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Was vom Werke übrig blieb
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Die Glanzstofffabrik in Sankt Pölten: Ab 1905 war sie weltweit die zweitgrößte Produzentin von Viskosefasern, 2008 kam das Aus. Wo große Teile des Werkareals abgerissen wurden, sind heute Wohnungen und Arbeitsräume geplant. Und auch die Kunst hat sich des ehemaligen Werks angenommen.

5. Januar 2018 - Iris Meder
„Bau d. Wasserreinigers Karl Fellerer Linz“, informiert ein Schild am Baugerüst des Wasserturms. Die Bauarbeiter haben sich am Fuß des Turms zu einem Gruppenfoto versammelt. Wir schreiben das Jahr 1905. In Viehofen bei St. Pölten wird das Werk der Ersten österreichischen Glanzstoff-Fabrik A.G. errichtet, ein riesiger festungsartiger Komplex mit drei zylindrischen Wassertürmen mit Spitzkegeldächern, die die Eckpunkte der Anlage markieren und später das einprägsame neusachliche Logo der Firma bilden werden. Ist auch der Kupferschmied Karl Fellerer auf dem Foto? Nahm er vielleicht einmal seinen halbwüchsigen Sohn, den späteren Architekten Max Fellerer, mit auf die Baustelle?

„Glanzstoff“, vulgo Kunstseide, war eine bahnbrechende Erfindung der Jahrhundertwende. Eines der unterschiedlichen Herstellungsverfahren hatten sich der aus der Südsteiermark stammende Johann Urban und der Deutsche Max Fremery 1897 patentieren lassen. Für ihre zart schimmernde Kupferkunstseide auf Zellulosebasis erfanden sie den Namen „Glanzstoff“, um allen Assoziationen zur Künstlichkeit billiger Ersatzstoffe das Versprechen eines neuartigen, besseren Materials entgegenzusetzen.

Als ein Zollabkommen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die Wareneinfuhr aus Deutschland erschwerte, entschlossen sich die Gründer der Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG zum Bau eines Werks in Österreich. Aus Kosten- und Logistikgründen wurde es in Viehofen angesiedelt – mit ausreichend Wasser und über einen eigenen Schienenweg an die Trasse der Westbahn angeschlossen. In elegante Gärten gebettete Villen für Direktoren und leitende Angestellte ergänzten das Produktionsareal ebenso wie von der Gemeinde geforderte Arbeiterwohnhäuser. Architekten waren der Leiter des städtischen Bauamtes, Josef Prokop, und der Bauunternehmer Richard Frauenfeld. Das Werk stellte schließlich bis zu 12.000 Tonnen Viskosefasern pro Jahr her, zeitweise war es der zweitgrößte Produzent der Welt. Im Ersten Weltkrieg wurde ein Teil des Geländes von der Torpedofabrik Whitehead genutzt, und auch der „Glanzstoff“ war weniger friedlich als sein Name, produzierte man doch Garne für Fallschirme und Kartuschbeutel für Granaten. Und auch „die Glanzstoff“ galt als Dreckschleuder – dem höchsten Fabrikschlot des Landes entstieg schwefelig-fauliger Pesthauch, giftige Substanzen entwichen nicht nur in die Luft, sondern kontaminierten auch Boden und Grundwasser. Besonders in den 1960er- und 1970er-Jahren kam hochgiftiges Asbest zum Einsatz, Sulfate, FCKW, Zink und Schwefelwasserstoff reicherten sich im Boden an.

St. Pölten, dem Viehofen 1923 eingemeindet wurde, blieb dem wichtigsten Arbeitgeber der Stadt mehr als ein Jahrhundert lang in Hassliebe verbunden. Man überstand Wirtschaftskrisen, temporäre Schließzeiten, die NS-Zeit mit der Beschäftigung zahlreicher Zwangsarbeiter, eine drohende Sprengung, den Abtransport der Hälfte des Maschinenparks durch die Rote Armee, Reparationszahlungen, mehrere Produktionsumstellungen sowie Stilllegungspläne. 1993 war ein Konkurs nicht mehr abzuwenden. Das endgültige Aus kam 2008 nach einem Brand der Abluftreinigungsanlage. Die neuen Emissionsauflagen erfüllte das Werk, das unterdessen als sauberste Viskosefertigung der Welt galt, nicht mehr. In dem, was von den Hallen und den Verwaltungsbauten blieb, sind heute keine Maschinen mehr zu finden. Nach diversen Firmenumschichtungen gehört der Rest des Werks heute zu einer Holding, die am ehemaligen Standort 15 Mitarbeiter beschäftigt. 2009 wurde der große Schornstein gesprengt.

Große Teile des Werksareals wurden abgerissen, der verbliebene Rest wurde unter Denkmalschutz gestellt. Wo einst die Direktorenvilla gegenüber dem Werksareal stand, ist heute eine Brachfläche. Das Wiener Architekturbüro F+P Architekten/Sepp Frank erstellte einen Masterplan für den Bau von 1300 Wohnungen und Raum für 1000 Arbeitsplätze. 2015 setzte sich Felix Mitterers Theaterstück „Glanzstoff“ an zwölf simultanen Plätzen auf dem Areal mit der Geschichte des Ortes auseinander. Peter Noever brachte sich mit einem Kunst- und Designkonzept ein. Die 2500 Quadratmeter große historische Produktionshalle war von 2012 bis zu deren Umzug in einen Neubau im Jahr 2015 ein Standort der New Design University. Die Geschichte des Glanzstoff-Areals ist typisch für postindustrielle Areale der Gegenwart. Für die Geschichte des 15 Hektar großen Glanzstoff-Areals beginnt jedenfalls eine neue Phase, die von Wohnen und Arbeiten unter anderen als den historischen Prämissen geprägt sein wird, ähnlich wie etwa die historischen Areale ehemaliger Stahlwerke heute (teil)öffentlichen Mischnutzungen dienen.

Die jüngste Intervention auf dem Gelände ist die Eröffnung von Brigitte Kowanz' permanenter Installation „Fountain“. Aus Kowanz' eingehender Beschäftigung mit dem Ort und seiner Geschichte ging eine letztlich auf maximale Einfachheit reduzierte Intervention hervor: Ein weißer Lichtstrahl, aus der Nähe betrachtet sind es drei parallele, ergießt sich in elegantem Schwung aus der Spitze eines der drei Fellerer'schen Wassertürme in das Erdreich. Nach diversen Zubauten und dem Abriss jüngerer Anfügungen ist der Turm nun in die heterogene Struktur einer unverputzten Außenwand, die einmal eine Innenwand war, integriert, ein wenig hilflos in der Wand steckend, auf einem teils abgeräumten, teils bebauten Gelände, das seiner Zukunft harrt. Die glatte Materialität des Metallbogens mit seinen schlanken Lichtröhren kontrastiert mit den rauen Oberflächen der Wände, den nun im Freien liegenden, bröckelnden Böden ehemaliger Innenräume und den unkrautbewachsenen Schotterfeldern der Abrissflächen. Ein Zeichen der Hoffnung, wenn man so will.

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