Die Zukunft darf nicht warten

Während die Architekturbiennale in Chicago Vergangenheitsbewältigung betreibt, eröffnet eine deutsche Firma eine neue «Smart Factory» am Stadtrand. Sie erzählt mehr über die Gesellschaft von morgen als die Ausstellung der Architekten.

Gregor Quack
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Die Trumpf Smart Factory von Barkow Leibinger in Chicago. (Bild: Steve Hall)

Die Trumpf Smart Factory von Barkow Leibinger in Chicago. (Bild: Steve Hall)

Am Vorabend der Architekturbiennale in Chicago trifft sich die angereiste Architekturprominenz etwas stadtauswärts, in einem Vorort namens Hoffman Estates – dafür ging es vorbei am O’Hare-Flughafen und den kastigen Kommerztempeln, auch «big box stores» genannt. Hier draussen hat das Berliner Architekturbüro Barkow Leibinger eine neue Halle für den Maschinenbauer Trumpf aus Deutschland gebaut. Der Hauptsitz von Trumpf liegt in der schwäbischen Kleinstadt Ditzingen, viele sind der Einladung zur Einweihung gefolgt.

Die Stimmung ist blendend. Eingeflogene Ingenieure mit breiten Krawatten prosten in breitem Schwäbisch dem ortsansässigen Personal zu. Die Firmenchefin Nicola Leibinger-Kammüller, die den Architekten verwandtschaftlich verbunden ist, führt durch ihr neues Flaggschiff. Es ist kein Beitrag zur Biennale und stellt sie doch, wie sich leider zeigen wird, in vielerlei Hinsicht in den Schatten.

Die zweite Architekturbiennale eröffnet in Chicago. Sie steht unter dem Titel «Make New Histories». Bild: Installationsansicht der «Vertical City» in der Sidney R. Yates Hall. (Bild: Tom Harris / Chicago Architecture Biennial)
10 Bilder
Aires Mateus präsentierte «A Ruin in Time», 2017. (Bild: Steve Hall / Hall Merrick / Chicago Architecture Biennial)
Monadnocks grosse Pläne «Make Big Plans» (Bild: Tom Harris / Chicago Architecture Biennial)
Der Künstler Thomas Demand in Zusammenarbeit mit Caruso St John Architects und der Fotografin Hélène Binet «Constructions and References», 2017. (Bild: Tom Harris / Chicago Architecture Biennial)
Installationsansicht Pezo von Ellrichshausen Arquitectos «Finite Format 04». (Bild: Tom Harris / Chicago Architecture Biennial)
BLESS versammelte Mögelklassiker Artek für die Installation «Bless No. 60 Lobby Conquerors», 2017. (Bild: Steve Hall / Hall Merrick / Chicago Architecture Biennial)
Installationsansicht von AGENdA - agencia de arquitectura. (Bild: Steve Hall / Hall Merrick / Chicago Architecture Biennial)
«Robotic Craftsmanship »nennen Archi-Union Architects ihren Beitrag. (Bild: Steve Hall / Hall Merrick / Chicago Architecture Biennial)
Einen Modellturm bauten Serie Architects, um «Other Histories» zu präsentieren. (Bild: Kendall McCaugherty / Hall Merrick / Chicago Architecture Biennial)
Atelier Manfedini stellte «Building Portraits» aus. (Bild: Steve Hall / Hall Merrick / Courtesy of Chicago Architecture Biennial)

Die zweite Architekturbiennale eröffnet in Chicago. Sie steht unter dem Titel «Make New Histories». Bild: Installationsansicht der «Vertical City» in der Sidney R. Yates Hall. (Bild: Tom Harris / Chicago Architecture Biennial)

Industriepark und Wellnesshotel

Der Komplex duckt sich in die Landschaft wie eine Mischung aus Industriepark und Wellnesshotel. Von aussen fällt der Blick auf die schimmernden, langen Glasfassaden. Die Seitenwände aus präzise angerostetem Kortenstahl erinnern daran, dass wir uns am Rande des sogenannten Rust Belt befinden. Hier im Mittleren Westen schlug früher einmal das Herz der amerikanischen Wirtschaft. Das Gelände gehörte dem Telekommunikationsriesen AT&T, und inzwischen darbende Kaufhausketten wie Sears bauten sich hier repräsentative Hauptquartiere. Detroit mit den von General Motors hinterlassenen Autofabrik-Ruinen ist mit dem Auto in ein paar Stunden zu erreichen.

