Jean Nouvel baut ein monumentales Kunstmuseum für die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate. Der Besuch ist eine zwiespältige Erfahrung und stellt das kritische Bewusstsein auf die Probe.
Der Architekt Jean Nouvel hat einen Planeten aus den Tiefen des Meeres aufsteigen lassen. Eine Kuppel aus vernetzten Stahlschichten liegt vor der Küste Abu Dhabis. Vielleicht hat die Erde auch Nachwuchs bekommen. Wer weiss das schon.
Innerhalb von nur fünfzig Jahren wurde Abu Dhabi aus dem Boden gestampft. Die Skyline der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate erreicht zwar nicht die Höhe des benachbarten Dubai, besteht aber wie Manhattan, dessen Grundriss sie imitiert, vor allem aus Hochhäusern, die die Erde wie Säulen mit dem Reich der Götter, dem schönen blauen Himmel verbinden. Das neue kulturelle Wahrzeichen der Vereinigten Arabischen Emirate nun verabschiedet sich aus diesem architektonischen Panorama des Kapitals, steigt aus. Von anderen aufgekratzten Museumsbauten wie dem Guggenheim in Bilbao von Frank Gehry will sich diese Halbkugel auch abgrenzen.
Vor genau zwanzig Jahren wurde Gehrys glänzendes Riesenufo eröffnet, das aussieht, als sei es bei seiner Landung am Flussufer in Spanien zersprungen. Schnell wurde es zur ikonischen Manifestation des Standortwettbewerbs, den jede Stadt rund um den Globus durch neue spektakuläre Architektur gewinnen will. Auch Abu Dhabi machte kein Hehl daraus, die Kultur zum neuen Geschäftsfeld der Emirate auserkoren zu haben. «Vielleicht werden wir in fünfzig Jahren den letzten Tropfen Öl verkaufen», sagte der Kronprinz Mohammed bin Zayed Anfang 2015. «Werden wir darüber traurig sein? Wenn wir jetzt richtig investieren, werden wir diesen Moment feiern.»
Geld sollte in die Insel Saadiyat fliessen, das stand schon vor zehn Jahren fest: Eine Reihe von Museen, gebaut von Pritzker-Preisträger-Architekten, sollte den sogenannten Bilbao-Effekt erzielen: Norman Foster, das Büro der verstorbenen Zaha Hadid, Tadao Ando, Jean Nouvel und Frank Gehry, selbstverständlich, werden Touristen und Investoren schon anlocken. Auch der Import der Marken Guggenheim und Louvre war von Anfang an erwünscht und überraschte eigentlich niemanden, der die Region kennt: Alles, was es in Abu Dhabi gibt, vom Krankenhausbett über die Autos bis hin zum Gemüse, wird aus dem Ausland importiert. In den Shoppingmalls fühlt man sich mit H&M, Dior, Hugo Boss und Co. fast wie in den Kommerztempeln zu Hause.
Schockiert war der Westen eher über den Deal, dem die französischen Präsidenten seit 2007 alle fröhlich zustimmten. Für fast eine Milliarde Euro verleiht der Staat für einen Zeitraum von dreissig Jahren den Namen des weltberühmten Musée du Louvre sowie das Recht auf Leihgaben aus 13 Museen wie dem Centre Pompidou, dem Musée d’Orsay oder dem Musée Rodin. Das Personal der Grande Nation würde den Emirati ausserdem mit ihrem Expertenwissen zur Seite stehen und Sonderausstellungen für das neue Museum in Abu Dhabi kuratieren.
Von «Ausverkauf der Seele» war vor allem in Frankreich die Rede und vom «Missbrauch der Kultur für politische Zwecke». Zwei Jahre nach dem Vertragsabschluss eröffnete Frankreich im Jahr 2009 denn auch einen Militärstützpunkt in Abu Dhabi, den ersten seit dem Ende der Kolonialära ausserhalb seiner früheren Einflusszone. Man könnte das auch Geben und Nehmen nennen.
Für einen Architekten aus Frankreich waren das die denkbar schlechtesten Voraussetzungen: Noch vor Baubeginn scheint das Museum dazu verdammt gewesen zu sein, das Ende der Freiheit der Kunst zu symbolisieren. Kaum hatten die Bauarbeiten begonnen, berichteten Menschenrechtsorganisationen über die schlechten Bedingungen, unter denen die Wanderarbeiter aus Bangladesh, Pakistan, Indien oder von den Philippinen in den Emiraten schuften und leben, Künstler riefen zum Boykott auf. Trotzdem wurde immer weiter gebaut, Jean Nouvel ist nun der einzige unter den Architekten, der einen Bau auf der Museumsinsel Saadiyat für Abu Dhabi fertiggestellt hat.
Zur Eröffnung fällt es nicht leicht, sich über die Architektur aufzuregen: Hier schiesst kein Phallus aus dem Boden, hier explodiert kein Beton. Die Kuppel legt sich schützend über die Kunstgalerien und hat nichts mit den protzigen und marmorbeladenen Palästen und Hotels gemein, die man sonst aus der Region kennt. Sonnenstrahlen, die durch das Kuppelnetz dringen, vergolden den Ort. Das türkisblaue Wasser plätschert zu den Füssen der Besucher und reflektiert das Licht. Freundlicher Wind schickt die Hitze zurück in die Wüste. Es gibt weitläufige Plätze und zwischen den weissen Gebäudequadern Springbrunnen und Wasserbassins. Man schlendert durch eine monumentale Medina, die dem Minimalismus und der Moderne verschrieben ist. Nur die Massstäbe sind aus der Zeit gefallen.
