Bauwerk

Active Energy Building Vaduz
Falkeis Architects - Vaduz (FL) - 2017
Active Energy Building Vaduz, Foto: Faruk Pinjo
Active Energy Building Vaduz, Foto: Faruk Pinjo

Wohnen im Forscherkittel

Das Active Energy Building in Vaduz, Liechtenstein, ist Resultat eines technischen Experiments. Dem Projekt des Wiener Büros Falkeis Architects ging eine jahrelange Forschungs- und Entwicklungsarbeit voraus. Ein Blick in den Wahnsinn.

9. Dezember 2017 - Wojciech Czaja
Es ist, als wäre soeben ein silbrig-schokobraunes Ufo im kleinen Fürstentum gelandet. Während im Hintergrund der neugotische Kirchturm zu St. Florin in den Rheintalhimmel ragt und sich um einen Hauch historischer Präsenz bemüht (ziemlich vergeblich), macht sich in Vaduz am Gerberweg 1 ein hyperfuturistisches Wohnhaus breit, von dem man schon jetzt sicher sein kann, dass es wie ein heiliger Gral durch die internationale Forschungs- und Technologielandschaft gereicht werden wird.

Das Active Energy Building (a.e.b.) in Liechtenstein ist Resultat eines jahrelangen Experiments mit teilweise ungewissem Ausgang, an dem der Wiener Architekt Anton Falkeis und seine Frau Cornelia Falkeis-Senn mit viel Eifer und einer gehörigen Portion Optimismus herumgeforscht und herumgetüftelt haben. Zum Einsatz kamen nicht nur neue Konstruktionsprinzipien und innovative Heiz- und Kühltechnologien, sondern auch eigens entwickelte, hochbelastbare Betonmischungen, selbst entworfene Fotovoltaik-Tracker auf dem Dach sowie sogenannte Phase Change Materials (PCM), die als Speicher fungieren und den technischen Effizienzgrad des Hauses massiv erhöhen.

„Wir hatten einen offenen, neugierigen, innovativen Bauherrn, der uns von der ersten Minute an gefordert hat und der bereit war, sich mit uns auf ein Experiment einzulassen“, sagt Cornelia Falkeis-Senn, die für das a.e.b. eine ganze Parade an Patenten angemeldet hat. „Wir gehen von einem angewandten Forschungsbegriff aus. Das, was wir machen, ist keine rein akademische Forschung, sondern eine, die sich stets aus dem konkreten Objekt und aus den konkreten Anforderungen heraus entwickelt.“

Mehr als 800 Detailpläne waren nötig, um das a.e.b. baubar zu machen. Ganz zu schweigen von der Entwicklungsarbeit und den unzähligen Simulationen und Labortests, die zu einem Großteil in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern erfolgten. Für viele Produkt- und Materialentwicklungen musste lange Zeit nach einem passenden Industriepartner gesucht werden. „Die Baubranche ist tendenziell konservativ, es hat viel Überzeugungsarbeit gebraucht, um Produzenten dafür zu gewinnen, etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes auszuprobieren“, so Falkeis-Senn.

Eine der größten und ungewöhnlichsten Errungenschaften ist der Einsatz von PCM. Phase Change Materials sind Stoffe, die im Bereich der üblichen Umgebungstemperaturen in der Lage sind, ihren Aggregatzustand zu wechseln, also zu vereisen, zu verdampfen oder sich zu verflüssigen. Durch den Übertritt von einem Aggregatzustand in den anderen kann – im Gegensatz zu herkömmlichen Speichermedien wie etwa Wasser oder Salzlösungen – die bis zu fünffache Energiemenge gespeichert werden. Üblicherweise kommen PCM in der Medizin (Kühl- und Wärmekissen) sowie im Automobil- und Anlagenbau (Kühlakkus, Solarthermie) zum Einsatz.

Im Active Energy Building sind insgesamt acht Tonnen Paraffin verbaut. In diesen schwergewichtigen Dimensionen fand PCM noch nie zuvor den Weg in die Baubranche. Es ist eine Weltpremiere. Je nach Sonnenstand, je nach Tages- und Nachtzeit klappen in den obersten zwei Stockwerken mobile Flügel auf, die sich entweder zur Sonne oder zum nächtlichen Sternenhimmel recken und das Paraffin bei 32 Grad Celsius verflüssigen beziehungsweise bei 21 Grad Celsius gefrieren lassen. Im zugeklappten Zustand kann die Wärme- und Kälteenergie über Lufttauscher direkt ins Lüftungssystem gespeist werden. Auf diese Weise kann der Heiz- und Kühlbedarf des Hauses um rund 25 Prozent reduziert werden.

„Die meisten Paraffinhersteller am Markt haben uns davon abgeraten, weil sie meinten, das Gebiet sei kaum noch erforscht und es an Erfahrungswerten mangle“, erinnert sich Anton Falkeis, der mehr als drei Jahre Entwicklungsarbeit in diese Technologie investiert hat. Mit allen Höhen und Tiefen, wie er sagt. Sogar die Abfüllanlage, mittels der die wachsähnliche Masse in die mobilen Flügel eingebracht wurde, musste erst einmal von einem Maschinenbauingenieur aus dem eigenen Team entwickelt werden. Falkeis, lapidar: „Architektur hört niemals auf.“

Neben den beweglichen Paraffinspeichern an der Fassade gibt es Geothermie, Grundwassernutzung sowie aktive und passive solare Nutzung. Die gesamte Südseite sowie ein Großteil der Dachfläche sind mit Fotovoltaikpaneelen verkleidet (Leistungsvolumen 32,4 kW Peak). Um die Stromgewinnung zu erhöhen, sind die PV-Elemente mit einem Solar-Tracker ausgestattet. Dieser ist mit der meteorologischen Station verbunden und hat die exakt errechneten Sonnenstandskoordinaten bis ins Jahr 2117 eingespeichert. Dank der Motoren, die wie eine Sonnenblume exakt dem Sonnenverlauf folgen, indem sie die Paneele drehen, hochklappen und im Fünf-Minuten-Takt hydraulisch nachjustieren, kann die Stromausbeute um fast 300 Prozent gesteigert werden.

Die Liste an Entwicklungen und Erforschungen ließe sich endlos fortsetzen, sie umfasst Neuerungen im Stahlbau, in der Betonqualität und in der Schalungstechnologie. Das schlägt sich freilich auch in den Baukosten nieder, die vom Auftraggeber jedoch streng geheim gehalten werden. „Das ist ein Privatgebäude mit insgesamt zwölf Mietwohnungen, die wir auf dem freien Markt vergeben, und daher sind auch die Errichtungskosten Privatsache“, sagt Bauherr Florian Marxer, der sich in diesem Projekt nicht zuletzt als Förderer und Ermöglicher betrachtet. „Ich kann nur so viel verraten: Das Budget war extrem hoch. Das hängt auch damit zusammen, dass wir hier Entwicklungsarbeit geleistet und einen Prototyp errichtet haben, den es auf der Welt kein zweites Mal gibt.“

Ist das Active Energy Building nun ein manifest gewordenes Forschungsprojekt? Oder doch auch ein baukultureller Beitrag zur Zukunft des Wohnens? Darüber lässt sich streiten. So vielfältig die Reaktionen unter den Passanten sind, so unterschiedlich werden auch die architektonischen Urteile in der Fachwelt ausfallen. Doch unbestritten ist, dass Anton Falkeis und Cornelia Falkeis-Senn kraft ihres Wahnsinns einen Beitrag zur Material- und Bautechnologieforschung geleistet haben, der weltweit einzigartig ist. Genau daran muss das schier unbezahlbare Projekt gemessen werden.

Die Reise nach Vaduz erfolgte auf Einladung von Familie Marxer und Falkeis Architects.

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