Was keiner laut sagt, aber jeder weiss: In der Zeit zwischen Planung und Fertigstellung dieser Aussenstelle ist es ein deutlich brisanteres Unterfangen geworden, als europäische Firma in Amerika um Kunden zu werben. Nicht nur die Namensähnlichkeit zwischen Trumpf und Trump lässt an die wilden Wahlversprechen denken, die Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gemacht haben. «Make America great again» – unter diesem Slogan gab Trump seine grossspurigen Pläne bekannt, um der amerikanischen Industrie zu alter Grösse zu verhelfen, das heisst auch ein Szenario zu reinszenieren, das es in den USA so schon lange nicht mehr gibt: riesige Stahlwerke und Autofabriken, die ganze Kleinstädte beschäftigen.

Roboter verrichten die Arbeit

Trumpf Smart Factory Chicago (Bild: Steve Hall)

Trumpf Smart Factory Chicago (Bild: Steve Hall)

Die Gegenwart und die Zukunft sehen anders aus. Die Firma Trumpf nennt das Gebäude Smart Factory. In der luftigen Eingangshalle sind die Wände verkleidet mit Kiefernholz, wie man es sonst eher aus Spas und schicken Coffee-Shops kennt. Die Kontrollräume mit Blick über den Maschinenraum, die Metallbiegemaschinen und Laserschneideanlagen sind mit futuristisch-riesigen Displays ausgestattet, die man so berührungslos bedienen kann, wie es Tom Cruise im Science-Fiction-Film «Minority Report» vormacht.

Die Arbeit wird hier nicht von der russverschmierten Arbeiterklasse verrichtet, sondern von Robotern, die sich nicht beschweren. Ihre Namen klingen nach der Sorte Disziplin, die sich Fabrikbosse wahrscheinlich schon immer gewünscht haben: TruBend 7036, TruLaser Cell 3000 oder TruMark Station 7000.

In den USA hat der massive Verlust an Jobs für sogenannte Geringqualifizierte viel mehr mit der Automatisierung zu tun als mit der Abwanderung nach China, das weiss jeder. Die Schwerindustrie, die Trump so fetischisiert, macht gerade einmal 8,5% der amerikanischen Jobs aus. In der Architektur hier am Rande von Chicago kann man einmal mit eigenen Augen sehen, dass die Stahlarbeiter, die Amerika angeblich früher einmal «great» gemacht haben, schon lange von der postindustriellen Gesellschaft abgehängt wurden. Manche der Gäste hier am Stadtrand von Chicago sehen so aus, als wären sie selber einmal solche Arbeiter gewesen.

Mit leuchtenden Augen stehen sie vor Roboterarmen und Präzisionslinsen, die klinisch und sicher in weissen Hüllen versteckt wurden. Der technische Fortschritt, der sie auch ihres Arbeitsplatzes beraubt, wurde chic genug verpackt. Wann, fragt man sich in dieser Prost-Atmosphäre, werden sich die Demokraten ein Beispiel daran nehmen? Sobald sie verstehen, wie man die Zukunft gut aussehen lässt, können sie vielleicht auch einige der Wähler zurückgewinnen.

Eine Ölfirma eröffnet die Architekturbiennale

Am Tag nach der Besichtigung der Smart Factory eröffnet die zweite Chicago-Architekturbiennale an einem anderen Schauplatz: unter den bezaubernd klassizistischen Buntglaskuppeln einer umfunktionierten, ehemaligen Stadtbibliothek im sogenannten Cultural Center. Neben den Kuratoren Sharon Johnston und Mark Lee grüssen der Bürgermeister und ein Vertreter der Ölfirma BP, die sich ja eigentlich für den Bau von Pipelines und Ölplattformen interessiert. Hier geniesst sie Sponsorenstatus.

Es sind manche Gesichter vom Vorabend da, nur die Arbeiter und Ingenieure fehlen. An ihrer Stelle sieht man noch mehr Architekten in Outfits, die an modisch zerknitterte Hausmeisterkittel erinnern. Je weiter sich der Beruf zu einer reinen Bildschirmtätigkeit hinbewegt, desto dringender wollen die Architekten scheinbar signalisieren, dass sie die Verbindung zur Baustelle nicht verloren haben. Wie bei der Fabrikeinweihung lässt sich auch hier keiner von der politischen Lage die Laune verderben, am Ende ist es aber genau das Thema, das man auf der Biennale am meisten vermisst.

