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Gondeln nach nirgendwo
Der Standard

Vergangene Woche wurde der Planlos Award 2017 verliehen. Der erste Preis ging an die Stadtplanung der Stadt Graz und deren Bürgermeister. Doch nicht nur an der Mur liegt die Planungskultur im Argen.

28. Oktober 2017 - Maik Novotny
Planung ist eine langfristige und mühsame Angelegenheit. Fachleute haben dafür den Begriff des Planungshorizonts, und oft liegt dieser so weit in der Ferne, dass er nur mit dem Fernglas erkennbar ist. Zwischen erstem gezeichnetem Strich, Spatenstich und Banddurchschneiden wechseln Personen und Legislaturperioden, ändern sich Gesetze. Verständlich also, dass sich Bürgermeister freuen, wenn jemand bei ihnen anklopft, eine fertige Idee auf den Bürgermeistertisch legt, und man nicht das ganze mühsame Geplane selbst machen muss. Daran ist an sich nichts Schlechtes, denn Menschen haben oft gute Ideen. Die Frage ist, ob die Öffentlichkeit, die der Bürgermeister vertritt, von diesen Ideen profitiert.

Was passiert, wenn Investoren einen Bürgermeister mit schlechten Ideen erfolgreich umgarnen, beschreibt der britische Architekt und Kritiker Douglas Murphy in seinem soeben erschienenen Buch Nincompoopolis. Der klangvoll schöne englische Begriff Nincompoop (Einfaltspinsel) bezeichnet in diesem Fall Außenminister Boris Johnson. Dieser war in seiner Amtszeit als Londoner Bürgermeister (2008 bis 2016) für eine ganze Reihe teurer Nonsensprojekte verantwortlich. Manche davon, wie die Emirates Cable Car – eine Seilbahn von nirgendwo nach nirgendwo –, wurden realisiert. Andere, wie die Garden Bridge, eine mit hübschen grünen Bildchen als öffentliche Bereicherung angepriesene Privatbrücke über die Themse, wurden von seinem Nachfolger Sadiq Khan frühzeitig entsorgt.

Von Planung kann bei solchen willfährigen Schlingerkursen nicht die Rede sein. Die Kritik daran ist keine ästhetische, sondern eine moralische. Wenn ein Bauwerk wie ein unerwarteter Gast am falschen Ort auftaucht, kann es noch so schön gekleidet sein. Zu fragen ist, wie und warum diese Bauwerke zustande kommen, und ob die Politik ihre Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit wahrnimmt und ihr transparent erklärt, welchen Weg zum Horizont man einzuschlagen gedenkt.

Ästhetik und Moral

In Österreich, wo das Politische gern als Privatsache angesehen wird, besteht oft ein besonderer Unwille, solche Routen zu beschreiben. Gern wird das mit dem Sinowatz’schen Hinweis begründet, die Welt sei eben sehr kompliziert geworden. Also werden bisweilen Wettbewerbe ausgeschrieben, ohne genau zu definieren, was man will. Gern wird dann betont, man wolle „die Kreativität der Architekten nicht beschränken“ – einer der beiden österreichischen Standardsätze, bei denen alle Alarmglocken schrillen sollten. Übersetzt heißt er: Wir wollen uns zu nichts verpflichten und uns alle Türen offen halten. Ihm folgt meist der zweite Alarmsatz, der da lautet: „Wir werden uns das in Ruhe anschauen.“ Dass dieses „wir“ die Öffentlichkeit, die man vertritt, eher nicht inkludiert und der Satz schlicht bedeutet: „Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen“, muss man kaum erwähnen.

Architekten haben übrigens überhaupt kein Problem damit, mit Einschränkungen umzugehen, denn diese fordern ihre Kreativität erst heraus. Auch Investoren haben kein Problem damit, mit Einschränkungen umzugehen, denn wenn diese klar formuliert sind, füllt das ihre Excel-Listen mit konkreten Zahlen. Man nennt es Planungssicherheit. Sie ist eine gute Sache.

Weil es mit dieser Sicherheit immer wieder im Argen liegt, gibt es den Planlos Award, der vorige Woche zum vierten Mal von der IG Architektur (Interessengemeinschaft Architekturschaffender) vergeben wurde. Aus den 23 von der Öffentlichkeit nominierten Kandidaten wählte die Jury drei Preisträger aus (Offenlegung: Der Autor dieser Zeilen war Mitglied der Jury). Auch hier ging es nicht um ein ästhetisches Urteil, sondern um Nachvollziehbarkeit, Angemessenheit und Transparenz.

Darunter der Austria Campus in Wien, bei dem sich die um die Jahrtausendwende entstandene städtebauliche Totgeburt der Baublöcke an der Lassallestraße in zweiter Reihe zu wiederholen scheint. Statt der anfangs geplanten gemischten Nutzung entsteht hier ein weiterer Geldparkplatz der globalen Finanzwirtschaft, und diese Verschubware auf den Tauschbörsen der Immobilienmessen verschiebt sich leichter, wenn keine lästigen Bewohner und gemischten Nutzungen mitverschoben werden müssen. Kein Wunder, dass der Campus schon vor seiner Fertigstellung mehrmals den Besitzer gewechselt hat. Es droht eine städtebauliche Wüste, in der die Stadtplanung verdurstet, bevor sie den Planungshorizont erreicht hat.

Tiefgarage im Feinstaub

Nicht bei Bürokomplexen, sondern bei der Infrastruktur wurde die Planlosigkeit beim ersten Preisträger geortet. Die Stadt Graz und Bürgermeister Siegfried Nagl wurden gleich mehrfach nominiert: für das geplante Murkraftwerk, die Idee einer Murgondel als Transportmittel und die ebenso kuriose Idee einer automatischen Tiefgarage mitten in der Stadt. Dass dies keine Einzelfälle sind, sondern ein Gesamtbild, erschließt sich vor dem Hintergrund des ebenfalls nominierten Stadtentwicklungsgebiets Reininghaus, in dem bereits die ersten Bewohner eingezogen sind, während die versprochene Straßenbahnanbindung in weite Ferne gerückt ist und hinter dem Planungshorizont zu verschwinden droht. Welches Mobilitätskonzept einer riesigen Gondelstation mitten im Weltkulturerbe und einer Tiefgarage mitten im Feinstaub zugrunde liegt, blieb rätselhaft. Christian Köberl, Referent für Stadtplanung im Bürgermeisteramt der Stadt Graz, äußerte sich auf Anfrage des STANDARD wenig glücklich über die Auszeichnung: „Mit Verwunderung haben wir den Preis zur Kenntnis genommen, doch wenig überrascht, da sich in der Jury Unterstützer der Rettet-die-Mur-Bewegung wiederfinden. Hätte man sich ein wenig die Mühe angetan, zu den Projekten Reininghaus, Smart City und der Stadtteilentwicklung rund um das Murkraftwerk zu recherchieren, dann hätte auch die Jury erkannt, welchen Mehrwert alle Projekte für die Grazer und Grazerinnen mit sich bringen. Ich empfinde den Preis als Beleidigung aller Architekten, die in Graz hervorragende Architektur und moderne Freiräume planen.“

Dass es in Graz solche Architektur und solche Freiräume gibt, steht außer Frage. Doch ob man diesen und der Öffentlichkeit einen Dienst erweist, indem man auf dem Weg zum Horizont einen Slalom zwischen plakativen, aber zusammenhanglosen Ideen absteckt? Planung ist ein langer, mühsamer Weg. Mit einer Fata Morgana am Weg wird er nicht leichter.

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