Die Konterrevolution der Bausteine

Lego eröffnet in Dänemark ein neues Haus. Die verschachtelte Landschaft aus Bauklötzen ist wie das Kinderzimmer – eine Einladung, die Welt zu vergessen.

Friedrich von Borries
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Das neue Lego-House in Billund von BIG-Bjarke Ingels Group (Bild: Lego)

Das neue Lego-House in Billund von BIG-Bjarke Ingels Group (Bild: Lego)

Billund ist ein kleines Städtchen im Süden von Dänemark. Nach der Zusammenlegung mit der Nachbargemeinde wurde das im Zentrum des Städtchens gelegene Rathaus nicht mehr benötigt und abgerissen. Für einen neuen Bau wurde das Kopenhagener Büro BIG gewonnen, dessen Kopf und Gründer Bjarke Ingels zu den Stars der globalen Architekturszene zählt. Sein Gebäude wurde gerade eröffnet und ist beeindruckend.

Es ist kein geschlossener Körper, sondern eine verschachtelte Landschaft, die aus aufeinandergestapelten Bauklötzen besteht. Sie passt sich hervorragend in die kleinteilige, niedrige Umgebung ein. Und weil die Bauklötze nicht wie bei einer Stufenpyramide streng symmetrisch, sondern eher wild aufeinandergestapelt sind, wirkt das Gebäude auch noch lässig, geradezu entspannt. Das Erdgeschoß ist grosszügig verglast und dadurch offen und licht, die verschiedenen Dachflächen sind durch Treppenanlagen verbunden und frei begehbar. Billund verfügt, mit anderen Worten, ab sofort über ein Paradebeispiel für öffentliche Bauten in einer modernen Demokratie.

Lego-Universum

Doch das Gebäude ist kein öffentlicher Bau. Es ist weder ein Rathaus noch eine Bibliothek, weder ein Museum noch ein lokales Kulturzentrum. Es ist das Lego-House, ein kommerzieller Tempel für Lego-Enthusiasten. Diese Funktion lässt die Architektur in einem anderen Licht erscheinen. Die lässigen aufeinandergestapelten Bauklötze werden als Lego-Steine dechiffriert.

Bis ins Detail, erklärt der Architekt, bestehe das Lego-House aus skalierten Elementen des Lego-Universums. Von den Klinkern, mit der die Innen- und Außenfassade verkleidet wurden, bis zu den Möbeln im Innenraum sind alle Bauteile eine Referenz zu Lego-Produkten. Immer im Maßstab 18,75:1, dem Größenverhältnis von einem Durchschnittsmenschen zu einer Lego-Figur. Selbst die Handwaschbecken in den WCs sind einem umgedrehten Legostein nachempfunden. Alles schreit: «Ich bin Lego.»

Als Architekturkritiker kann man das konsequent finden – oder unerträglich platt. Zeitdiagnostiker interessiert eine andere Frage: Was ist der Sinn und Zweck dieser Übertragung von Kinderspielzeug in eine architektonische Form? Die Architekturtheorie kennt für die Eins-zu-eins-Übersetzung von Inhalt in Form den Begriff «architecture parlante».

Die «sprechende Architektur» entstand Mitte des 18. Jahrhunderts im Vorfeld der Französischen Revolution, und da die meisten dieser utopischen Entwürfe die Gesellschaft verändern wollten, hat der Architekturhistoriker Emil Kaufmann in den 1920er Jahren für diesen Stil den Begriff «Revolutionsarchitektur» geprägt. Für welche Utopie aber steht die «architecture parlante» der Gegenwart, das Lego-House von BIG?

Spielzonen und Baum der Kreativität

Dazu hilft ein Blick ins Innere des Hauses, das von seiner räumlichen Struktur wie ein Museum aufgebaut ist. Im Keller, so Bjarke Ingels, befindet sich die «Schatzkammer». Hier wird die Geschichte von Lego erzählt, und die erfolgreichsten Produkte werden vorgestellt. Im Erdgeschoss finden sich ein Auditorium für Veranstaltungen, ein Shop und einige Restaurants. Zu den eigentlichen Ausstellungsbereichen führt eine Treppe, die sich um den über 15 Meter hohen, aus über sechs Millionen Lego-Steinen gebauten «Baum der Kreativität» dreht.

Der Anspruch der Ausstellung ist kein geringer: In vier «Spielzonen» sollen die durch Lego erlernbaren «Fähigkeiten» vermittelt werden: Emotionen, Kreativität sowie soziale und kognitive Kompetenzen. Wie das funktionieren soll? Durch Lego-Produkte, versteht sich, mal bunt und poppig, mal zum Basteln und Selberbauen und natürlich immer voller Interaktion. Man kann kleine Lego-Häuschen in ein virtuelles Stadtraster setzen, um wie mit dem Videospiel «Sim City» Stadtplaner zu spielen, man kann Lego-Roboter bauen oder mit Lego-Figuren seinen eigenen kleinen Animationsfilm drehen. Den abschliessenden Höhepunkt bildet, inszeniert wie ein Ausstellungsraum in einem Museum für zeitgenössische Kunst, die «Galerie der Meisterwerke».

