Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 11|2017
Wohnen im Alter
db deutsche bauzeitung 11|2017
Im Grunde ist es einfach: Fast jeder ältere Mensch möchte gerne möglichst lange als sein eigener Herr in der angestammten Umgebung bleiben, in verträglichen Dosen Geselligkeit ­genießen und sich bei der Selbstversorgung möglichst wenig helfen lassen müssen. Es geht um Würde und Selbstbestimmung.

Entsprechend gibt es Forderungen nach einer massiven Deinstitutionalisierung des Pflegesystems, nach mehr dezentral organisierter, ambulanter, individuell angefragter Pflege zu Hause, bis hin zum radikalen Ruf nach der kompletten Auflösung der Altenheime. Diese Forderungen gründen weniger auf dem Kostendruck, der auf den Heimen lastet, als vielmehr auf der Erfahrung, dass Pflege allzu oft mit Bevormundung einhergeht: Pfleger, Verbände, Kontrolleure und Gesetzgeber, selbst gutmeinende Planer regieren – mit den besten Absichten, aber eben ungefragt – in den Alltag erwachsener Menschen hinein. So wie Angehörige, die das Fehlen mancher Hilfs- und v. a. Überwachungsmittel leicht als eine Art unterlassene Hilfeleistung empfinden und, emotional involviert, nur schwer die Balance zwischen unterstützen und sich zurücknehmen finden.

Mit der derzeitigen Zahl altengerechter Wohnungen und ambulanter Pflegeleistungen lässt sich freilich noch kein Staat machen. Einzelne Wohnungsunternehmen haben zwar bereits ­damit angefangen, bei nötigen Sanierungen die altersgerechte Anpassung gleich mit zu er­ledigen, mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein lässt sich darin jedoch nicht erkennen.

Immerhin kursiert unter Investoren die Meinung, dass es sich bei Pflegeimmobilien um den »hidden champion« künftiger Anlageklassen handelt. Man geht z.B. davon aus, dass in Deutschland bis 2030 wegen der geburtenstarken Jahrgänge und wegen verschärfter Landesheimgesetze zum Bestand von 13.000 etwa 3.000 zusätzliche Pflegeheime benötigt werden. Und man nimmt auch gleich die Nachnutzung der Immobilien als Hotels, Apartmenthäuser oder ­altersgerechtes Wohnen in den Blick, da der Bedarf an Pflegedienstleistungen bereits ab 2050 wieder deutlich sinken wird. Bis dahin gilt selbst in ländlichen Regionen das altersgerechte Wohnen als lukrativer Wachstumsmarkt.

Bei entsprechender Kanalisierung könnte dies den Heimträgern zugutekommen, die bei Neu- und Umbau wegen der gestiegenen Baukosten extrem knapp rechnen müssen, zumal die Pflegekassen derzeit Rücklagen für die härteren Zeiten bilden und reichlich vorhandene Mittel zurückhalten.

Es besteht aber auch die Gefahr, dass beim Bau von Heimen und v. a. von altengerechten Wohnungen zwar die Werbefloskeln immer blumiger werden, die sinnfällige Wohnflächenreduktion sich allerdings nicht in günstigen Preisen niederschlägt, sondern eher die Standards zu sinken drohen, … während die Rendite steigt und steigt.

Insgesamt lassen sich deutliche Verbesserungen darin erkennen, wie unsere Gesellschaft sich den Umgang mit ihren ältesten Mitgliedern vorstellt. Die Zeiten, in denen man pflegebedürftige Senioren als Krankheitsfälle definierte und entsprechend behandelte, sind vorbei. Konzepte vom Zusammenleben in Wohngruppen, wie sie vor zehn Jahren noch erst ausprobiert wurden, sind in neuen Heimen heute Standard. Der Wechsel von der Versorgungs- zur Mitwirkungsgesellschaft ist im Gange – zumal politisch geboten. Die Architektur versucht, mit vielfältigen und flexiblen Raumangeboten den individuellen und situationsbedingten ­Bedürfnissen zwischen Vereinzelung und Geselligkeit gerecht zu werden – einige Beispiele dazu sehen Sie auf den folgenden Seiten.

Wenn die Wohnungswirtschaft nun mitzieht und altersgerechtes Bauen nicht als Mehrausgabe fürchtet, sondern flexibel nutzbare Bautypologien als Standard für alle Generationen an­erkennt, dann werden die Pflegeheime deshalb sicher nicht überflüssig, viel mehr alte ­Menschen aber eine freie Wahl haben, wie und wo sie ihr Leben beschließen wollen. | Achim Geissinger

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