Bauwerk

Zubau Wotrubakirche
formann 2 puschmann - Wien (A) - 2019

Ein Lift zu Gott?

Die Wotrubakirche ist der bedeutendste moderne Sakralbau Österreichs. Wie weit darf man gehen, um sie neuen Bedürfnissen anzupassen? Über die Verheutigung einer Ikone.

10. Februar 2018
Es war einmal ein kleines Dorf, in dem stand eine Kirche, die auf der ganzen Welt berühmt war. Der Bau dieser Kirche ging auf eine außergewöhnliche Frau zurück, die in russischer Gefangenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ein Gelübde abgelegt hatte, das sie mit diesem Projekt einlösen wollte. Der Plan stammte von einem berühmten Bildhauer, der zwar selbst nicht gläubig war, aber die Entschlossenheit auf Seiten der Stifterin erkannte, etwas ebenso Zeitgemäßes wie Außergewöhnliches zu schaffen. Die Kirche wurde gebaut und wurde weltberühmt, und es entstand eine Pfarrgemeinde, die sich jahrzehntelang um den Bau kümmerte. Wenn Graffiti auf die Kirche gesprüht wurden, entfernte sie die Gemeinde, und wenn ein Fenster undicht war, dichtete man es ab.

Die Mitglieder der Gemeinde wurden älter. Viele konnten den steilen Weg zum Eingang nur noch mit Mühe gehen, einige gar nicht mehr. Da beschlossen sie, einen Weg zu finden, der es allen ermöglicht, in die Kirche zu gelangen, und der auch den Familien, die jetzt ihre Kinderwagen über die Stufen schoben, Erleichterung bringen sollte. Und da sie auch mit dem fensterlosen Gemeindesaal, der sich unter dem Kirchenschiff befand, nicht wirklich glücklich waren,wünschten sie sich einen kleinen Zusatzraum mit Licht und Ausblick.

Die Lösung war einfach gefunden: Hinter der Kirche lag ein dichter Wald, durch den man in einer Schleife einen 80 Meter kurzen Güterweg den Hang hinauf zum Hintereingang der Kirche bauen konnte. Da die meisten der Gebrechlichen sowieso mit demAuto gebracht wurden, brauchte es nur eine Wendeschleife, um die Gläubigen abzusetzen und wieder abzuholen. Der Wald lag auf öffentlichem Grund, doch der Bürgermeister war leicht zu überzeugen, den neuen Güterweg zu bewilligen. Den zusätzlichen kleinen Raum setzte man an den Waldrand, eine einfache Holzkonstruktion, von der Gemeinde im Selbstbau mit Unterstützung des örtlichen Baumeisters errichtet.

So wäre diese Geschichte wohl ausgegangen, hätte sie wirklich in einem kleinen Dorf stattgefunden. Aber wir sind in Wien, und da sind die Dinge komplizierter. Der erste Teil der Geschichte hat sich allerdings wie beschrieben zugetragen: Margarethe Ottillinger, die als Mitarbeiterin des österreichischen Wirtschaftsministeriums 1948 nach Russland verschleppt und 1955 schwer krank aus der Haft entlassen wurde, war seit 1956 im Vorstand der ÖMV, des staatlichen Mineralölkonzerns. Durch diese Position bestens mit der Politik vernetzt, betrieb sie ab 1964 den Bau einer Kirche, zuerst in Steinbach bei Mauerbach als Teil eines Karmeliterinnenklosters, später am Georgenberg in Wien am Rande des Wienerwalds. Auf Empfehlung von Prälat Leopold Ungar wurde Fritz Wotruba mit der Gestaltung beauftragt, bei der ihn zuerst Roland Rainer und schließlich Fritz Gerhard Mayr als Architekten unterstützten. Baubeginn war im Jahr 1974. Wotruba starb 1975, noch vor der Fertigstellung der Kirche im November des folgenden Jahres.

