Öko und Techno – im Städtebau kein Widerspruch

Zwei Denkschulen haben sich im Blick auf die Stadt der Zukunft herausgebildet. Faktisch lassen sich das Konzept der Smart City und jenes der Ökostadt auf vielversprechende Weise zur Deckung bringen.

Scott Sampson
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Da haben wir den Salat! Auch Vertical Farming passt in die smarte Ökostadt. (Bild: Valcenteu / Wikimedia)

Da haben wir den Salat! Auch Vertical Farming passt in die smarte Ökostadt. (Bild: Valcenteu / Wikimedia)

In Feuilletons und Leitartikeln wird heftig über die Neuerfindung der Städte des 21. Jahrhunderts debattiert. Die diesbezüglichen Prozesse und Perspektiven sind zu einem der prominentesten gesellschaftlichen Themen geworden – und das aus gutem Grund.

Seit 2008 leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts werden die Städte für beinahe 90 Prozent des Bevölkerungswachstums und für 60 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich sein. Einerseits funktionieren diese geschäftigen Knotenpunkte des menschlichen Lebens als Zentren der Innovation auf unserem Planeten; andererseits verursachen sie den Löwenanteil der Umweltverschmutzung.

Nach manchen Schätzungen gehen auf die heutigen Städte um die 75 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses zurück, zudem sind sie für zahllose andere Schadstoffemissionen verantwortlich. Die Städte verschlingen weite Flächen von Wald, Ackerland sowie anderer Landschaft, sie verpesten Flüsse, Meere und Böden. Kurz gesagt: Falls wir Städte nicht bald richtig bauen, ist eine gesunde Zukunft für die Menschheit kaum vorstellbar, ganz zu schweigen von einer gesunden Biosphäre.

Smart oder grün?

Wenn ich es richtig sehe, lassen sich die Standpunkte zur Neuerfindung der Städte grossenteils zwei Lagern zuordnen. Die eine Seite ruft nach «smarten», «digitalen» oder «hochtechnisierten» Lösungen für den Städtebau. Der Schwerpunkt liegt auf den Informations- und Kommunikationstechnologien mit dem Potenzial, die Funktionsweise urbaner Räume zu verbessern. Angeheizt von dem ständig wachsenden Datenmaterial über Städte (zum Klima, zu den Verkehrsströmen, zum Grad der Umweltverschmutzung, zum Ausmass des Energieverbrauchs usw.), haben sich mehrere Schlüsselbereiche herausgeschält, die als mögliche Anwendungsfelder für Hightech-Eingriffe herangezogen werden; dazu zählen etwa die Bewegungsmuster von Menschen, die Verteilung von Energie, Nahrung und Wasser, der Umgang mit Müll.

Die Befürworter stellen sich sprechende Städte vor, die für ihre Bewohner Live-Updates über die Umweltverschmutzung, das Parkieren, den Verkehr sowie die Wasser-, Strom- und Energieversorgung bereitstellen. Dank Erfindungen wie Ultra-Low-Power-Sensoren und webbasierten drahtlosen Netzwerken werden Smart Cities bald schon Wirklichkeit sein.

Das andere Lager klärt uns über den Bedarf an «grünen», «biophilen» oder sogar «wilden» Städten auf, in denen die Natur erhalten, wiederhergestellt und wertgeschätzt wird. Selbstverständlich waren Städte immer schon Orte, an denen das Wilde gerade nicht wohnt und die dazu entworfen wurden, die Menschen durch Mauern von der Natur zu trennen.

Eine wachsende Zahl aktueller Forschungsergebnisse belegt jedoch die für die Gesundheit positive Wirkung des Kontakts mit der städtischen Natur. Zu den Vorteilen zählen die Abnahme von Stress, ein gestärktes Immunsystem und erhöhte Konzentrationsfähigkeit. Noch wichtiger sind vielleicht die physischen, psychischen und emotionalen Pluspunkte, die offenbar so wichtig für eine gesunde Kindheit sind. Die Befürworter grüner Städte argumentieren zudem, dass viele der dringendsten Fragen unserer Zeit, darunter der Klimawandel, das Artensterben und der Habitatsverlust, gar nicht angegangen werden können, solange der Mensch die Natur um ihn herum nicht versteht und schützt.

