmuseum heute, ein halbes Jahr vor Eröffnung, ­leider nicht veröffentlicht sehen. Fest steht allerdings, dass die Exponate aufgrund des Außenwandaufbaus, in dem auch die Lüftung untergebracht ist, nicht an den Wänden hängen, sondern frei im Raum stehen werden.

Im Gang zwischen den Haupttreppenräumen und dem großen Balkon am Haupteingang sollte ursprünglich das Café untergebracht werden, was ihm zweifellos eine einzigartige Präsenz zur Planie und Kunstmeile beschert hätte. Diese Idee blieb letztlich unrealisiert, v.a., weil die Lage im Foyer einige Vorteile bietet: Dort ist mehr Platz für Gäste und Küche, und auch der Veranstaltungs- und Ausstellungsbetrieb lässt sich so klarer trennen.

Außerdem erlaubt diese Lösung einen von Cafébesuchern unbeeinträchtigten Rundgang durch die Dauerausstellung. Ein Überbleibsel dieser erst spät im Realisierungs­prozess gefallenen Entscheidung sind die in die Fensternischen zum Balkon eingelassenen Sitzbänke.

Eine Außenbewirtung wird es statt auf dem Balkon nun auf der breiten Brücke am rückwärtigen Eingang geben. Von hier aus gelangen Besucher dann auch zu Veranstaltungen im neu gestalteten Garten – vor allem die Fläche ­unter der Brücke soll dem Stadtlabor als geschützter Freibereich für Aktivi­täten dienen. Eine mit Pflastersteinen befestigte Fläche ermöglicht dank ­vorgerichteter Anschlüsse auch hier die Bewirtung von Gästen.

Der Sonderausstellungsbereich im 2.OG beschränkt sich auf den gartensei­tigen Gebäudeteil und ist räumlich ebenso wie das EG stark geprägt vom ­Motiv der Säulenhalle. In diesem Fall wird der Raum innerhalb des Säulenkarrees von neun runden Oberlichtern bestimmt, die sich zur Steuerung der Tageslichtmenge von jeweils zwei halbkreisförmigen Klappflügeln schritt­weise schließen lassen. Bei geschlossenen Klapp­flügeln und zugleich ­geschlossenen, bündig in die Laibung integrierten Holz-Klappläden lässt sich der Raum bei Bedarf auch weitgehend ohne Tageslicht bespielen. Der Blick zur Planie bleibt in diesem Geschoss leider nur den Mitarbeitern des Stadtmuseums vorbehalten, deren Büros sich hier befinden.

Stadtreparatur in kleinen Schritten

Anders als die Stadtbücherei dürfte das Stadtmuseum als dezidiert mit der Öffentlichkeit interagierende Einrichtung nicht zuletzt wegen seinem einladend offenen Raumgefüge zum vollwertigen Baustein der Kulturmeile werden. Und mit dem bisher unerfüllten Wunsch der Architekten nach einer bis zur ­Konrad-Adenauer-Straße reichenden, flachen Sitztreppe, dürfte es auch ­gelingen, ein Stück Stadtraum zurückzuerobern. Wie gut es tut, wenn sich ­Gebäude der Verkehrsschneise zuwenden anstatt sich abzuschotten, zeigt auch der Entwurf einer solchen Treppe beim Erweiterungsbau der Landesbibliothek, den LRO ebenfalls gerade realisieren. Bleibt nur noch abzuwarten, wann und wie es gelingt, das Straßenmonster selbst zu bändigen. Ein neuer städtebaulicher Wettbewerb soll bald weitere Ideen liefern.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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