Die Ausstellung steht unter dem Titel «Make New Histories». Als wäre seit der letzten Biennale vor zwei Jahren nichts passiert in der Welt, geht es im offiziellen Teil um akademische Erinnerung und nicht um gegenwärtige oder gar zukünftige Herausforderungen. In einem der grössten Räume versammeln sich Beiträge, die allesamt von einem wichtigen Ereignis in der Architekurgeschichte Chicagos inspiriert sind. Jedes teilnehme Büro hat sich als Vorlage einen der Vorschläge ausgesucht, die im Jahr 1922 zum Wettbewerb für einen berühmten Ur-Wolkenkratzer namens Tribune Tower eingingen. Die unrealisierten Beiträge von Grossvaterarchitekten wie Walter Gropius und Bruno Taut stehen immerhin für eine Zeit, in der Architekten noch träumten.

Als Architekten noch träumten

Gleich zwei Schweizer Büros versuchen sich dabei am Wettbewerbsbeitrag von Adolf Loos, der sich den Tribune Tower als riesige dorische Säule mit Fenstern vorstellte. Das Zürcher Büro Sergison Bates verarbeitet die Säule zu einem schicken, weissen Bleistiftturm. Die Basler von Christ & Gantenbein kreuzen ihn mit einem Parkhaus und schaffen so einen mit streberhaft akkuraten Rechtecken dekorierten Turm, eine «Karikatur des perfekten Wolkenkratzers».

Auch in der Vertical City genannten Galerie ist Loos gern zitierter Bezugspunkt. Das Zürcher Büro Karamuk Kuo hat eine aufgehellte, zeitgenössische Version seiner Wiener «American Bar» von 1906 gebaut. Sie steht für einen transatlantischen und interkulturellen Austausch, der jetzt so gefährdet ist wie schon lange nicht mehr.

Dennoch dreht sich alles – in der Ausstellung, im Katalog, in Podiumsdiskussionen – um Ur-Kategorien der Architektur: Gewicht, Festigkeit, Qualität. Andere Aspekte, die genauso grundsätzlich sind, werden vergessen: Politik, Macht, Geld. Wo der Fabrikbesuch vom Vortag zu Zukunftsaussichten anregte, da geht es auf der Biennale vor allem um den Blick zurück. So klug manche Beiträge auch sind, es ist zweifelhaft, ob diese Rückschau wirklich die beste Antwort ist auf die Vergangenheitssehnsucht der Konservativen. Moderne hin oder her.

Komplizenschaft

Einer Ausnahme begegnet man ausserhalb des Cultural Center, ein paar Architekten von der Columbia University haben Stapel roter Bücher ausgelegt. Das Buch haben sie zusammengestellt, als der Chef ihres Berufsverbandes sich etwas zu sehr auf die Zusammenarbeit mit einem Präsidenten freute, dessen Milliarden vor allem aus ausbeuterischen Immobilienspekulationen stammen. Komplizenschaft, so heisst es in der Einleitung, sei für Architekten schon lange ein Problem. Bauen kostet viel Geld, und davon haben manchmal eben gerade die schlimmsten Leute ziemlich viel. Trumps Amtszeit wäre ein guter Anlass, sich als Architekt endlich einmal längst überfällige Gedanken darüber zu machen, wem die eigenen Gebäude eigentlich nützen.

«Architektur gegen eine Bauherren-Präsidentschaft» heisst das Buch. In der Stadt sieht man, wie dringend die Forderung ist. Kein Gebäude kommt einem hier so oft ins Blickfeld wie Trump International Hotel and Tower mit seiner spöttisch glänzenden Spiegelglasfassade. Mehrmals erwähnt im Laufe dieser Tage jemand grinsend den Plan eines örtlichen Architekten, Bojen mit vier riesigen goldenen Schweinchen-Ballons so im Chicago River zu placieren, dass sie den breit an der Fassade prangenden Namen des Bauherrn verdecken. Politischer Protest sieht irgendwie anders aus. Visionäre Architektur sowieso.

Chicago Architecture Biennial, bis 1. Juli 2018