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Kraftvoll und zurückhaltend

Kulturhistorisches Zentrum Westmünsterland in Vreden

So ein Stück Architektur erwartet man nicht in der Provinz. Glückwunsch an die Stadt Vreden: In einer sorgfältigen Mischung aus angemessenen Lösungen für die Erfordernisse des alten Städtchens und eigenständigem Stil haben Pool Leber Architekten aus München mit dem Kulturhistorischen Zentrum »kult« ganz selbstverständlich die Aufgabe erfüllt, die Mitte der Stadt zu reparieren und einen Identifikationsort für Bürger und Besucher zu schaffen.

1. Dezember 2017 - Dagmar Ruhnau
Der Neubau des Kulturhistorischen Zentrums »kult« steht am zentralsten Ort von Vreden. Hier treffen die wichtigsten historischen Bereiche der Stadt auf­einander: der ehemalige Immunitätsbereich eines Damenstifts, das im 9. Jahrhundert gegründet wurde, und die alte Handels- und Hafenstadt Vreden. Zugleich ist dies die Mitte der zurzeit entstehenden Kulturachse, die die moderne Stadt stärker zusammenbinden soll. Seit Längerem verfolgt die Verwaltung das Ziel, die ruhige Kleinstadt an der niederländischen Grenze zu modernisieren.

Leitidee ist, die kulturellen Kostbarkeiten aus Vredens 1200-jähriger Geschichte durch eine »Kulturachse« zu verbinden, kommerzielle Nutzungen dagegen örtlich klar zu beschränken. Die Kulturachse führt, keinen Kilometer lang, vom Marktplatz aus über den Platz zwischen der Stiftskirche, der Pfarrkirche St. Georg und dem neuen, zentralen Stadtbaustein kult, hinweg über den Stadtgraben und das Flüsschen Berkel, durch dessen Au und bis hin zur markanten Rundsporthalle aus Sichtbeton, die auch für Konzerte genutzt wird. In der Berkel befand sich über Jahrhunderte hinweg ein Hafen, wichtiger Umschlagplatz für hochwertigen Sandstein und Textilien aus dem Münsterland sowie Waren aus den Niederlanden, z. B. Delfter Fliesen; noch heute ist im flachen Wasser seine Form auszumachen. Auch durch Sprache und historische Lebensumstände waren und sind Westmünster- und Niederländer eng verbunden, und es ist ganz normal, zu einem Tagesausflug mal eben über die Grenze zu kommen.

Die erste Annäherung von der Flussseite hinterließ bei den Architekten einen prägenden Eindruck, erzählt Martin Pool: Nebel stand über den Gewässern, dahinter ragten die Kirchen und die Dächer der Häuser auf – das von vielen niederländischen und flämischen Bilder bekannte Motiv, »vom Land in die Stadt« zu kommen. Diese mittelalterliche Stadtstruktur war denn auch für den Entwurf entscheidend.

Heterogene Einheit

Vom Mittelalter ist zwar der Stadtgrundriss erhalten geblieben, jedoch fast keine Bauwerke. Die britischen Luftangriffe vom März 1945 haben u. a. die Stiftskirche sowie ein kurzes Stück Stadtmauer mit Armenhaus und Pulverturm aus dem 14. bzw. 16. Jahrhundert überdauert. Diese erhielten in den 70er Jahren Anbauten, außerdem wurden auf dem teilweise aufgeschütteten Stadtgraben in den 70er und 80er Jahren Neubauten errichtet, die das Landeskundliche Institut Westmünsterland und das regionalhistorische Hamaland-Museum, zu dem noch das Bauernhaus-Freilichtmuseum in der Berkelaue gehört, umfassten. Ein Zusammenhang zwischen diesen stadthistorischen Standorten war trotz des kompakten Stadtkerns kaum wahrzunehmen, denn mittendrin, am zentralen Platz der Stadt, machte sich ein Jugendheim breit. Die Entscheidung, dieses abzureißen, war richtig und essenziell.

