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Unstabilisiert, vorfabriziert und tragend
Unstabilisiert, vorfabriziert und tragend © Atelier Alba
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„Mit Erde gebaut“ - Ausstellung im vai Vorarlberger Architektur Institut, Dornbirn

25. Februar 2018 - Martina Pfeifer Steiner
Ist uns das eigentlich bewusst? Die Geschichte des Lehmbaus beginnt im 10. Jahrtausend vor Christus, als die Menschen sesshaft wurden. Fünfzehn Prozent der UNESCO Weltkulturerbe-Stätten sind aus Lehm gebaut und ein Drittel der Weltbevölkerung, das sind zweieinhalb Mrd. Menschen, wohnt in Lehmhäusern! Höchste Zeit, dass der Lehmbau aus seiner Nische herauskommt, wo er verharrte, wo man das ganze verlorene Wissen wieder entdeckt hat und mit modernen Technologien anwendet. Im Zeitalter der Industrialisierung wurden Fragen zu Klimawandel, CO2-Emissionen, Ressourcen, zur (grauen) Energie und zum ökologischen Fußabdruck vernachlässigt bis ignoriert, die heute absolut brisant sind.

Mit dem TERRA Award, dem ersten internationalen Preis für zeitgenössische Lehmarchitektur kam nun einiges in Bewegung, indem die außergewöhnliche ästhetische und technische Qualität dieses puren Baustoffes an innovativen Gebäuden sichtbar gemacht wurde. Das konnte die Initiatorin Dominique Gauzin-Müller noch nicht absehen, als sie das interdisziplinäre Forschungsteam CRAterre (Nationales Zentrum für Lehmbau) in Grenoble kennenlernte. Seit 35 Jahren beschäftigt sie sich mit ökologischer Architektur, schrieb zahlreiche, vielbeachtete Bücher und bewirkte nicht nur mit ihrer Ausstellung „Die Leichtigkeit des Seins – Aktuelle Bauten aus Holz in Frankreich“, die vor drei Jahren auch im vai gezeigt wurde, beträchtliche Aufmerksamkeit für das nachwachsende Baumaterial. „Wenn ich die gleiche Energie zur Verbreitung von Lehm aufbringen würde ...? Das interessierte mich brennend“, erzählt Dominique Gauzin–Müller.

PR für Lehm

Ein Preis – ein Buch – eine Wanderausstellung. Das war die Idee. Doch für Lehm gibt es keine Interessensverbände oder große Firmen wie bei Holz, folglich kein Geld. Man musste kreativ sein und die richtigen Partner suchen. Unter der Schirmherrschaft des UNESCO- Lehrstuhls „Lehmarchitektur, Baukultur und nachhaltige Entwicklung“, unterstützt von der École nationale supèrieure d´architecture de Grenoble, CRAterre und dem Forschungs- und Experimentierzentrum amàco wurde also der weltweite TERRA Award ausgeschrieben, der den Mut der Bauherrschaft, die Kreativität der ArchitektInnen und die Kompetenz von Handwerk und Unternehmen feiern sollte.

„Wir konnten überhaupt nicht einschätzen, wie viele Projekte eingereicht werden würden, fünfzig oder hundert? Und dann waren es tatsächlich 357 hochkarätige zeitgenössische Lehmbauten, von allen Kontinenten, in allen Techniken, ob aus Lehmziegeln, Wellerbau, gepressten Lehmsteinen, Stampflehm oder Strohlehm“, Gauzin-Müller wundert sich heute noch.

Von einer Jury wurden dann vierzig Bauten in unterschiedlichen funktionellen Kategorien als Finalisten nominiert. Da der alle vier Jahre stattfindende Terra 2016 Welt-Kongress zum zweiten Mal in Europa und noch dazu in Lyon stattfinden sollte, war die gefinkelte Idee, die „Jury d´honneur“ zu Beginn des Kongresses durchzuführen und die Preisträger des TERRA Awards als Abschluss zu präsentieren. So war dann tatsächlich der chinesische Architekt Wang Shu, Pritzker Preisträger 2012, Jury-Präsident. Interessant, dass die Wanderausstellung und das Buch „LEHMBAU HEUTE“ mit den vierzig Nominierten bis zu dieser Großveranstaltung schon fertiggestellt war. „Es ging uns nicht darum einige wenige hervorzuheben, sondern die Fülle und Vielfalt von modernem Lehmbau zu zeigen“, sagt Dominique Gauzin-Müller.

