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Die Illusion des Echten
Der Standard

Vor einer Woche wurde das ehemalige Gschwandner als Reaktor wieder in Betrieb genommen. Die Sanierung des alten Ballsaals ist eine dramaturgische Punktlandung zwischen Sein und Schein.

24. Februar 2018 - Wojciech Czaja
Es geht um Höflichkeit, sagt er, er wollte einfach nur höflich sein. Das ist alles. Denn das, was alten Räumen oft angetan werde, wenn man behauptet, man saniere und repariere sie, das sei nicht nur unfreundlich, sondern auch respektlos, ja geradezu unverschämt. „Wie kommt das Alte dazu, sich dem Neuen immer nur unterordnen zu müssen?“, fragt der Wiener Filmemacher Bernhard Kammel. „Ich wollte es anders machen. Ich wollte mir anschauen, was dabei herauskommt, wenn man zur Abwechslung einmal das Neue mit dem Alten infiziert, wenn man die Seele eines Gebäudes durchs Umbauen nicht umbringt, sondern – ganz im Gegenteil – ihr noch schmeichelt.“

Das Resultat dieser ungewöhnlichen Herangehensweise lässt sich nun erleben und begutachten. Das 1877 errichtete und mehrmals erweiterte Etablissement Gschwandner in Wien-Hernals, das sich einst in Besitz der gleichnamigen Winzerfamilie befand, wurde in den letzten Monaten saniert und auf diesem Weg nicht nur einer neuen Nutzung, sondern auch gleich einem neuen Namen zugeführt. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, erinnert sich der 55-jährige Regisseur und Produzent, der das alte Gschwandner letztes Jahr noch in seinem Film Elysium Hernalsiense verewigte. „Und da die Immobilie für eine Reithalle doch ein bisschen zu klein war, musste ich mir halt etwas anderes überlegen.“

Der sogenannte Reaktor dient von nun an als Kino, Theater, Konzerthalle, Ausstellungsraum und fremdvermietbare Eventlocation. Kammels Fokus liegt auf den Sparten Film, Musik, Literatur sowie bildende und darstellende Kunst. Die neue Nutzung jedenfalls fügt sich harmonisch in die Geschichte des Hauses ein, denn der mittlerweile 140 Jahre alte, wie eine Basilika geschnittene Ballsaal diente bereits als Heuriger, als Presshaus, als Schrammellokal, als Kulturzentrum, Lagerstätte, Radiostation, Damenboxhalle, Requisitendepot und Ort für Partys, Vorträge und Flohmärkte.

„Viel Geschichte für so ein Haus, und diese Geschichte darf sich ruhig auch bemerkbar machen“, so Kammel, der das Projekt gemeinsam mit Anna Resch und Sebastian Jobst plante und realisierte. Während die alten Mauern und Decken lediglich repariert wurden, sind die neu verputzten Flächen und Wandeinbauten der Patina der letzten Jahrzehnte angepasst. Ein Team aus insgesamt fünf Kulissenmalern rund um den Wiener Bühnenbildner Rudi Czettel ging dem Mauerwerk mit Pinseln, Rollen, Spachteln, Spritzpistolen, diversen Bürsten und Kratzgeräten, ja sogar mit Flammenwerfern, die man üblicherweise für Bitumen-Abdichtungsarbeiten auf dem Dach verwendet, wochenlang an den Kragen.

„Aber Letzteres“, meint Czettel, „klingt dramatischer, als es ist. Die Bunsenbrenner hatten lediglich die Aufgabe, die feuchte Leimfarbe schneller zu trocknen und die darin enthaltenen Farbpigmente möglichst unregelmäßig um ein paar Nuancen zu verdunkeln.“ In Absprache mit dem Bundesdenkmalamt wurde ausschließlich mit Leimfarbe gearbeitet. Auf diese Weise können die darunterliegenden Farb- und Freskoschichten bei Bedarf – sollten die Interessen künftiger Eigentümer anders gelagert sein – ohne großen Aufwand wieder freigelegt werden.

Simpel, fast archaisch

Die baulichen und technischen Eingriffe sind fast unsichtbar und konzentrieren sich in erster Linie auf Licht, Türen und Boden. Bei den Lustern handelt es sich um simple, fast archaische Eisenkonstruktionen, die rundum mit handelsüblichen LED-Röhren bestückt wurden. Und unter der 15 Zentimeter dicken Estrichplatte verbergen sich eine Fußbodenheizung und eine hinter schmalen Schlitzen kaschierte Lüftungsanlage. Die Gesamtinvestitionskosten belaufen sich nach Angaben Kammels auf rund zwei Millionen Euro. In den kommenden Wochen sollen noch das ehemalige Foyer und die daran anschließenden Büroräumlichkeiten ertüchtigt werden.

„Aus denkmalpflegerischer Sicht kann ich nur sagen, dass die Sanierung des Gschwandners ein absolutes Vorzeigebeispiel ist“, erklärt Wolfgang Salcher, Landeskonservator Wien im Österreichischen Bundesdenkmalamt (BDA), auf Anfrage des Standard . „Erstens wurden ausschließlich Einbauten vorgenommen und Maßnahmen ergriffen, die wieder reversibel sind und die die darunterliegenden Schichten mit ökologischen Materialien konservieren. Und zweitens freue ich mich, dass es gelungen ist, ein unter Denkmalschutz stehendes Objekt nicht nur technisch, sondern auch atmosphärisch vollends zu erhalten. Das hat in Österreich Seltenheitswert.“

Als Beispiel für diesen „Shabby-Chic-Denkmalschutz“ nennt Salcher das Hotel Daniel in Wien (2011 von Atelier Heiss umgebaut) sowie das Neue Museum in Berlin (2009 von David Chipperfield revitalisiert). „Natürlich trifft dieser Ansatz einen bestimmten Geschmack, der in gewisser Weise nicht zu hundert Prozent authentisch ist, weil er die neuen, hinzugekommenen Teile retuschiert. Aus denkmalpflegerischer Sicht jedoch ist dieser Ansatz absolut legitim. Und aus architektonischer Sicht finde ich ihn sogar erfrischend anders. Hier ist einer der schönsten und magischsten Räume Wiens entstanden.“

Manche Architekten, hört man, kritisieren das Projekt schon jetzt als manieristisch und unauthentisch. „Authentizität ist immer auch eine Frage des Blickwinkels und des Zeitpunkts“, meint Kammel. „Ich habe mich entschieden, jenem Geist gegenüber authentisch zu sein, den ich vorgefunden habe, als ich das Gschwandner zum allerersten Mal betreten habe. Ich denke, jede Inszenierung ist legitim, wenn sie dazu beiträgt, eine authentische Rezeption zu ermöglichen.“

Das neue, alte Gschwandner ist eines der atemberaubendsten Sanierungsprojekte der letzten Jahre, weil es neue Fragen im Umgang mit Raum und Illusion aufwirft. Wenn man in der Architektur immer nur dem vielbeschworenen Material und nicht auch der Schönheit und Fantasie gegenüber authentisch gewesen wäre, würde sich die Baukunst heute um viele Facetten, um viele Epochen ärmer präsentieren.

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