In 55 Gebäuden werden auf 6400 Quadratmetern 620 Ausstellungsobjekte gezeigt und eine Geschichte der Menschheit eingerahmt, die 10 000 v. Chr. beginnt und im Jahr 2016 endet. Auf in Bronze eingelassenen Steinböden und Lederteppichen aus Italien, Belgien und Oman stehen Sarkophage und Skulpturen aus Ägypten, Nigeria oder Jordanien. In gläsernen Vitrinen werden Statuen, Masken, heilige Schriften, Reliefs, Teller und Schüsseln aus Japan, China oder Syrien ausgestellt. An weissen Wänden hängen Gemälde, Teppiche, Zeichnungen, Drucke aus Italien, der Türkei oder Frankreich.
Es sind nicht die grössten Meisterwerke, die Frankreich herausgerückt hat: Statt auf die «Venus von Milo» trifft man hier etwa auf «Athena» und statt auf Leonardo da Vincis «Mona Lisa» auf sein Porträt einer Frau namens «La Belle Ferronnière». Aber nichts täuscht darüber hinweg, dass die Scheichs eine ebenso imposante Kunstsammlung präsentieren möchten wie die Museen in Frankreich oder Grossbritannien.
2013 zeigten sie zum ersten Mal einen Teil ihrer bereits üppigen Sammlung, die nun so lange vergrössert wird, bis sie das Museum und die Depots füllt. Für über 20 Millionen Dollar erwarb Abu Dhabi ein Gemälde von Piet Mondrian, das vorher zur Sammlung von Yves Saint Laurent gehört hatte. Über Einkaufspreise von Kunstgegenständen aus der Antike, dem alten Ägypten, über die Preise von Alten Meistern bis hin zum Preis eines grossen Kronleuchters von Ai Weiwei kann man nur spekulieren. Für den Museumsbau wurden Jean Nouvel jedenfalls keine Budgetgrenzen auferlegt.
Soll man deshalb Angst vor dem Parvenü vom Golf haben, der sich unsere Kunstwerke aneignet? Oder sich über die Zweitklassigkeit der Kunst lustig machen? Soll man sich darüber freuen, dass das ganze Geld, das Frankreich für die paar Leihgaben bekommt, dessen Museen sanieren kann? Oder soll man die moralische Überlegenheit des Abendlandes gegenüber einem Golfstaat ausspielen, der sein Ölgeld grossspurig in Prestige und auf dem Rücken von Wanderarbeitern investiert? Man verwickelt sich unversehens in Widersprüche.
Die Geschichte des Museums beginnt in Frankreich ja nicht mit dem Sieg des Bürgertums und den Errungenschaften der Moderne, dem Salon des Refusés. Im Louvre hausten die Könige des Landes, die die Kunstsammlung der Grande Nation begründeten und die Napoleon Bonaparte während seiner Feldzüge und Expeditionen erweiterte. Kaum einer der Kunstgegenstände, die wir aus unseren Museen mit ihren aussereuropäischen, ethnologischen, asiatischen und afrikanischen Sammlungen kennen, kann eine moralisch einwandfreie Provenienz vorweisen. Schockiert ist der Gast in diesem Museum deshalb wohl eher von der Schamlosigkeit, mit der von dem Kaufrecht Gebrauch gemacht wird: Geld regiert, so billig das klingt, so klar wird das an diesem wunderschönen Ort und wenn man den vermeintlich kritischen Stimmen aus dem Westen zuhören muss.
Mit grossem Pathos sagte Jean Luc Martinez, der Präsident des Musée du Louvre aus Paris, auf der Eröffnungspressekonferenz dem «Fanatismus» und den «Barbaren» den Kampf an und versprach, dass der Louvre Abu Dhabi die «richtige Antwort auf die Gewalt» sei. Ja er liess sogar verlauten, dass die Historiker seines Landes zur Besinnung gekommen seien: Die Kolonialgeschichte dürfe zugunsten eines kollektiven Weltgedächtnisses ruhen. Die Ausstellung solle ein «neues Licht auf die Humanität» werfen, zu jeder Zeit und an jedem Ort hätten die Menschen mit Kunst gezeigt, dass sie glaubten, sich fortpflanzten, in Familien lebten und Häusern bauten, handelten, reisten, stürben.
Vor allem für Globetrotter, die auf eine globalisierte Gemeinschaft hoffen, muss das wie eine Droge wirken. Aber wer sich in den Rausch solcher Erleuchtung und in den Bann dieser atemberaubenden Architektur ziehen lässt, bezahlt mit nicht weniger als dem Erbe der Aufklärung. Das kritische Bewusstsein muss zwar keiner bei den Sicherheitsbeamten am Eingang lassen, aber in der Präsentation dieser Sammlungsgegenstände aus der ganzen Welt wird es hart auf die Probe gestellt. Wer die Konflikte der Gegenwart, historische Religions-, Rassen- oder Weltkriege, Revolutionen, Emanzipationsbewegungen von Arbeitern, Frauen oder Schwulen nicht vergessen möchte, muss der schönen Oberfläche dieser Ästhetik widerstehen können.