In der Kirche entstand eine sehr lebendige Gemeinde, die sich vor ein paar Jahren mit dem Problem eines besseren Zugangs auseinanderzusetzen begann. Auf dem direkt zur Kirche gehörenden Grundstück ist zu wenig Platz für eine Rampe, weshalb man auf die Idee kam, der Kirche einen verglasten Lift vorzusetzen, der über den bestehenden Zugang zur Unterkirche erreichbar sein soll. Der zusätzliche Raum wird neben diesem Zugang als eine Art Vitrine in den Hang geschoben. Der Lift führt nicht direkt in die Kirche, sondern prominent auf deren Eingangsniveau in acht Meter Abstand vor der Fassade. Hier geht es wieder ins Freie und dann um die Kirche herum zu deren Hintereingang.

Mit diesem Projekt wandte man sich ans Bundesdenkmalamt (BDA) und erhielt 2014 nach einigen Adaptierungen vom Wiener Landeskonservator Friedrich Dahm eine mündliche Befürwortung. Mitten in der weiteren Planung kam es allerdings zu einem Eklat: Fritz Gerhard Mayr hatte von dem Projekt erfahren und bewog das BDA, unter anderem mit Unterstützung des Kunstsenats, dem Projekt die Unterstützung zu entziehen.

Die Gründe dafür sind nachvollziehbar. Ein drei Meter hoher Glaskubus, der vor der Kirche aufragt, tritt zwangsläufig in einen skulpturalen Dialog mit dem Kirchenbau, der aber inhaltlich leer bleiben muss. Dasselbe gilt für die die gläserne Vitrine, die der Kirche, zumindest von Nordwesten her betrachtet, den Boden unter den Füßen wegzieht, von den als Absturzsicherung nötigen gläsernen Brüstungen ganz zu schweigen. Die Architekten Formann und Puschmann, die unter dem Kürzel f?p firmieren, haben zwar ein in den Details feines Projekt gezeichnet. Darauf kommt es hier aber nicht an: Das Projekt beschädigt schon im Ansatz die kompromisslose Aura von Wotrubas Skulptur.

Um zu klären, ob das Projekt nicht doch mit der Kirche verträglich sei, einigte sich das Bauamt der Erzdiözese Wien mit dem BDA auf die gemeinsame Beauftragung eines Gutachtens, das von Nott Caviezel, Professor für Denkmalpflege an der TU Wien und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege, im Jänner 2016 erstellt wurde. Das Gutachten empfahl dringend, vom Projekt Abstand zu nehmen und Alternativen zu suchen. Es kam daher zu einem negativen Bescheid seitens des BDA.

Nun geht es Schlag auf Schlag. Die Diözese legt Einspruch beim Bundesverwaltungsgericht ein und bringt den Fall ins Fernsehen zum Bürgeranwalt; das Gericht entscheidet im Oktober 2017 für das Projekt; der Bescheid wird damit aufgehoben, die Planung fortgesetzt. Einen Querschläger gilt es noch abzuwehren: Mario Terzic, emeritierter Professor für Landschaftsdesign an der Wiener Universität für angewandte Kunst, schlägt eine Lösung vor, die der eingangs geschilderten entspricht, eine Zufahrtsschleife den Hang hinauf über das angrenzende Grundstück, das im Besitz der Stadt Wien steht. Der aktuelle Stand: Um Fakten zu schaffen, wird die ursprüngliche, von Architekt Mayr entworfene Einfassung des Zugangs zur Unterkirche abgebrochen. Als Projektkosten sind 900.000 Euro veranschlagt, von denen noch rund 390.000 durch Spenden aufzubringen sind.

Auf Johannes XXIII. geht der Begriff des „Aggiornamento“ zurück, den man als einfühlsame Anpassung an die Erfordernisse der Gegenwart verstehen kann. Das würde die Wotrubakirche heute brauchen. Die offizielle katholische Übersetzung des Begriffs lautet aber „Verheutigung“, und die wird der Wotrubakirche gerade angetan. Auch wenn es nach jahrelangen Planungen geradezu übermenschlich klingt: Wenn die Gemeinde der Idee ihrer Kirche wirklich gerecht werden will, muss sie eine andere, bessere Lösung finden.

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