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Farbe bewegt Passage

Zwei Bahnunterführungen in Zutphen (NL)

In der niederländischen Kleinstadt Zutphen ermöglichen zwei neue Bahnunterführungen die Anbindung eines neuen Stadtteils an die historische Innenstadt. Die integrierten Licht-Installationen von Herman Kuijer schaffen eine langsam fließende Choreografie aus ­farbigem Licht mit bewusst freundlicher Ausstrahlung.

5. März 2018 - Robert Uhde
Der unweit der deutsch-niederländischen Grenze bei Emmerich gelegene Ort Zutphen wurde bereits während der Römerzeit als fränkische Siedlung errichtet und zählt damit zu den ältesten Städten der Niederlande. Momentan ist man in der knapp 50 000 Einwohner zählenden Kleinstadt damit beschäftigt, das nördlich vom Bahnhof gelegene Viertel Noorderhaven zu einem modernen Wohn- und Büroquartier zu entwickeln und gemeinsam mit dem angrenzenden Gewerbegebiet De Mars besser an das historische Zentrum anzubinden. Die 2007 dazu vorgestellte Masterplanung des renommierten Rotterdamer Büros KCAP umfasst auf einer Fläche von 20 ha rund 1000 Wohnungen sowie Büro- und Ladenflächen und sah außerdem den Bau zweier neuer Unterführungen vor, um so die bislang bestehenden beschrankten Bahnübergänge zu ersetzen.

Erhöhtes Sicherheitsgefühl

Mit der architektonischen Planung und technischen Umsetzung der beiden Tunnel hatte das zuständige niederländische Eisenbahninfrastrukturunternehmen ProRail 2008 im Auftrag der Stadt Zutphen das Utrechter Bauunternehmen Railinfra Solutions sowie das Maastrichter Architekturbüro Maurer United Architects beauftragt. Im Sommer 2013 konnte daraufhin mit den Erdarbeiten begonnen werden, im November 2015 erfolgte die Fertigstellung: Der von Architekt Mari Baauw vom Büro Royal HaskoningDHV – einer 100-prozentigen Tochter von Railinfra Solutions – entwickelte Marstunnel schafft westlich vom Bahnhof eine direkte Verbindung zwischen Nord und Süd und integriert dabei zwei unterschiedlich hoch gelegene Fahrbahnen für Autofahrer bzw. Fußgänger und Radfahrer. Der deutlich kleinere, durch den Architekten Marc Maurer geplante »Kostverloren-Tunnel« – benannt nach einem militärisch bedeutsamen Rondell bei der historischen Niederlage der Niederländer gegen die Spanier im Jahr 1583 –, ermöglicht östlich vom Bahnhof eine attraktive Passage für Fußgänger- und Radfahrer.

»Eigentlich sind die beiden Tunnel herkömmliche Bauwerke aus Beton«, erklärt Peter Kelder, Projektleiter der Stadt Zutphen. »Aufgrund der hohen städtebaulichen Bedeutung der Unterführungen als Scharnier zwischen Alt und Neu hatten wir aber schon frühzeitig die Integration zweier Lichtinstallationen beschlossen, um so neben einer hochwertigen Ästhetik und einer verbesserten Orientierung auch ein erhöhtes Sicherheitsgefühl der Bürger beim Durchfahren der Tunnel zu erreichen.«

Überraschende Perspektiven

Den Auftrag zur Umsetzung hatte 2010 nach einer Empfehlung der städtischen Kunstkommission der renommierte Amsterdamer Lichtkünstler Herman Kuijer erhalten. Kuijer hat in den vergangenen drei Jahrzehnten zahlreiche große Lichtinstallationen im öffentlichen Raum realisiert und ermöglicht mit seinen Arbeiten häufig überraschende Perspektiven auf Architektur und Stadt. Für das Projekt in Zutphen entwickelte er ausgehend von den Anforderungen der Stadt zwei physisch erlebbare und gleichzeitig immateriell bewegte Installationen mit subtil sich verändernden Farbverläufen, die jeweils über ein LED-Steuerpult mithilfe der Lichtsteuerungssoftware Madrix betrieben werden.