Der Pionier

Naheliegend, dass nun einer der wichtigsten und einflussreichsten Lehmbauer auftauchen muss. Der Vorarlberger Martin Rauch ist ein Pionier in der Verarbeitung von Stampflehm. Vier der von ihm aus vorgefertigten Elementen errichteten Bauwerke sind Finalisten des TERRA Awards: das Kräuterzentrum Ricola in Laufen, das Besucherzentrum der Vogelwarte in Sempach und das Ferienhaus Plazza Pintgiain in der Schweiz sowie die Büros der Druckerei Gugler in Österreich. Ihn würdigt die Jury mit einem Sonderpreis für sein Gesamtwerk, dem Preis für technologische Innovation. „Der TERRA Award für Martin Rauch ehrt einen Künstler und Bauunternehmer, dem es gelungen ist, sich respektvoll und vollkommen auf das dem Material Lehm innewohnende großartige Potenzial einzulassen. Seine Baumethoden und seine Produktion achten den Lehm für das, was er ist: eine großzügige Gabe der Natur, ein einfaches, unverändertes und umweltschonendes Baumaterial. Martin Rauch baut mit Erde für die Erde“, hieß es in der Laudatio.

Wieder naheliegend, dass nun bei der Präsentation der TERRA Award-Wanderausstellung mit den vierzig Projekten der Finalisten und interessanten Illustrationen der verschiedenen Lehmbautechniken im vai die Arbeit Martin Rauchs und seines Teams von Lehm Ton Erde mit den Produktions- und Innovationsprozessen einen bereichernden Sonderteil darstellt. Kurator Clemens Quirin verrät, dass es auch ein Modell im Maßstab 1:50 geben wird, welches den Herstellungsprozess von Stampflehm-Fertigteilen demonstriert. Auf drei Metern Länge wird vom Material Erde weg über das Mischen, Produktion und Lagerung der Elemente schlussendlich der Aufbau einer Wand gezeigt.

Hundert Prozent

Drei Statements beinhaltet der Titel für diese Schau: unstabilisiert, vorfabriziert, tragend. Der Vorarlberger Lehmbauer bleibt immer dem unverfälschten Erdmaterial treu. Statt in der vermeintlichen Verbesserung von Materialeigenschaften durch Additive wie Zement sucht Martin Rauch neue Wege und Lösungen in der konstruktiven Gestaltung und der Bautechnik. Erde zu Erde. Seine Gebäude sind zu hundert Prozent recycelbar. Installationen, Leerrohre, Holzbalken können einfach mit Wasser herausgelöst und wiederverwendet, das Haus rückstandslos der Natur zurückgegeben werden. „Das ist nur möglich, wenn man absolut keine Zusatzstoffe zur Stabilisierung verwendet. Und will man vorgefertigte Stampflehm-Elemente ohne sichtbare Fugen zusammensetzen, funktioniert das ebenfalls nur, wenn der Lehm pur bleibt“, so Martin Rauch.

In den letzten zwanzig Jahren hat das Team sehr viel Erfahrung in der Vorfertigung von Stampflehm-Elementen gesammelt. Jedes Projekt ist ein Prototyp und die Werkzeuge und Techniken entwickelten sich an jedem einzelnen Gebäude weiter. Aufsehenerregend war die Zusammenarbeit mit den Stararchitekten Herzog & de Meuron. Die Lagerhalle für die Kräuter der Ricola-Bonbons ist mit 111 Metern Länge derzeit das größte Stampflehmgebäude Europas. Die kiesige Erde wurde vor Ort gewonnen, Mergel und Lehm kamen aus einer nahen Ziegelfabrik. Um die insgesamt 3 000 m² selbsttragende Fassade zu bauen, errichtete Lehm Ton Erde in der Nähe der Baustelle eine Fertigungsanlage wo die Wandelemente gestampft wurden. „Da ist schon viel Vertrauen und Mut bei der Bauherrschaft eine Voraussetzung, denn sie kann sich nur auf meine Expertise verlassen, wenn neue Wege begangen werden. Überzeugungsarbeit ist notwendig und mein Spruch - eine Lehmwand ist viel schwieriger zu verkaufen als eine zu bauen – kommt nicht von ungefähr“, berichtet Martin Rauch.

Perspektiven

Sein eigenes Haus in Schlins war in dieser Hinsicht ein beruflicher Meilenstein. Dieses gilt international als Manifest der modernen Lehmbauarchitektur. Hier konnte Martin Rauch vorbehaltlos experimentieren - war er doch Bauherr, Handwerker und Co-Planer in einer Person - den Stampflehm tragend einzusetzen. Und die Zukunftsperspektiven tun sich schon bei seinem nächsten Vorhaben auf. An der eigenen Produktionshalle soll ein tragendes Bausystem aus Stampflehm entwickelt werden. „Abgesehen davon, dass wir eine große Produktionsstätte brauchen, ist jetzt einfach die Zeit, das Thema substanziell weiterzuentwickeln, zu forschen und zu zeigen, wie Lehm in großen Dimensionen als tragendes Baumaterial eingesetzt werden kann“, sagt Martin Rauch. Es gelte jedoch auch, für den Lehmbau mit seinen dicken Wänden eine spezifische Architektursprache zu finden sowie in der Ausbildung das Wissen über diesen ursprünglichen Werkstoff zu verbreiten. Die Weiterentwicklung der Vorfertigung beim Stampflehmbau im großen Stil würde Möglichkeiten eröffnen, an die wir heute noch gar nicht denken.
Der Text erschien in der Februar-Ausgabe von KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at

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