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Im Archiv des Genies
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Vor 150 Jahren wurde Frank Lloyd Wright geboren, elitärer Erfinder einer egalitären Architektur. Eine Ausstellung im MoMA New York zeigt Schätze aus seinem Archiv.

23. September 2017 - Christian Kühn
Weltberühmter Architekt: Diese Berufsbezeichnung gab Frank Lloyd Wright an, als er 1956, im Alter von 89 Jahren, in die Fernsehshow „What's my Line?“, die amerikanische Variante des „Heiteren Beruferatens“, eingeladen war. Wright hielt sich für den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts, und zumindest in den USA würde er mit dieser Einschätzung bis heute auf breite Zustimmung stoßen.

Wright ist Jahrgang 1867, und sein 150. Geburtstag wird in den USA gebührend gefeiert. Eine große Ausstellung im MoMA zeigt Schätze aus seinem Archiv, das seit einigen Jahren von der Columbia-Universität und dem Museum of Modern Art in New York gemeinsam verwaltet wird und über 55.000 Zeichnungen umfasst. Zugleich wurden zahlreiche Gebäude Wrights in Hinblick auf das Jubiläum restauriert und wieder öffentlich zugänglich gemacht.

Dass Wright zum weltberühmten Architekten werden konnte, verdankt er nicht zuletzt der Tatsache, dass er 1887 sein Architekturstudium nach zwei Jahren abbrach, um im Büro von Louis Sullivan und Dankmar Adler in Chicago als Zeichner zu beginnen. Chicago, das nach dem großen Brand von 1871 wieder aufgebaut wurde, war zu dieser Zeit das Labor einer neuen Architektur, die sowohl in konstruktiver als auch in typologischer Hinsicht revolutionär war.

Ob der Stahlskelettbau zum Hochhaustypus führte oder umgekehrt der Zug in die Höhe dazu, Stahl als Baumaterial zu nutzen, ist schwer zu entscheiden, wie das Beispiel des Monadnock-Gebäudes im Zentrum von Chicago zeigt. Es besteht aus zwei im Grundriss fast identischen, jeweils rund 60 Meter hohen Teilen. Der erste, von Burnham & Root 1889 entworfen, ragt als reiner Ziegelbau auf, der zweite wurde 1891 nach Plänen von Holabird & Roche als Stahlskelettbau errichtet. Während der ältere Ziegelbau mit seinen fast spiegelnden massiven Wänden aus hoch gebrannten Ziegeln praktisch ohne jedes Ornament auskommt, ist der jüngere, bei dem der Ziegel nur der Verkleidung dient, mit Ornamenten verziert. Von der tragenden Funktion befreit, kann diese Wand sich wieder leicht und fast textil geben. Den Architekten der „Schule von Chicago“ und allen voran Sullivan gelang es, für diese Fassaden neue Lösungen zu entwickeln. Sullivans Ornamente, die sich wie zarte Tätowierungen in die Terrakotta-Haut seiner Hochhäuser einschneiden, folgen geometrischen Prinzipien, die Wrights Architektur geprägt haben.

Auch auf Adolf Loos, der sich in den Jahren von 1893 bis 1896 in den USA und dabei längere Zeit in Chicago aufhielt, müssen diese Bauten großen Eindruck gemacht haben, wie ebenso jene für die Weltausstellung von 1892, die anlässlich des 400-Jahr-Jubiläums der Entdeckung Amerikas eine vom alten Rom inspirierte, klassizistische „White City“ an den damaligen Stadtrand von Chicago setzte. Loos' berühmter Entwurf für die Chicago Tribune, eine gigantische dorische Säule aus schwarzem Granit, trieb diesen Klassizismus drei Jahrzehnte später auf die Spitze.

