Kommentar

Das biedere Herz Zürichs

Die Zürcher Politik will das Globusprovisorium abbrechen und dafür ein Pärklein anlegen. Das zeugt von mangelndem Geschichtsbewusstsein und ist städtebaulich völlig verfehlt.

Adi Kälin
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Die grosse Leere, von der die Politik träumt, gab es in den fünfziger Jahren schon – nach dem Abbruch des alten «Globus». (Bild: BAZ)

Die grosse Leere, von der die Politik träumt, gab es in den fünfziger Jahren schon – nach dem Abbruch des alten «Globus». (Bild: BAZ)

Was ist in den letzten sechzig Jahren nicht alles ersonnen worden, um das Globusprovisorium zu ersetzen! Es gab schlichte Zweckbauten, moderne Geschäftshäuser mit ausladenden Zeltdächern, durch Brücken verbundene Gebäudekomplexe, Hochhäuser. Internationale Architekturstars zerbrachen sich den Kopf, Nutzungen aller Art wurden geprüft: vom Tourismusbüro über ein Kultur- und Begegnungszentrum bis zur offenen Markthalle. Und jetzt kommen Gemeinde- und Stadtrat und ersetzen das Globusprovisorium durch: nichts!

Typisch Zürich, möchte man sagen: Wenn etwas im Stadtbild stört, gestaltet man ein gefälliges Plätzchen mit Bänklein, Abfall-Hai und Robidog. Die Zürcherin und der Zürcher lieben es eben aus- und aufgeräumt. Die letzten etwas schäbigeren Nischen fallen dem «Zürcher Finish» zum Opfer, die Ballenbergisierung der Stadt schreitet voran. Und nun trifft es also das Globusprovisorium: Der Zürcher Stadtrat hat diese Woche gezeigt, wie er sich das Papierwerdareal nach Abbruch des Globusprovisoriums vorstellt: Auf wunderschönen Visualisierungen sieht man, wie die Leere mit ein paar Bäumen, Bänken und Sonnenschirmen kaschiert wird. Der Beifall liess nicht lange auf sich warten.

«Freie Limmat, freie Sicht»

Die Visualisierungen zeigen auch genau das, was erzürnte Bürger 1951 auf Abstimmungsinseraten verbreiteten. Sie wollten mit einer Motion verhindern, dass Ersatz geschaffen wird für das abgebrochene Globus-Warenhaus. Der Neubau war zwar zwei Jahre zuvor bewilligt worden, nun waren aber Pläne aufgetaucht, die ein höheres und längeres Gebäude zeigten und entsprechend für Empörung sorgten. «Freie Limmat, freie Sicht!», riefen nun die Motionäre. Man wolle den Kindern lieber eine schöne Grünanlage als einen «Betonkoloss» hinterlassen. Dazu war auf den Inseraten das idyllische Bild eines Pärkleins mit Bäumen und ganz vielen Vögeln zu sehen. Es war die Stunde der Populisten: Einzelne Parteileute, von Kommunisten bis BGBlern, kämpften für die «freie Limmat», während sich die offizielle Politik zurückhielt und namhafte Architekten zusammen mit der NZZ auf verlorenem Posten gegen die Motion kämpften.

Die Forderung traf aber auch exakt den Zeitgeist: Am Ende des Zweiten Weltkriegs war Zürich in ein wahres Abbruch- und Ausräumfieber geraten: Jahrhundertelang hatten die Bauten des unteren und oberen Mühlestegs das Stadtbild geprägt. Jetzt musste alles weg! Ab 1943 war der obere Mühlesteg dran, ab 1949 der untere. Das Bauverbot für den «Globus» passte da gut ins Bild. Am 25. Februar 1951 wurde die Motion mit einem Ja-Anteil von 57,1 Prozent angenommen. Der Stadtrat bewilligte den Bau in der Folge nur als Provisorium, damit das Warenhaus irgendwo unterkommen konnte, während der Neubau an der Bahnhofstrasse entstand. 1960 wurde das Globusprovisorium gebaut, 1968 hätte es – weil die Konzession auslief – wieder abgebrochen werden sollen. In aller Eile wurde allerdings eine neue Abstimmung angesetzt, um das Provisorium nicht sofort beseitigen zu müssen. Diesmal setzte sich der Stadtrat durch, und die NZZ konnte «das Ende der freien Limmat» bejubeln, das sie immer als «Irrlehre» gebrandmarkt hatte.

Bei der breiten Bevölkerung war die (negative) Meinung über das Globusprovisorium rasch gemacht: Von «Bretterbude» bis «Schandfleck» reichten die Bezeichnungen.

Tatsächlich ist die Idee der «freien Limmat» historisch und städtebaulich völlig verfehlt und hat in der kurzen Zeit, in der sie offizielle Politik der Stadt war, einigen Schaden angerichtet. Sie verhinderte nicht nur eine sinnvolle und architektonisch einleuchtende Überbauung des Papierwerdareals. 1962 fiel ihr auch die Fleischhalle zum Opfer, die 1866 erbaut worden war und damals in einem Reiseführer als eine «wahre Zierde der Stadt» gepriesen wurde. Auch in diesem Fall wehrte sich eine Gruppe engagierter Architekten gegen den Abbruch, der unter anderem mit dem Mehrverkehr am Limmatquai begründet worden war. Und auch in diesem Fall war der Widerstand letztlich vergebens.

