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Wenn Fremde sich grüßen
Der Standard

Die Markthalle in Gent ist ein sehr ungewöhnlicher Ort: Unter dem weiten Dach hört man Musik und sagt einander „Hallo“. Der dafür verantwortliche belgische Architekt Paul Robbrecht hält einen Vortrag in Wien.

3. März 2018 - Wojciech Czaja
Am Samstag gibt die Markthalle den Bauern und Verkäuferinnen ein Dach über dem Kopf. Dann füllt sich die 700 Quadratmeter große, gedeckte Fläche neben der Sint-Niklaaskerk mit Verkaufsständen mit Fisch und Fleisch, mit Obst und Gemüse, mit Käse und Schokolade. „Ich mag den Markt sehr, und tatsächlich liegt die Halle, wenn ich am Samstag eine Einkaufsrunde mit dem Rad durch die Stadt mache, genau auf meinem Weg“, sagt Paul Robbrecht, der gemeinsam mit seiner Frau Hilde Daem das belgische Architekturbüro Robbrecht en Daem leitet und das ungewöhnliche Projekt vor ein paar Jahren aus der Taufe gehoben hat.

Bei genauerer Betrachtung jedoch ist die im historischen Zentrum von Gent errichtete Halle weit mehr als nur ein Marktplatz. Die archaische, den umliegenden mittelalterlichen Häusern angepasste Konstruktion mit ihren charakteristischen, auf und ab tanzenden Steildächern dient der Bevölkerung als Treffpunkt, sie dient als Open-Air-Theater, als Bühne für Straßenmusiker und Gaukler, als Live-Übertragungsort für Fußballspiele, als Flohmarkt, als Buchmesse, als Ausstellungsort im Freien. Und sogar einen in den Betonsockel integrierten Kamin gibt es, in dem in der Weihnachtszeit und an besonders kalten Tagen, um den Fußgängern ein warmes Platzerl zu bieten, eingeheizt werden kann.

„Beim flämisch-niederländischen Ministertreffen im November 2016 wurde die Halle einmal als Parkplatz für die schwarzen Audis, BMWs und Mercedes der Regierung genutzt“, erinnert sich Robbrecht. „Mir persönlich ist es aber am liebsten, wenn die Markthalle leer ist und sich einfach nur als Dach über der Stadt, als temporäres Haus für alle präsentiert.“ Ein Phänomen fällt dem Architekten, der das Projekt in Zusammenarbeit mit Marie-José Van Hee Architecten realisierte, besonders auf: „Unter dem Dach passiert es, dass Fremde einander plötzlich grüßen. Und das in einer Großstadt! Ist das nicht wunderbar?“

Paul Robbrecht ist einer der internationalen Gäste beim diesjährigen Architekturfestival Turn On, das kommende Woche am Donnerstag, Freitag und Samstag im ORF-Radiokulturhaus über die Bühne geht. Der heuer bereits zum 16. Mal stattfindende Kongress umfasst mehr als 40 Vorträge und Gesprächsrunden und präsentiert neue Trends und Tendenzen in der Architektur und Stadtplanung – in Österreich, aber auch anderswo. Die Markthalle in Gent steht stellvertretend dafür, wie der öffentliche Raum und das Bauen für die öffentliche Hand im Allgemeinen in den letzten Jahren mehr und mehr an Qualität dazugewonnen haben.

Sensibilität für das Schöne

„In Flandern sind wir in der glücklichen Situation, dass wir auf einem jahrhundertealten Kunst- und Kulturerbe aufbauen können“, sagt Robbrecht. „Wenn man ein Leben lang an Gemälden von Rubens, Bosch, Jan Brueghel, Pieter Bruegel und Jan van Eyck vorbeimarschiert, dann hinterlässt das Spuren, dann entwickelt man notgedrungen eine gewisse Sensibilität für das Schöne – und zwar nicht nur als Architekt, sondern auch als Auftraggeber.“

Bis heute spiele die Kunst in seinem Leben eine große Rolle, meint Robbrecht, der regelmäßig mit nationalen und internationalen Künstlern und Künstlerinnen zusammenarbeitet – etwa mit dem belgischen Maler Benoît van Innis, mit der spanischen Bildhauerin Cristina Iglesias oder mit dem deutschen Maler Gerhard Richter. Eine der schönsten Zusammenarbeiten mit einem Künstler, erinnert sich Robbrecht, war die Planung des Rubensplatzes in der belgischen Nordseestadt Knokke, wo der architektonische Freiraum rund um zwei riesige Lemurenköpfe des Wiener Künstlers Franz West geplant wurde. „Bitte erwähnen Sie dieses Projekt in Ihrem Artikel! Franz West war ein Ausnahmekünstler, und dieser Platz ist von einer inspirierenden, fast überirdischen Schönheit!“

Einer der Gründe für das in Belgien so ausgeprägte Bewusstsein für die Gestaltung der gebauten Umwelt ist nicht zuletzt der sogenannte Vlaams Bouwmeester. Die 1998 eingeführte Instanz – eine Art Staatsarchitekt und fachlicher Bauberater für die öffentliche Hand – kümmert sich um sämtliche mit Steuergeldern finanzierte Bauprojekte und sorgt dafür, dass diese in Form von Wettbewerben nicht nur gesetzes-, sondern auch qualitätskonform realisiert werden. Es liegt in der Verantwortung des Bouwmeesters, für jede Bauaufgabe die jeweils besten und geeignetsten Architekten zu laden und das gesamte Projekt nach bestem Dünken abzuwickeln.

„Die Qualität der öffentlichen Bauten hat in den letzten 20 Jahren dadurch massiv dazugewonnen“, sagt Paul Robbrecht, der die Instanz des Vlaams Bouwmeester mit dem in den Niederlanden eingerichteten Rijksbouwmeester vergleicht. „Aber bei uns sind die Spielregeln noch strenger und die Resultate noch besser. Eigentlich wäre so ein Oberbaumeister in jedem Land wünschenswert. Vielleicht werde ich das beim Turn-On-Festival dazusagen.“ Auch Robbrecht selbst sei schon mal angefragt worden, ob er diese Funktion für ein paar Jahre übernehmen wolle. „Nein, das kommt für mich nicht infrage, denn das wäre ein harter Fulltime-Job. Aber ich … ich will einfach nur bauen.“

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