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Turmbau zu Wien: Der Systembruch als Prinzip
Der Standard

Ließe sich der Bau von Hochhäusern besser planen, als man das in Wien tut? Ja, lautet die kaum überraschende Conclusio einer Fachdebatte der Architektenkammer zu diesem Thema. Fachlichen Input holte man sich aus Zürich, manch Rüffel galt aber auch den Planern selbst.

14. Oktober 2017 - Martin Putschögl
In Wien gibt es schon jetzt rund 250 Hochhäuser mit Höhen von mehr als 36 Metern. Einige Dutzend, vielleicht sogar an die hundert, wären noch möglich beziehungsweise sind bereits in Bau, Widmung oder Planung – sowohl Wohn- als auch Gewerbetürme (Büros, Hotels).

Eine städteplanerische Debatte darüber findet laut Christoph Mayrhofer, Vorsitzender der Sektion Architekten in der Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, aber nicht statt. „Stell dir vor, Wien wird Frankfurt und keiner merkt es“, begann Mayrhofer etwas provokant sein Eingangsstatement der jüngsten Fachdebatte der Kammer mit dem Titel „Strategien der Verdichtung. Ist das Hochhaus die Antwort?“.

Bodenpolitik nicht vorhanden

Für Reinhard Seiß stellt sich die Frage allerdings gar nicht – oder zumindest nicht in der Form. Um mit dem starken Zuzug fertigzuwerden, bräuchte Wien nämlich jedenfalls keine Hochhäuser, ist sich Seiß, studierter Stadtplaner und als solcher heute vielbeachteter Vortragender und Publizist, einigermaßen sicher. Er verwies auf krasse Unterschiede in der Bebauungsdichte mancher Gegenden der Stadt, etwa am Wienerberg, wo sich neben Wohntürmen eine Kleingartensiedlung „mit jeweils 500 Quadratmeter Grund für zwei Bewohner“ befinde. Dass viele dieser Kleingartenareale, die früher meist nur von der Stadt gepachtet waren, unter der Ära eines Wohnbaustadtrats Faymann an die Nutzer verkauft wurden, ist für Seiß ohnehin eine der größten Katastrophen der „nicht vorhandenen“ Wiener Bodenpolitik.

Dabei hätte die Stadt Wien eben genau aus dem Grund, dass sie – jedenfalls seiner Ansicht nach – gar keine Hochhäuser bräuchte, im Umgang mit potenziellen Turmbauherren eine sehr gute Verhandlungsbasis. Sie könnte also die Bedingungen diktieren. Dass sie das nicht bzw. viel zu selten tut, wurde nicht nur in Seiß’ Ausführungen (nachzulesen auch in seinem uneingeschränkt empfehlenswerten Buch Wer baut Wien? ) klar, sondern auch in manchem Statement aus dem Publikum der Fachdebatte. Viel zu leicht sei es Entwicklern in der Stadt möglich, umgekehrt dieser ihren Willen aufzuzwingen, mit dem Argument, dass man eine bestimmte Höhe brauche, um mit den Kosten durchzukommen. Dass sich manche Entwicklung also anders nicht rechnen würde.

Auch der Stadtforscher Rudolf Kohoutek, der mit Mayrhofer, Seiß und dem Schweizer Architekten Patrick Gmür das Podium der Fachdebatte im ORF-Radiokulturhaus bildete, unterstützte diese Ansicht. „Wien hat immer gleich die Panik, dass Investoren abspringen, sobald man ihnen klare Regeln gibt.“ Spätere Abänderungen von einmal beschlossenen Bebauungsplänen, wie etwa beim DC Tower passiert, seien zwar nicht per se schlecht, bedürften aber besserer Argumente.

Kohoutek gab zu, dass er den von Dominique Perrault geplanten DC Tower auf der Donauplatte ebenso wie den Sofitel-Turm von Jean Nouvel am Donaukanal zumindest ästhetisch für gelungen erachtet. Für Seiß änderte das nichts daran, dass man „mit neuen Bürotürmen nur Büroleerstand“ produziere.

Der Schweizer Gmür gab Einblicke, wie der Turmbau in Zürich abläuft. Seine Ausführungen ließen manche Wiener im Publikum neidisch werden: zwingende Architekturwettbewerbe, transparente Mehrwertabschöpfung im Falle von Aufzonungen (also wenn höher gewidmet wird) von mindestens 20 Prozent (in Zürich wünscht man sich sogar 50 Prozent, eine Debatte darüber findet aktuell statt) und generell eine Verwaltung, die nicht unhinterfragt umsetzt, was die Politik ihr vorschreibt. Die Politik denke nämlich grundsätzlich „nur in Legislaturperioden“, da sei eine starke Stadtverwaltung sehr wichtig, betonte Gmür.

„Urbane Anreicherung“

In Wien experimentiert man seit 2014 mit städtebaulichen Verträgen; klare Vorgaben, wie viel Prozent vom Mehrwert durch die Aufzonung abgeführt werden müssen, fehlen aber bzw. sind rechtlich nicht möglich. Ebenso vage sind für Seiß die Vorgaben aus dem „Fachkonzept Hochhäuser“, das ebenfalls 2014 überarbeitet wurde. Hochhäuser sind darin nämlich auch innerhalb der sogenannten konsolidierten Stadt, also etwa im Gründerzeitviertel, als „punktuelle Schwerpunktsetzungen“, als „das Umfeld belebende Systembrüche“ oder auch als „urbane Anreicherung“ vielerorts möglich, zählte Seiß ein paar der dort zu findenden Formulierungen auf. So sei die Wiener Hochhausplanung „plan- und konzeptlos“, und sie folge einer „standörtlichen Beliebigkeit“. Auch für Architekt Mayrhofer macht das Hochhauskonzept zwar durchaus diverse Vorgaben zu Prozessabläufen, „bleibt aber bezüglich Standorten völlig unverbindlich“.

Was könnte man nun also besser machen in Wien oder vielleicht sogar lernen von Zürich?

„Je höher gebaut werden soll, desto strenger müssen die Bedingungen sein“, umriss Gmür ein in der Schweiz geltendes Dogma. Vor allem aber müssten sich auch die Architekten mehr engagieren, so Gmür. Und auch Mayrhofer nahm seine Zunft in die Pflicht: „Wir haben sehr gute Planer in der Stadt. Wenn wir vereint auftreten, haben wir gute Chancen, dass die Stadtplanung besser wird.“

Ob das Hochhaus freilich ob der höheren Kosten von zumindest zehn bis 15 Prozent gegenüber einem Wohngebäude einer niedrigeren Bauklasse jemals mehr sein kann als ein Minderheitenprogramm für finanziell Bessergestellte, ist fraglich. Gesichtslose Schlafstädte aus „Wohnsilos“, wie man sie vor allem aus Osteuropa kennt, will niemand haben. Vom anderen Extrem, einer klugen, umsichtigen, transparenten Hochhausplanung, ist Wien aus Sicht der Planer aber auch weit entfernt.

Die nächste Fachdebatte der Reihe „Stadt finden“ der Architektenkammer findet am 13. November statt.

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