Die Stadt am und im Fluss

Die einst so zahlreichen Bauten in der Limmat waren typisch für Zürich. Hier mussten die Flüsse eben arbeiten – um einen Slogan der Kantonalbank etwas umzudeuten. An der Sihl entstanden zahlreiche Kanäle, die Mühlen und Maschinen antrieben. An der Limmat lagen von alters her viele Handwerksbetriebe, die auf die Wasserkraft angewiesen waren. Auch wichtige öffentliche Gebäude wurden in den Fluss oder an dessen Ufer gebaut: Wasserkirche, Helmhaus, Hauptwache oder Fleischhalle. Der Kern der alten Flussstadt Zürich war die Gemüsebrücke, die lange die einzige fahrbare Verbindung zwischen links- und rechtsufriger Stadt war. Gewissermassen die Brückenköpfe für diesen zentralen Ort waren das Rathaus auf der einen, das Haus zum Schwert auf der andern Seite. Flussabwärts bildeten die beiden Mühlestege wichtige Übergänge und Orte des öffentlichen Lebens. All dies verkannten die «Abbruchspezialisten» in den vierziger und die Leute der Aktion «freie Limmat» in den fünfziger Jahren. Und mit ihren neusten Plänen stellen sich Gemeinde- und Stadtrat jetzt in diese unrühmliche Ahnenreihe.

Die «Brückenkopf-Frage» hat übrigens vor gut zehn Jahren zu einigen politischen Verwicklungen und schliesslich zu einem höchst umstrittenen Kunstprojekt geführt. Der Architekt Ralph Baenziger hatte damals den Wettbewerb für die Umgestaltung des Limmatquais gewonnen, allerdings wurde ein wichtiger Teil seines Projekts nicht verwirklicht: ein Glaspavillon auf dem Podest vor dem Rathaus-Café, der deutlich machen sollte, dass hier nach dem Abbruch der Fleischhalle noch immer etwas fehlt. Der Stadtrat kippte den Kubus – nicht weil ihm der Mut gefehlt habe, sondern aus taktischen Gründen, wie es später hiess. Man habe den Umbau des Limmatquais nicht gefährden wollen. Ein bisschen bohrte der Vorwurf der Hasenfüssigkeit aber offenbar doch beim damals zuständigen Tiefbauvorsteher Martin Waser. Mit Hilfe eines Kunstwerks wollte er deshalb zumindest die Debatte darüber anregen, was auf dem leeren Areal der Fleischhalle baulich möglich wäre. Gewonnen wurde der Wettbewerb von einer Künstlergruppe, die einen alten Hafenkran zum Kunstwerk machte. Über den Kran wurde heftig und ausführlich gesprochen, keine Sekunde allerdings über Städtebau, Brückenköpfe und die Folgen der «freien Limmat».

Neben städtebaulichen und historischen Gründen sprechen auch architektonische gegen den übereilten Abbruch des Globusprovisoriums. Immerhin stammt es von Karl Egender, einem der bedeutendsten Schweizer Architekten des Neuen Bauens. Von Egender stammt beispielsweise das Hallenstadion, zusammen mit seinem Partner Adolf Steger hat er überdies Schule und Museum für Gestaltung entworfen. Für das Warenhaus Globus schuf Egender zum einen den geplanten (und durch die Aktion «freie Limmat» verhinderten) Ersatzneubau auf dem Papierwerdareal, später das Globusprovisorium – und schliesslich den heutigen Sitz des Warenhauses an der Bahnhofstrasse. Später hat sich Egender vor allem in Deutschland als Erbauer von Warenhäusern einen Namen gemacht.

Ein unbeliebter Bau

Das Globusprovisorium polarisiert. Bei der breiten Bevölkerung war die (negative) Meinung rasch gemacht: Von «Bretterbude» bis «Schandfleck» reichten die Bezeichnungen. Der Heimatschutz hingegen fand, es handle sich wohl um einen der schönsten Bauten Egenders, «mit leichter Hand hingezaubert, wie ein Schiff in der Limmat ankernd». Aber weil es ja tatsächlich als Provisorium konzipiert war, hoffte auch die Fachwelt auf überzeugende definitive Lösungen. Auch die NZZ hoffte, dass den Architekten wegweisende Entwürfe gelängen: «Dies wäre wohl das stärkste Argument, um auch bei anderen Brückenköpfen wieder an neue, verbindende Akzente denken zu können.»

Es kam, wie man weiss, ganz anders: Der einzige Brückenkopf, der erweitert wurde, war die Rathauswache, doch das hübsche kleine Rathaus-Café füllt in keiner Weise den riesigen Fussabdruck der einstigen Fleischhalle. Und für das Papierwerdareal wurde jahrzehntelang immer wieder geplant, doch «wegweisend» war nichts. Das sei doch das beste Argument dafür, das Globusprovisorium stehenzulassen, schrieb 2004 der Stadtzürcher Heimatschutz: Dieses sei sämtlichen neuen Plänen und Projekten immer überlegen gewesen. Natürlich muss deshalb weiterhin gelten: Das Globusprovisorium darf erst dann abgebrochen werden, wenn es durch ein besseres und überzeugenderes Bauvorhaben ersetzt werden kann. Das jetzt vorgeschlagene Plätzchen erfüllt diesen Anspruch in keiner Weise.