Der Platz ist nun von einer austarierten Gruppe raumbildender, voluminöser Einzelbauten umstanden und markiert deutlich das Zentrum der Stadt. Wie sehr, zeigte sich beim Richtfest: Platz und angrenzende Grünfläche waren von Bürgern belagert, was Pfarrer und Gemeindemitarbeiter sehr überraschte. Von einer eher privaten Nische hat sich der Bereich – wie geplant – zum belebten Aufenthaltsort gewandelt. Das Pfarrhaus, ein typisches Einfamilienhaus aus rotem Klinker, früher zwischen Kirchen und Jugendheim ­sicher richtig, wirkt nun allerdings etwas fehl am Platz.

Der Museumsneubau vorne am Platz dockt jetzt an den 80er-Jahre-Bau an, der wiederum mit dem Armenhaus und dem Pulverturm verbunden ist. Diese Verkettung holt den etwas abgelegenen Rest Stadtmauer wirkungsvoll nach vorne ins Zentrum. Richtung Stadtgraben wurde die Öffnung zwischen 70er- und 80er-Jahre-Bauten geschlossen. Dadurch entstand ein kleinerer innerer Hof, der eine Betrachtung des auf seine ursprüngliche Erscheinung zurückgeführten Armenhauses ermöglicht und zugleich als Tageslichtquelle dient.

Ursprünglich hatten die Architekten vor, die Fassaden aus den 70er und 80er Jahren zu belassen, dies wäre aber zu unruhig geworden. Nun überziehen Kohlebrandklinker eines regionalen Herstellers fast das gesamte Gebäude. Obwohl damit sehr lange Fassaden entstanden sind, kommt nirgends Monotonie auf. Einerseits werden in den Altbauten zeittypische, auch zuvor bereits vorhandene Elemente aufgegriffen, andererseits setzen sich die einzelnen Baukörper durch Bewegungen in der Fassade und v. a. in den Dächern voneinander ab. Mit spannendem Ergebnis: Das Ensemble changiert – sowohl nach außen als auch im Innern – zwischen »großes Gebäude« und »kleine Stadt«.

Neben viel mehr Raum für die Exponate des Hamaland-Museums (Hamaland bezeichnet in etwa die historische hiesige Region, deren größerer Teil heute niederländisch ist) wird das Ensemble verbesserte Arbeits- und Studierbedingungen für die Nutzer der bestehenden landeskundlichen Institute bieten; die Verwaltung der Kultur- und Kreispflege sitzt hier, die beispielsweise für (auch grenzüberschreitende) Bildungsveranstaltungen zuständig ist, außerdem wurden das Stadtarchiv Vreden und das Kreisarchiv Borken zusammengeführt (Stadt und Kreis teilten sich auch die Baukosten im Verhältnis 30:70). Nicht zuletzt bietet das kult Räume für öffentliche Veranstaltungen. Daher auch der Name des neuen Stadtbausteins: »kult« als Akronym für »Kultur und lebendige Tradition«. Diese Nutzungsvielfalt war teils ganz pragmatisch durch Förderbedingungen des Landes Nordrhein-Westfalen bedingt (Museen allein werden nicht gefördert). V. a. aber gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen durch die Zusammenlegung deutlich effektiver und dynamischer als zuvor.

Lebendiges Wechselspiel

Zentraler Raum des Neubaus ist das Foyer, das zugleich als Teil der Kultur­achse konzipiert ist. Und tatsächlich fließt der Außenbereich durch den luf­tigen und sehr hellen Raum hindurch – selbst die beiden Eingänge wirken als gleichwertige Tore, der jeweiligen Annäherung angemessen. Wie der Platz vor dem Haus dient auch das Foyer als Verteiler in alle Richtungen: Von hier aus ist das vielteilige Ensemble durch den direkten Blick tief ins Gebäude und nach oben bis unters Dach sogleich zu erfassen. Obwohl es über drei Geschosse offen ist, hat es eine exzellente Akustik und sich damit als gefragter Raum für Konzerte, Lesungen und Versammlungen etabliert.