Kein Widerspruch

Da haben Sie es also: Big Data gegen Mutter Natur – zwei Ansichten über die Zukunft der Städte, die allem Anschein nach an entgegengesetzten Enden des Spektrums angesiedelt sind. Die eine Seite schätzt technische Innovation; die andere die Weisheit der Natur und die Bindung zu ebendieser. Schaut man jedoch genauer hin, fällt auf, dass diese beiden Sichtweisen sich keinesfalls ausschliessen. In Wirklichkeit ergänzen sie sich sogar.

Eine Stadt kann durchaus gleichzeitig hochtechnisiert und reich an Natur sein. Heutzutage behauptet kaum noch ein Anhänger grüner Städte, wir müssten «zurück zur Natur». Stattdessen setzen sich die Vertreter dieser Denkschule für eine Zukunft ein, die gleichermassen von Technologie wie von Biologie bestimmt ist. Man prägt neue Begriffe wie «technobiophile Städte» oder «Nature Smart Cities», um dieses Mischkonzept zu beschreiben: urbane Räume, in denen die biologische ebenso wie die digitale Welt willkommen sind.

Ja, in Nature Smart Cities wird es eine Menge begrünter Dächer, begrünter Mauern und vernetzter begrünter Räume geben. Die Aussaat heimischer Pflanzen zieht heimische Insekten an, die wiederum heimische Vögel sowie andere Tierarten anlocken und Hinter-, Innen- und Schulhöfe in Miniatur-Ökosysteme verwandeln. Diese Kleinode urbaner Natur verbessern nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern sind für Unmengen bedrohter Arten die letzte Hoffnung.

Darüber hinaus vermögen reich begrünte Städte intelligente Technologien vollauf nutzbar zu machen, die den Bewohnern der Stadt beim Umstieg auf erneuerbare Energien wie Wind- und Wasserenergie oder bei der Nutzung von Erdwärme helfen. Das grüne Verkehrswesen reduziert den CO2-Ausstoss und verbessert den Umweltschutz. Grüne Gebäude können wie Bäume funktionieren, weil sie mit Solarenergie betrieben werden und Abfall wiederverwerten. Städte arbeiten dann wie Wälder.

Mitverantwortung

Interessanterweise betonen beide Sichtweisen bezüglich unserer gemeinsamen urbanen Zukunft die Bedeutung einer informierten und engagierten Bürgerschaft. Es könnte gut sein, dass die Digitaltechnologien und Big Data den Menschen tatsächlich die Kontrolle zurückgeben, beispielsweise in Form erhöhter Partizipation an der Kommunalpolitik («E-Governance»).

Darüber hinaus können ganz normale Bürger als Laienwissenschafter oder Laiennaturkundler wichtige Aufgaben bei der Wiederherstellung der urbanen Tier- und Pflanzenwelt übernehmen, indem sie Arten beobachten und Anpassungen vornehmen, um Qualität und Quantität der Natur um sie herum zu verbessern. Wir haben hier also eine Möglichkeit, den Menschen zu helfen, auf der Basis fundierter wissenschaftlicher Daten zu handeln (und nebenbei noch das wissenschaftliche Verständnis zu fördern).

Das Nachdenken über die Zukunft unserer Städte ist sehr viel mehr als nur heisse Luft. Zumindest im urbanen Raum können Mutter Natur und Big Data hervorragende Bettgefährten abgeben. Tatsächlich hängt vielleicht nicht nur unser Überleben, sondern ein Grossteil der Biodiversität unseres Planeten davon ab, dass diese Ehe vollzogen wird. Sollte sie gelingen, werden wir die Geburt einer neuen Stadt erleben – einer Stadt, in der die Menschheit ebenso blüht und gedeiht wie die Natur.

Scott Sampson ist Vizepräsident der Abteilung Forschung und Sammlung am Denver Museum of Nature and Science, Paläontologe und Wissenschaftsvermittler. Der obige Aufsatz wurde für www.edge.org verfasst und wird 2018 in einem Sammelband beim S.-Fischer-Verlag erscheinen. Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff.