Stoppt die Rolltreppen! Überlegungen zu einer ärgerlichen Erfindung

Vor 125 Jahren ging die erste Rolltreppe in Betrieb. Seither verführt das Gerät die Menschen zur Bequemlichkeit.

Claudia Mäder
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Stehen statt gehen: Auf Rolltreppen kommt die menschliche Dynamik ins Stocken. (Bild: KEYSTONE/Gaetan Bally)

Stehen statt gehen: Auf Rolltreppen kommt die menschliche Dynamik ins Stocken. (Bild: KEYSTONE/Gaetan Bally)

Rolltreppen sind Realität gewordene Albträume. Wie sehr man seine Beine auch bewegt, wie sehr man sich müht und nach vorne strebt – vom Fleck kommt man nicht. Eine eigene Richtung einzuschlagen, haben wir ja längst schon aufgegeben: Wer immer den kindlichen Versuch unternimmt, sich der Masse entgegenzustellen und aufwärtszugehen statt abwärtszufahren, muss auf der Rolltreppe gnadenlos scheitern. Im günstigsten Fall ist eine Form von Stillstand zu erreichen, in jedem Fall sind diverse Ausdrücke von Missbilligung zu ernten.

Doch selbst wenn man sich dem Richtungszwang der Rolltreppe fügt, bleibt in der Regel jeder Eigenantrieb stecken und der tätige Mensch zum Treten am Ort verdammt. Seine Beine sind blockiert; reihenweise stehen dem Vorwärtskommen Leute im Weg, die aus unerklärlichen Gründen Gefallen daran finden, sich für ein paar Höhenmeter einer Maschine zu überantworten. Lieber lassen sie sich reglos nach oben befördern, als eigene Kräfte fürs Weiterkommen einzusetzen.

Der Mensch als Transportware

Das war nicht immer so. Zur Zeit ihrer Erfindung löste die Rolltreppe wenig Begeisterung aus. Ein erstes Patent für «umlaufende Treppen» blieb in der Mitte des 19. Jahrhunderts folgenlos – die Städte waren noch nicht bevölkerungsreich und die Häuser noch nicht hoch genug, als dass die Notwendigkeit dieses neuen Massentransportmittels eingeleuchtet hätte. Als schliesslich vor 125 Jahren, am 16. Januar 1893, eine New Yorker Bahnstation die erste «endlose schräge Wandelbahn» in Betrieb nahm, war das Publikum skeptisch. Das vorerst noch stufenlose Modell erinnerte die Zeitgenossen an die Fliess- und Förderbänder, die sie aus der industriellen Produktion von Konservendosen und Schweinssteaks kannten, und die Vorstellung, sich selber wie eine Ware als Stückgut von einer Rolltreppe transportieren zu lassen, war den Menschen damals nicht sehr behaglich.

Als kuriose Attraktion wurde 1895 ein «Transportband für Menschen» im Vergnügungspark von Coney Island aufgestellt. Und als Herausforderung für die Kunden breiteten sich die Rolltreppen bald in den allmählich aufkommenden Warenhäusern aus: Bei Harrods reichte man den einkaufenden Damen und Herren Riechsalz und Brandy, wenn sie nach der furchteinflössenden Fahrt auf dem Förderband wieder festen Boden unter den Füssen hatten. Diesen freilich erreichten längst nicht alle Passagiere unbeschadet. Immer wieder kam es in der Frühzeit der Rolltreppen zu Unfällen, weil die Leute den Auf- oder Abstieg nicht recht bewältigten und mit Fingern oder Händen in den offenen Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine steckenblieben.

Triumph der Bequemlichkeit

Heute scheint die Lücke geschlossen – die meisten Menschen sind ganz mit den rollenden Monstern verwachsen und fügen sich ohne jeden Gedanken ein in ihren trägen Takt. Apathisch erwarten sie das Ende einer Reise, die sich genauso gut zu Fuss absolvieren liesse. Die Furcht vor der Verdinglichung ist der Freude an der Bequemlichkeit gewichen, und die Rasanz der Moderne, der es doch eigentlich entstammt, ist an dem Gerät offensichtlich genauso spurlos vorübergegangen wie an seinen Nutzern.

Stehen statt gehen, lautet die Devise, laufen tut wenig und rund rein gar nichts auf diesem Band: Anstatt den Menschen zum raschen Voranschreiten zu bewegen, stellt es ihm Koffer in den Weg, anstatt seine ungestüme Dynamik zu steigern, bremst es ihn in Einerkolonnen aus. Kurz, das Einzige, was auf diesem Ding zuverlässig Fahrt aufnimmt, ist der Ärger über seine Existenz.