So, wie es jetzt ist – dreigeschossig und mit großem Oberlicht –, thematisiert das Foyer auch die zwei wichtigsten Abweichungen vom 2013 ausgeschriebenen Wettbewerb, die sich das (zunächst zweitplatzierte) Büro erlaubte. Es war geplant, eine fensterlose Ausstellungsebene quer durch das 1. OG aller Häuser zu legen. Die Architekten konnten jedoch die Bauherren davon überzeugen, dass es klüger sei, ­jedes Haus als Einheit zu belassen – nicht nur von der historischen Integrität her, sondern auch klimatisch und konstruktiv. Letztlich erwies sich diese ­Variante im VOF-Verfahren auch als kostengünstiger – u. a. weil so viel Bausubstanz wie möglich belassen wurde, bis hin zu gut erhaltenen Bodenfliesen in den 70er-Jahre-Bauten. Um genügend Ausstellungsfläche zu erhalten, schlugen die Architekten zwei gestapelte Ebenen vor. Eine elegante Lösung, denn so bekamen die beiden Schwerpunkte des Museums, die weltliche Stadt und das ehemalige Stift, einen jeweils eigenen Bereich. Das bedeutete allerdings auch, dass der jetzt dreigeschossige Kopfbau gegenüber den Kirchen stärker ins Gewicht fallen würde. Doch dem wirkten die Architekten mit einigen klugen Eingriffen entgegen: mit der niedrigen Eingangszone, den graubraunen Klinkern und den zwei unterschiedlich geneigten Dächern – zum Platz hin flacher, in die Straße zu den anderen Gebäuden hinein steiler. All das erfüllt trotz des großen Volumens das Ziel der ­Architekten, ein »Hintergrundgebäude« zu schaffen. Zugleich kopieren diese Dächer nicht einfach das Vorhandene – sie passen zur Handschrift, die den gesamten Neubau durchzieht und damit das Museumsgebäude als eigenständige Einheit ausweist.

Präzise Inszenierungen

Die wertvollen Ausstellungsstücke und ihr Schutz vor UV-Licht bedingten die zweite ursprüngliche Forderung der Bauherren nach einer »Black Box«. Es war aber auch gewünscht, den Bau auf die Kirchen bzw. den Berkelhafen zu beziehen. Nonchalant schlugen die Architekten vier große Fenster vor, die ­genau diese Blicke inszenieren. Und der Parcours der Ausstellungsgestalter Thöner von Wolffersdorff, Augsburg, bindet sie thematisch perfekt ein – zur großen Begeisterung der stellvertretenden Leiterin des kult, Ulrike Brandt. Die Abbildung eines »Berkelzomp« etwa, ein flaches Boot, ist in Original­größe – knapp 13 m – auf die lange Außenwand direkt neben die Fenster gesetzt. Aus diesen sieht man das Hafenbecken, in Wirklichkeit und durch Ferngläser, in denen per Animation Schiffe auf dem Flüsschen segeln. Außer den Fenstern versorgt das zentrale Treppenhaus die Ausstellungsräume mit Licht, das durch Öffnungen sowie Stellwände gefiltert wird.

Hierdurch entstehen in überraschender Unmittelbarkeit nebeneinander sehr unterschiedliche Grade von Intimität und Offenheit. Besonders wirkungsvoll ist das rund um das wertvollste Stück der Sammlung gelungen. Die sogenannte Sixtus-Kasel, ein über 1 000 Jahre altes Messgewand des Heiligen Sixtus, dürfte eigentlich gar kein Licht treffen. Der Raum, der eigens für sie geschaffen wurde, hat komplett schwarze Wände und einen sehr dunklen Fußboden. Erst wenn man ihn betritt, wird die Kasel extrem sparsam beleuchtet. Doch nur ein paar Schritte trennen diese konzentrierte Dunkelheit vom hellsten Punkt des Gebäudes: den beiden wandhohen Fenstern, die die zwei Kirchengebäude inszenieren. Überwältigend!

Effektvolle Reduktion ist ein durchgängiges Merkmal der Ausstellung und ­ergänzt damit den Museumsbau perfekt. So ist auch die zweite Seite des DG gestaltet: Der rund 6 m hohe Raum ist durch eine endlos lange, extrem schlanke Betonstütze geteilt, die den Blick wie in klassischen Kathedralen nach oben bis unter den First lenkt. In der gesamten Ausstellung werden ­bewusst nur ausgewählte Stücke gezeigt, die umso größere Aufmerksamkeit erfahren. Manche Themen sind mit Absicht auch nur überblicksweise angerissen, weil sich in der Region eine andere Institution auf eins davon spezialisiert hat. Der regionale Bezug definiert diesen Ort auch noch anderweitig: Die Erläuterungstexte stehen auf Deutsch und – nein, nicht Englisch – Niederländisch an den Wänden.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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