Hier werden in Wechselausstellungen Lego-Objekte gezeigt, die Lego-Fans gebaut haben. Nicht Profis, sondern Mitglieder der weltweiten Lego-Community. Die Meisterwerke des Lego-House sind keine Kunstwerke, sondern Interpretationen von Blockbustern der Mainstreamkultur. Eyecatcher der Eröffnungsinszenierung sind drei riesige Dinosaurier. Nicht besonders überraschend, aber eindrücklich. Von welchem revolutionären Versprechen kann hier die Rede sein?

In der Ausstellung stehen Dinosaurier aus Lego-Bausteinen (Bild: Lego)

In der Ausstellung stehen Dinosaurier aus Lego-Bausteinen (Bild: Lego)

Das Versprechen von Lego ist einfach: Entdecke deine verlorene Kindlichkeit, und alles wird gut. Sei wieder so kreativ, wie du es als Kind warst. Bau dir mit deinen eigenen Händen eine eigene Welt aus Lego-Steinchen zusammen. Dieses Versprechen ist die Utopie des Consumer-Kapitalismus. Ein bisschen DIY-Culture, ein bisschen eigenständiges Handeln, aber bloss nicht zu viel. Die Freiheit der Gegenwart entfaltet sich in einem fest abgesteckten Rahmen.

Markenstilisierung

Am besten illustriert das ein Geschenk, das jeder Besucher am Ende seiner Tour durch das Lego-House bekommt. Das Give-away ist ein Set von sechs Legosteinen, die man, so die Behauptung von Lego, zu 915 000 verschiedenen Kombinationen zusammenstecken könne. Alles ist möglich, dank unserer Kreativität entsteht eine bessere Welt, so die Message – besonders, wenn wir dazu die richtigen Markenprodukte kaufen.

Jenseits aller penetranten Markenstilisierung entsteht damit im Lego-House sicher ein Moment der Demokratisierung. Während fast alle Museen zeitgenössischer Kunst – wie sie noch immer zur Förderung von Tourismus Jahr ein, Jahr aus an immer entlegeneren provinziellen Orten eröffnet werden – in fast schon religiösem Habitus dem künstlerischen Genius huldigen, feiert das Lego-House die Kreativität des Bottom-up. In der Galerie der Meisterwerke von Lego werden nicht die Werke von mehr oder weniger berühmten Künstlern gezeigt, sondern die Sisyphusarbeit von Normalos, die in ihrer Freizeit Lego-Steinchen aufeinandertürmen. Die heilige Kuh der künstlerischen Schöpfungskraft wird hier entmystifiziert und demokratisiert. Empowerment! Freiheit der Kreativität für alle!

Eine Landschaft im Lego-Haus (Bild: Lego)

Eine Landschaft im Lego-Haus (Bild: Lego)

Leider handelt es sich dabei nur um die Kreativität des Kindes, eines Kindes, das das Leid der Welt, um einen pathetischen Ausdruck zu benutzen, noch nicht kennt. Und so schön das Träumen in bunten Plasticphantasiewelten sein kann, zu viele Erwachsene lassen ihre Kreativität im Kinderzimmer bei den bunten Lego-Steinchen, statt sie auf die Probleme der Gegenwart anzuwenden.

Infantilisierung

Das Ziel des Lego-House, so könnte man folgern, ist die Infantilisierung. Statt uns nach vorne zu entwerfen, wirft es uns zurück: Es verkindlicht uns. Infantilisierung ist das Gegenprogramm der Aufklärung, es setzt an die Stelle der schmerzhaften Mündigkeit die verträumt-verspielte Unmündigkeit des Kindes. So ist das Lego-House – um noch einmal die Begrifflichkeit der Architekturtheorie aufzugreifen – keine Revolutionsarchitektur, sondern eine Architektur der Konterrevolution.

Große Worte, ja, und natürlich gibt es heute wirklich Schlimmeres, als bunte Plasticsteinchen aufeinanderzusetzen. Und es gibt auch Schlimmeres, als für deren kommerzielle Vermarktung eine beeindruckend schöne und deshalb auch verführerische Raumhülle zu bauen. Und dennoch hätte man sich als Ersatz für das abgerissene Rathaus einen anderen Ort als dieses Lego-House erhofft.

Man hätte sich einen Raum gewünscht, in dem Besucher aus aller Welt zusammenkommen, um zu diskutieren und gerne auch spielerisch zu erproben, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Statt die Besucher an ihre Kindlichkeit zu binden, hätte man sie als schöpferische und erfindungsreiche Experten des Alltags ernst nehmen müssen. Ein Vorbild für einen solchen Ort gibt es noch nicht. Das Lego-House ist leider auch keines geworden. Dabei hätte ein Unternehmen wie Lego dafür das ökonomische Potenzial sowie gemeinsam mit Bjarke Ingels und BIG die nötige kreative Energie.

Selbst wenn das ein zu hoher Anspruch ist, hätte der Architekt sich bei der räumlichen Ausgestaltung wenigstens von der penetranten Anwendung des Maßstabs 18,75:1 verabschieden können. Denn wenn sich alles auf das Grössenverhältnis von Durchschnittsmensch und Lego-Figur bezieht, kommt sich der Besucher irgendwann selbst wie eine überdimensionale Lego-Figur vor – und das will nicht mal der grösste Lego-Fan sein.