In diesem Umfeld entwickelte der junge Frank Lloyd Wright eine neue Architektur, die sich vorerst fast ausschließlich in Einfamilienhäusern manifestierte. Nachdem Sullivan ihn 1893 entlassen hatte, weil er in dessen Büro auf eigene Rechnung zu arbeiten begonnen hatte, eröffnete Wright seine eigene Firma, die er schließlich nach Oak Park, einen Vorort von Chicago, verlegte. Sein Haus und sein Atelier sind heute öffentlich zugänglich; die über 30 anderen in der Nähe von ihm entworfenen Häuser befinden sich in Privatbesitz. Bewundern kann man sie trotzdem, da Oak Park generell auf Zäune und blickdichte Hecken verzichtet und die Häuser wirken, als stünden sie in einem großen, offenen Park.

Das berühmteste Haus Wrights in Chicago, das Robie Haus, befindet sich allerdings am anderen Ende der Stadt und liegt heute auf dem Areal der University of Chicago. Es ist ein Musterbeispiel für den Prärie-Stil, in dem Wright horizontale Schichten und Linien betont. Die Technologie, die diese Häuser möglich macht, ist dieselbe wie jene der Hochhäuser: Die weit auskragenden Dächer der Prärie-Häuser werden von Stahlträgern gehalten, die freilich hinter Verkleidungen aus Ziegeln und Holz verborgen sind.

Auch dieses Haus wurde in den vergangenen Jahren um viel Geld restauriert und in einen Zustand gebracht, der den ursprünglichen Plänen entspricht. Dieses Vorgehen hat seinen Preis: Aus den Häusern werden polierte Ausstellungsstücke ohne Spuren der Zeit. Bei einem von Wrights schönsten Häusern aus dieser Epoche, dem Martin Haus in Buffalo, wurden ganze Trakte abgerissen und neu gebaut und im Rahmen der – wahrscheinlich erstmaligen – Herstellung des „originalen“ Gartens alte Bäume entfernt. Wright hätte damit wahrscheinlich kein Problem, da er die von ihm entworfenen Häuser vor allem als sein geistiges Eigentum betrachtete, dem sich die Nutzer bedingungslos zu unterwerfen hätten.

Wer sich weniger für den Geniekult um Wright interessiert, sondern um seine Einordnung in die amerikanische Kulturgeschichte, wird mit der Ausstellung im MoMAin New York, zu der ein hervorragender Katalog erschienen ist, bestens bedient. Sein ambivalentes Verhältnis zum Hochhaus wirdda etwa im Vergleich zu jenem Mies van der Rohes diskutiert. Wright befasste sich mit der Massenproduktion von Einfamilienhäusern und legte mit der Broadacre City Anfang der 1930er-Jahre eine entsprechende Stadtvision vor.

Vertikale Strukturen konnte Wright nur zweimal realisieren, den Forschungsturm der Johnson Wax Factory – anlässlich des Jubiläums ebenfalls zugänglich und mit alter Laboreinrichtung museal inszeniert – und einen Wohnturm, den Price Tower in Oklahoma, der 1956 eröffnet wurde. Im selben Jahr stellte Wright, im Alter von 89 Jahren, das Projekt des Mile-High Illinois vor, einer 1600 Meter hohen Nadel, die 50 Jahre später dem Burj Kalifa in Dubai als Inspiration diente. Hinterfragt werden in der Ausstellung Wrights Appropriation „exotischer“ Kulturen, der indigenen ebenso wie der japanischen. Weniger erfährt man über den Strom von Ideen, der von der Wiener Sezession zu den Prärie-Häusern zurück zum De Stijl führte, vor allem nach der Publikation von Wrights Werk im deutschen Wasmuth Verlag im Jahr 1909.

Österreich feiert im kommenden Jahr den 100. Todestag von Otto Wagner, dessen Bedeutung für die Architekturgeschichte jener von Wright in nichts nachsteht. Eine Ausstellung im Wien Museum ist für März angekündigt. Ob Wagners Postsparkasse dann noch öffentlich zugänglich sein wird, ist unklar. Die neuen Eigentümer halten sich bezüglich Nutzung und nötiger Eingriffe in die Substanz bedeckt. Man wird die architektonische Kultur des Landes daran messen können, wie mit diesem zentralen Bauwerk der frühen Moderne umgegangen werden wird.

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