»Licht ist nur sichtbar, wenn es irgendwo auftrifft, wenn es also eine Struktur gibt, die das Licht organisiert«, erklärt Herman Kuijer. »Um Lichtkunst, ­Architektur sowie funktionale Anforderungen als Einheit zu planen, habe ich deshalb von Beginn an intensiv mit den beteiligten Architekten Mari Baauw und Marc Maurer sowie den Vertretern der Stadt zusammengearbeitet und außerdem den erfahrenen Lichtingenieur Nico de Kruijter hinzugezogen.« Ausgehend von intensiven Vorplanungen sowie zahlreichen Tests und ­Messungen entstanden schließlich zwei individuell auf den jeweiligen Kontext zugeschnittene, aus vorgefertigten Betonelementen errichtete Raumstruk­turen, die vor Ort durch verdeckt angeordnete, in Position und Ausrichtung exakt berechnete LED-Armaturen mit insgesamt 1000 Leuchten illuminiert werden.

Eindrucksvoll in Szene gesetzt werden die beiden mittlerweile auch als Apple-Werbung zum Zuge gekommenen Installationen durch eine aufwendig programmierte Lichtchoreografie, die mit verbindlich ausgewählten Vorgaben zu Farben, Farbverläufen und zur Wechselgeschwindigkeit beinahe unmerkliche Farbverwandlungen und -überlagerungen auf Abschnitten von jeweils mehreren Betonelementen erzeugt: »Ganz wichtig war mir dabei, dass das Licht niemals gleich ist, sondern dass die Farbzusammensetzung zufällig erfolgt und somit bei jeder Durchwegung eine andere ist«, so Herman Kuijer.

Integrierte Funktionsbeleuchtung

Anders als bei vergleichbaren Projekten war es in Zutphen möglich, das Funktionslicht von vornherein in die Installation zu integrieren, sodass die Ausdruckskraft nicht durch zusätzliche Funktionsleuchten gestört wird. Im Ergebnis wird so eine Klarheit und Reduktion erreicht, die spontan an Arbeiten von James Turrell oder Dan Flavin denken lässt. Da andererseits nur wenig natürliches Licht in die Tunnel dringt, sind beide Lichtprogrammierungen entsprechend auch den Tag über eingeschaltet – »und das sogar deutlich stärker als während der Dämmerung, um so eine für das menschliche Auge durchgehend gleichbleibende Helligkeit zu ermöglichen«, wie Herman Kuijer erklärt. »Bei Dunkelheit beträgt die Lichtstärke dem subjektiven optischen Eindruck zum Trotz sogar lediglich etwa 10 % der am Tag eingesetzten Lichtstärke.«

Der Vergleich beider Unterführungen lässt wie gesehen zahlreiche Gemeinsamkeiten erkennen. Im Marstunnel entsteht die Farbigkeit jedoch allein durch die gewählte Lichtfarbe, im Kostverloren-Tunnel sind zusätzlich auch die Längs- und Kopfseiten der hier vielschichtig ausgeführten Wand- und ­Deckenelemente in Teilen farbig gestrichen, sodass das Licht hier intensiver erscheint. Zudem kamen hier matte Keimfarben zum Einsatz, die eine verbesserte Farbwiedergabe ermöglichen und die sich bei Graffitis leicht überstreichen lassen. Ein charakteristisches Element im Marstunnel ist stattdessen die mittig integrierte Stützenreihe, die eine Art Lichtarkade zwischen den beiden unterschiedlich hoch gelegenen Fahrbahnen schafft. ­Zusätzliche Attraktivität bietet hier die von Architekt Mari Baauw aufwendig als Oktopus gestaltete Südzufahrt mit ihrer dynamisch ausholenden Streckenführung und der schwarz verklinkerten Einfassungsmauer, die von der Innenstadt her kommend einen dunklen cinemascope-artigen Rahmen für die ­dahinter beginnende Lichtinstallation schafft.

Bezug zum Fluss IJssel

Als wichtigen inhaltlichen Bezugspunkt für seine Lichtinstallation erwähnt Herman Kuijer die Wellenbewegung des unmittelbar an die Altstadt angrenzenden Flusses IJssel: »Im Fortschreiten von Licht und Farbe wird so auf meditative Weise die Beziehung von Zeit und Raum erlebbar«, so der Lichtkünstler. Wer sich auf dieses Assoziationsfeld einlässt, dem wird schnell bewusst, dass sich die beiden Tunnel an Orten befinden, die ohne Eingriff des Menschen tief unter Wasser lägen. Für Unruhe sorgt dieser Gedanke jedoch nicht, im Gegenteil: Wenn man die Passanten nach ihrem persönlichen Eindruck befragt, stößt man v.a. auf freudige Überraschung. Für die sonst so oft in Unterführungen spürbare Beklemmung bleibt da gar keine Zeit mehr.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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